Die Fußballwelt staunt über den FC Schalke 04. Den 5:2-Erfolg bei Inter Mailand hätte auch der ehemalige Trainer in der Form nicht erwartet.

Wolfsburg. "Was wird wohl Felix Magath gerade tun?", fragte sich Sat.1-Kommentator Wolff-Christoph Fuss am Dienstagabend im Giuseppe-Meazza-Stadion. Der FC Schalke 04 hatte gerade im Viertelfinalhinspiel der Champions League bei Titelverteidiger Inter Mailand das Tor zum 5:2-Zwischenstand geschossen. Ein Ergebnis, das bis zum Apfiff Bestand haben sollte. Ein Ergebnis, das die Fußballwelt aus den Socken riss. Ein Ergebnis, das in die Geschichte eingehen wird.

"Der Name Ralf Rangnick wird die Trainer in Europa aufhorchen lassen", sagte Fuss während des Spiels. Der alte und neue Schalker Coach schaffte ein sensationelles Comeback im internationalen Fußball, nachdem er ausgerechnet in Mailand im Dezember 2005 als Trainer der Gelsenkirchener sein letztes Spiel in der Champions League erlebte. Rangnick selbst jubelte während des "Wunders von San Siro" losgelöst, hinterher analysierte er die Leistung seiner Mannschaft aber nüchtern: „Wir haben vor dem Spiel eine offensive Aufstellung gewählt, und das haben wir bewusst getan, weil wir wussten, dass wir hier nicht nur defensiv spielen durften. Zur Halbzeit hätte es schon 5:5 heißen können. Was wir insgesamt nach vorn gespielt haben, war richtig gut.“ Rangnick wird wissen, dass nicht er die Grundlage für diese Sensation legte, sondern ein Mann, der sich das Spiel nach eigenen Angaben "im Fernsehen angeschaut hat, aber nur teilweise": Felix Magath.

Der aktuelle Wolfsburger Trainer, der vor drei Wochen auf Schalke von seinen Aufgaben entbunden wurde, hatte den deutschen Vizemeister überraschend in die Runde der letzten Acht geführt. Nur wenige Tage später wurde er entlassen. Überraschend kam die überragende Vorstellung der "Königsblauen" bei Inter für ihn nicht. „Ich habe schon vor dem Spiel den Einzug ins Halbfinale für realistisch gehalten", sagte der 57-Jährige der "Welt". Dass die Schalker die Sache schon im Hinspiel klarmachen, habe er aber so nicht erwartet, lobte aber sein Ex-Team: „Das war eine großartige Leistung von Schalke 04“.

Es war Magath, der sich mit seiner ungewöhnlichen Personalpolitik beim Revierklub umstritten machte. Es waren am Dienstag aber auch die Magath'schen Einkäufe, die Inter im eigenen Stadion demontierten. Da war zum einen der Brasilianer Edu, den Magath vor einem Jahr von den Suwon Blue Wings aus der ersten südkoreanischen Liga holte. Ein Mann, der bis dahin in Deutschland lediglich duch seine Tore in der zweiten Liga für den VfL Bochum in Erinnerung war. Edu ebnete in San Siro mit seinen beiden Toren den Schalker Weg ins Halbfinale.

Dann war da noch ein 19-jähriger Grieche namens Kyriakos Papadopoulos, den Magath im Sommer 2010 als Ersatz für Marcelo Bordon und Heiko Westermann von Olympiakos Piräus nach Gelsenkirchen holte. Als Gegenspieler von Superstar Wesley Sneijder bot der Defensivakteur eine bärenstarke Vorstellung, leitete zudem den Treffer zum 1:1 ein.

Auch der 34-Jährige Hans Sarpei ist ein Magath-Mann. Kaum ein Fußballexperte hatte seine Verpflichtung im vergangenen Sommer verstanden. Gegen Inter machte der Ghanaer seine linke Seite dicht und ließ WM-Star Maicon aus Brasilien nicht zur Entfaltung kommen. Man könnte die Liste noch fortführen. Joel Matip, Atsuto Uchida, Alexander Baumjohann, Lukas Schmitz. Allesamt Magath-Entdeckungen.

Doch während Magath auch wegen seiner harten Methoden in Ungnade fiel, hat Rangnick den Spaß zurück zu S04 gebracht und die Spieler zu einer Leistung beflügelt, die ihnen niemand zugetraut hatte. In nur drei Wochen hat Rückkehrer Rangnick alle Blockaden gelöst, die Magath gesetzt hatte. „Man sieht, dass die Psyche eine wichtige Rolle spielt“, meinte der neue, alte Trainer, wollte Vergleiche mit seinem Vorgänger nicht anstellen und sagte damit doch alles.

