Felix Sturm ist Sportler und Unternehmer. In dieser Doppelfunktion bereitet er sich auf seinen nächsten WM-Kampf gegen Matthew Macklin vor.

Köln. Felix Sturm sitzt auf einem Fahrradergometer, der Schweiß rinnt ihm in kleinen Bächen von der Stirn, weil das schwülwarme Juniwetter aus seinem Trainingsgym eine Großraumsauna gemacht hat, als ihn plötzlich ein Gedanke blitzartig aus dem monotonen Tritt reißt. „Bleib nicht stehen, verdammte Scheiße, oder willst du beim Williams auch stehen bleiben? Beweg dich, Mann“, brüllt er durch den Raum, und der Mann, dem die Ansage gilt, sieht zu, dass er sich bewegt.

Manuel Charr ist Schwergewichtler, er bestreitet am Sonnabend in der Kölner Lanxess-Arena den zweiten Hauptkampf gegen den Briten Danny Williams, und weil der Deutschlibanese einer von einem halben Dutzend Profiboxern ist, die bei Sturm unter Vertrag stehen, duldet der Chef keinen Schlendrian. Er will Leistung sehen, in jedem Training, denn das ist schließlich auch seine Maxime, und wo Felix Sturm draufsteht, da soll auch Felix Sturm drin sein. Das gilt für alle, die mit ihm arbeiten dürfen. Ausbrüche wie der eingangs beschriebene sind allerdings Ausnahmen, es sind kleine Ausflüge in die Gedankenwelt eines Promoters, die sich Sturm bisweilen gönnt. Die meiste Zeit ist er jedoch selbst Boxer, er will deshalb denken und handeln wie ein Boxer, und dazu sucht er Ruhe, wann immer es möglich ist.

Möglich ist es selten. Den Hauptkampf am Sonnabend (22.15 Uhr/Sat.1) bestreitet der Chef persönlich gegen den britischen Europameister Matthew Macklin, es ist sein dritter Kampf, seit er sich im vergangenen Juli vor Gericht von seinem früheren Hamburger Promoter Klaus-Peter Kohl freikaufte. Eine knappe Million Euro war dem WBA-Superchampion im Mittelgewicht dieser Schritt wert, und wenn er das erste Jahr in Eigenregie Revue passieren lässt, dann klingt das wie ein Werbeclip für Firmengründer. „Vieles ist besser gelaufen, als wir es uns vorgestellt hatten. Es ist nicht so viel Arbeit, wie uns viele weismachen wollten. Es läuft perfekt“, sagt er.

Betrachtet man die sichtbaren Fakten, dann muss man dem 32-Jährigen das glauben. Während Kohls Universum-Stall spätestens mit Sturms Abgang in schwerstes Fahrwasser geriet und derzeit ums Überleben kämpft, steht das Zugpferd von einst auch allein glänzend da. Sturm ist nach den Klitschko-Brüdern der derzeit wichtigste Player im deutschen Boxmarkt, er hat mit Sat.1 einen TV-Partner, dem er starke Quoten beschert, kann in Großstädten wie Stuttgart und Köln Hallen füllen. In Bosnien, Heimat seiner Eltern, ist er ein Volksheld, der Ehefrau Jasmin und Söhnchen Mahir im Urlaub rund um die Uhr von zwei Bodyguards schützen lassen muss. Mit Ufa Sports weiß er einen findigen Vermarkter hinter sich, und er hat in der Kölner Südstadt ein eigenes Trainingsgym, das modernsten Ansprüchen genügt. Eine Fahne Bosniens, die mit der Aufschrift „Don’t forget Srebrenica 11.01.1995“ an das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert, ist der einzige persönliche Touch, ansonsten strahlt der Komplex vor allem den Geruch von Arbeit aus.

Das Wichtigste sei für ihn jedoch, sagt Sturm, endlich sein eigener Herr zu sein. „Ich kann frei entscheiden, was ich will und was nicht. Diese Freiheit war es, die ich gesucht und gefunden habe“, sagt er. Über seine neun Jahre in Hamburg will Sturm nicht mehr sprechen. Er hat die Zeit abgehakt, „sie war anfangs schön, später dann nicht mehr so schön“, er hat jeglichen Kontakt abgebrochen. Dass sie in Hamburg behaupten, er habe für die Selbstständigkeit einen hohen Preis bezahlt, belächelt er nur. Natürlich schaut er noch, was die Kollegen von damals machen. „Aber jeder ist seines Glückes Schmied, und ich habe beschlossen, das Kapitel als abgeschlossen zu betrachten“, sagt er.