Vom Stilwechsel nach dem Rauswurf von „Quälix“ Magath profitierte nicht nur der starke Baumjohann, der sich im Mittelfeld an der Seite der enorm spielfreudigen Jefferson Farfan und Jose Manuel Jurado zu internationaler Klasse aufschwang. Vor allem Edu wirkte wie verwandelt. Der Brasilianer, der unter Magath auf der linken Außenbahn meist wie ein Fremdkörper wirkte, stahl als Stürmer sogar den Inter-Stars Eto'o und Diego Milito die Show.

„Irgendwann im Schlaf“, sagte der 19-jährige Joel Matip, „werde ich wohl aufhören zu grinsen.“ Grund zum Strahlen hatte der Deutsch-Kameruner nach dem denkwürdigen Viertelfinal-Hinspiel genug. Mit Matip um die Wette grinste Hans Sarpei. „Hier stehen zwei ehemalige Amateurspieler“, sagte der Ghanaer und zeigte auf Baumjohann neben sich, mit dem er vom Ex-Trainer Felix Magath in die Reserve geschickt worden war. Für einen Moment wurde der 34-Jährige ernst. „Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass wir nicht sechs Tore gemacht haben“, meinte er, dann lachte er lauthals.

Dabei begann der Schalker "Feierabend" in San Siro zunächst mit einem Schock. Dejan Stankovic hatte Inter nach 25 Sekunden mit einem Volleyschuss von der Mittellinie ins leere Tor in Führung gebracht, Schalkes Torhüter Manuel Neuer hatte zuvor vor dem Strafraum mit einem Kopfball geklärt. Das zwischenzeitliche 2:1 erzielte Diego Milito (33.). Inters Cristian Chivu (62.) hatte wegen wiederholten Foulspiels die Gelb-Rote Karte gesehen. Zweimal Edu (40./75.), Joel Matip (17.), Raul (53.) und ein Eigentor von Andrea Ranocchia (57.) sorgten für die Schalker Wende.

"Auswärts fünf Tore zu schießen, das habe ich im Europapokal noch nie erlebt, daran habe ich vor dem Spiel nicht einmal im Traum gedacht. Die Stimmung in der Kabine war fantastisch", erzählte Neuer. Und Raúl, der sein 72. Europapokaltor schoss, meinte: "Das Ergebnis ist unfassbar, dieses Spiel hatte viele unglaubliche Momente." Der Spanier warnte jedoch: "Inter ist der amtierende Champions-League-Sieger. Wir müssen im Rückspiel konzentriert bleiben." Inter müsste jedoch schon 4:0 in Gelsenkirchen gewinnen, um das Halbfinale noch zu erreichen. "Das werden wir nicht zulassen", versprach Neuer. Inters schwache Abwehr ist ein zusätzlicher Garant fürs Weiterkommen.

Rangnick warnte trotz der komfortablen Ausgangslage jedoch davor, den italienischen Triple-Sieger und Bayern-Bezwinger schon abzuschreiben. „Wir haben sicher einen großen Schritt gemacht, aber noch nicht den endgültigen.“ Die rund 5000 mitgereisten Fans freuten sich dagegen schon auf weitere Höhepunkte gegen den FC Chelsea oder Manchester United in der Vorschlussrunde und skandierten nicht ohne Häme: „Seht ihr Bayern, so wird das gemacht.“

Leonardo, Chefcoach von Inter, erlebte ein historisches Debakel. Der 41-jährige war ganz blass um die Nase, als er versuchte, das Unfassbare in Worte zu kleiden. „Es ist unrealistisch, an eine Aufholjagd beim Rückspiel zu denken“, lautete das Leonardo-Lamento. Noch niemals zuvor kassierte eine italienische Mannschaft in einem Europacup-Wettbewerb eine so hohe Pleite gegen ein deutsches Team. Leonardos Starensemble wurde von den königsblauen Kickern, einige noch ohne Erfahrung auf der Bühne der Königsklasse, nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen.