Eingeholt wird er trotzdem noch oft genug von der Vergangenheit. Nach den ersten beiden Kämpfen gegen Giovanni Lorenzo und Ronald Hearns, als viele ihm vorwarfen, schwächere Gegner verpflichtet zu haben als die, die er bei Universum als zu schwach ablehnte. Zuletzt, als man ihn bezichtigte, er habe Sat.1 untersagt, mit dem Magdeburger SES-Stall von Ulf Steinforth zusammenzuarbeiten, weil dieser mit Universum kooperiere. Sturm lächelt sein typisches Lächeln, wenn man ihn nach solchen Dingen fragt. Es soll dem Gegenüber signalisieren, dass da schon was dran ist an den Gerüchten, auch wenn er es so nie sagen würde, weil ihm rechtliche Verpflichtungen verbieten, dazu Stellung zu nehmen. Sat.1, so viel ist sicher, sagte Steinforth ab. Und das mit den Gegnern sei auch nicht so wild, bei den Klitschkos frage doch auch niemand danach. Den Punkt zu erreichen, an dem der Gegner egal ist, weil die Fans sowieso nur ihren Helden sehen wollen, danach trachtet Sturm.

Er weiß, dass er die Sympathiewerte der ukrainischen Brüder nie wird toppen können, dazu polarisiert er zu sehr und wird von vielen Menschen als zu arrogant und unnahbar angesehen. „Ich war früher ein ziemliches Großmaul, aber ich bin ruhiger geworden“, sagt Sturm, was man zwar kaum glauben mag, wenn man versucht, seinem Redefluss zu folgen. Aber es stimmt. Sturm versucht, sich Fans und Medien mehr zu öffnen, sich freundlicher und aufmerksamer zu geben als zu Universum-Zeiten, wo er häufig nicht einmal ein kurzes „Hallo“ über die Lippen brachte. „Wir sind sehr zufrieden mit seiner Entwicklung. Die Reaktionen, die wir aus Wirtschaft und Medien erhalten, sind absolut positiv. Felix ist ruhiger und erwachsener geworden, das Gesamtbild wird kontinuierlich besser“, sagt Philipp Cordes, bei Ufa Sports damit beauftragt, sich um die Vermarktung Sturms und den Kontakt zu potenziellen Sponsoren zu kümmern.

Sturm erhält täglich Anfragen von Sportlern, Managern oder Vermittlern, die mit ihm arbeiten wollen, das meiste sagt er sofort ab, wenn ihn etwas interessiert, lässt er seinen Manager Roland Bebak übernehmen. Überhaupt vertraut Sturm seinem kleinen Team, bestehend aus Bebak, Trainer Fritz Sdunek, Athletikcoach Clive Salz, PR-Manager Manfred Meier und Gym-Manager Joschka Grimm, er legt Wert darauf, keine One-Man-Show abziehen zu wollen, auch wenn alles auf ihn ausgerichtet wird. „Natürlich bin ich das Zugpferd, aber ich will einen Stall aufbauen, in dem sich alle wohlfühlen“, sagt er. Das ist sein Antrieb, weil er sich bei Universum zuletzt nicht mehr ausreichend gewürdigt sah. Dieses Gefühl sollen seine Sportler nicht bekommen.

Mit Sat.1 ist besprochen, neben den drei bis vier jährlichen Sturm-Kampfabenden auch drei weitere Veranstaltungen mit anderen Boxern aus seinem Team zu machen. Der erste ist für September geplant. Eine Vision, wo sein Unternehmen in fünf Jahren stehen soll, hat Sturm nicht. Sagt er zumindest. „In fünf Jahren werde ich meine Karriere hoffentlich gesund und als Weltmeister beenden. Ob der Stall dann funktioniert oder gefloppt ist, wird man sehen“, sagt er. Dann lächelt er wieder, und man weiß, dass er natürlich längst mehr vorhat, als er zugeben mag. Denn eins ist klar: Einer wie Felix Sturm bleibt nicht stehen. Er bewegt sich, nach vorn.