Und die italienischen Gazetten haben den brasilianischen Coach als Schuldigen ausgemacht. „Leonardo begeht wieder einen Fehler nach dem anderen. Sein Trainerstuhl wackelt jetzt. Inter hat den perfekten Selbstmord organisiert: In drei Tagen hat die Mannschaft ihre Chancen auf Meisterschaft- und Champions-League-Titel verspielt. Der einzige Verantwortliche für dieses Desaster ist Leonardo, der seine taktischen Ideen mit dem Realismus nicht verbinden kann, den ein Coach unbedingt braucht.“ Leonardo spürt in der lombardischen Metropole einen heftigen Gegenwind. „Leonardo denkt an den Rücktritt“, unkte Tuttosport, „drei Monate, nachdem er die Führung der Mannschaft übernommen hat, ist sein Projekt gescheitert. Die Mannschaft ist nur noch der Schatten seiner selbst. „

Bis zu 9,18 Millionen Fernsehzuschauer in der Spitze rieben sich verwundert die Augen, wie der aktuelle Zehnte der Fußball-Bundesliga in Mailand triumphierte. Der Sieg in Mailand hat auf der Facebook-Seite von Schalke-Trainer Rangnick einen Boom ausgelöst. Nach dem 5:2 riefen in 90 Minuten knapp 10.000 Nutzer des sozialen Netzwerks Facebook Rangnicks Fanseite auf und drückten den „Gefällt mir“-Knopf. Die Zahl der virtuellen Rangnick-Freunde bei Facebook hat sich nach dem Sieg dadurch mindestens verzehnfacht.

Auch der mittlerweile fast schon berühmte Facebook-Auftritt von Magath dürfte einige neue Anhänger gefunden haben. Viele Schalker Fans dürften sich erinnern, wem sie den grandiosen Erfolg zu verdanken haben. Am kommenden Sonnabend kommt es in der Veltins-Arena zum großen Wiedersehen. Magath ist dann mit dem VfL Wolfsburg zu Gast auf Schalke. Die Geschichte geht weiter. (sid/abendblatt.de)

Die Statistik

Mailand: Julio Cesar - Maicon, Ranocchia, Chivu, Zanetti - Motta (76. Nagatomo) - Stankovic (24. Kharja, 63. Cordoba), Cambiasso - Sneijder - Eto'o, Milito. - Trainer: Leonardo

Schalke: Neuer - Uchida, Matip, Höwedes, Sarpei - Papadopoulos - Farfan, Jurado (83. Draxler), Baumjohann (76. Schmitz) - Raul (87. Karimi), Edu. - Trainer: Rangnick

Schiedsrichter: Martin Atkinson (England)

Tore: 1:0 Stankovic (1.), 1:1 Matip (17.), 2:1 Milito (34.), 2:2 Edu (40.), 2:3 Raul (53.), 2:4 Ranocchia (57., Eigentor), 2:5 Edu (75.)

Zuschauer: 80.000

Gelb-Rote Karten: Chivu wegen wiederholten Foulspiels (62.)

Gelbe Karten: Stankovic - Farfan (5), Sarpei, Papadopoulos, Raul

Torschüsse: 17:17

Ecken: 4:4

Ballbesitz: 51:49 Prozent

Fouls: 8:19

Das Spiel im Abendblatt-Liveticker zum Nachlesen

90.(+3) Minute: Abpfiff in Mailand. Ein historisches Spiel geht zu Ende. Schalke gewinnt mit 5:2 gegen Inter Mailand und ist so gut wie sicher im Halbfinale.

90. Minute: Drei Minuten Nachspielzeit!

87. Minute: Der Torschütze zum wichtigen 3:2 geht aus der Partie. Karimi feiert sein Schalke-Debüt. Raul geht vom Platz.

85. Minute: Gelbe Karte für Raul.

83. Minute: Schalke wechselt erneut. Draxler kommt für Jurado in die Partie.

80. Minute: Wer jetzt erst eingeschaltet hat wird es nicht glauben können. Schalke führt gegen den amtierenden Champions-League-Sieger Inter Mailand mit 5:2! Unglaublich! Sollte Schalke kein Tor mehr kassieren, müsste Inter im Rückspiel auf Schalke 4:0 gewinnen, um das Halbfinale zu erreichen.

76. Minute: Wechsel bei Schalke. Schmitz kommt für Baumjohann.

75. Minute: Tor für Schalke! Farfan setzt sich im Strafraum durch und trifft zunächst den Pfosten. Edu kommt an den Ball und trifft ins linke Eck.

70. Minute: Inter versucht nochmal alles. Doch fast jeder Schuss wird von den Schalkern abgeblockt.

68. Minute: Papadopoulos bekommt die Gelbe Karte!

65. Minute: Fast das 5:2 für Schalke. Es ist kaum zu glauben. Jurado trifft aus 16 Metern den linken Pfosten.

62. Minute: Chivu muss mit Gelb-Rot vom Platz. Jetzt wird's ganz bitter für Inter. Die Verunsicherung ist ihnen anzumerken.

59. Minute: Gelbe Karte für Sarpei!

57. Minute: Tor für Schalke! Uchida flankt den Ball rechts ind den Strafraum. Ranocchia versucht den Ball zu klären, doch der Ball geht ins Tor.

53. Minute: Gelbe Karte für Chivu.

53. Minute: Tor für Schalke! Raul setzt sich stark durch und schießt den Ball aus sechs Metern ins linke untere Eck.

48. Minute: Und wieder Inter! Eto kommt im Strafraum zu einer riesigen Chance. Neuer kann den Ball im letzten Moment zur Ecke klären. Eine starke Tat vom Nationaltorwart.

47. Minute: Fast das 3:2 für Inter. Nach einem langen Pass von Cambiasso kommt Milito frei zum Schuss und schießt den Ball aus 11 Metern knapp am linken Pfosten vorbei.

46. Minute: Weiter geht's! Nach einer turbulenten ersten Hälfte darf man gespannt sein wie es weiter geht. Beide Abwehrreihen lassen immer wieder Chancen zu. Beide Mannschaften haben sich viele Möglichkeiten erspielen können.

45. Minute: Halbzeit in Mailand.

45. Minute: Farfan kassiert die Gelbe Karte und muss im Rückspiel daher zuschauen.

45. Minute: Beide Teams sind jeder Zeit für ein Tor gut. Es geht hin und her. Ein klasse Viertelfinalhinspiel.

41. Minute: Tor für Schalke! Was für ein tolles Spiel. Baumjohann steckt auf Edu durch, dessen Schuss Cesar zunächst abwehren kann. Doch im Nachschuss setzt sich Edu stark durch und trifft zum 2:2. Ganz starker Einsatz von Edu.

39. Minute: Freistoß durch Wesley Sneijder - Neuer fängt den Ball sicher.

34. Minute: Tor für Inter! Sneijder kann unbedrängt in den Strafraum flanken. Cambiassos Kopfball findet Milito, der aus kurzer Distanz trifft. Keine Abwehrchance für Neuer.

30. Minute: Schalke ist gut in der Partie. Inter lässt den Gästen immer wieder Raum zum kombinieren. Hier ist wirklich was drin für die "Knappen".

24. Minute: Der Torschütze und gelbverwarnte Stankovic muss verletzungsbedingt raus. Für ihn kommt Kharja.

21. Minute: Manuel Neuer ist zum zweiten Mal geschlagen, doch Eto stand klar im Abseits. Richtige Entscheidung hier kein Tor zu geben.

20. Minute: Es geht nun hin und her. Beide Mannschaften hätten hier in Führung gehen können. Beide Abwehrreihen lassen jetzt zuviel zu.

17. Minute: Tor für Schalke! Nach einem Eckball bekommt Inter den Ball nicht aus dem Strafraum. Matip kommt an den Ball und schiebt ihn ein.

15. Minute: Jurado versucht es aus 20 Metern, der Ball geht aber weit übers Tor. Ein Versuch war es wert.

12. Minute: Erste Gelbe Karte des Spiels für den Torschützen Stankovic, nach hartem Einsteigen gegen Baumjohann.

10. Minute: Einen schlechteren Start konnte Schalke nicht erwischen. Aber statt geschockt zu wirken, erspielen sich die "Knappen" ein paar Tormöglichkeiten.

6. Minute: Und wieder kommt Raul im Strafraum an den Ball. Sein Kopfball ist aber kein Problem für Inters Keeper Cesar.

4. Minute: Schalke kommt zu einer ersten Chance. Nach Uchidas Flanke kommt Raul zum Kopfball, der allerdings knapp am rechten Pfosten vorbeigeht.

1. Minute: Tor für Inter! Was für ein Start! Neuer muss rauskommen und klärt per Flugkopfball vor Milito. Stankovic fasst sich aus 45 Metern ein Herz und schießt über Neuer ins freie Tor. Kein Vorwurf für Schalkes Schlussmann.

1. Minute: Und los geht's!