Uli Derad hat beim THW Kiel seinen Traumjob gefunden. Er will die Nachwuchsarbeit und die Trainingsbedingungen verbessern.

Kiel. Der Neuanfang in Kiel wohnt hinter einer geschwungenen Glasfassade, unter einem ausladenden schwarzen Dach. Seit September ist die Geschäftsstelle des Turnvereins Hassee-Winterbek, kurz THW, hier ansässig. Das moderne Gebäude schmiegt sich direkt an die nicht mehr ganz so moderne Sparkassen-Arena, die früher einmal Ostseehalle hieß. Sie ist die Kultstätte dieser Handballstadt, ja der ganzen Handballwelt, davon sind sie hier nach wie vor überzeugt. Sie steht stellvertretend für die ruhmreiche Vergangenheit dieses Vereins.

Die weniger ruhmreiche hat man in der Herzog-Friedrich-Straße zurückgelassen, wo der Verein bis vor Kurzem residierte. Im gleichen Gebäude unterhält Uwe Schwenker sein Büro in seiner Eigenschaft als Versicherungsvertreter. In seiner Eigenschaft als Geschäftsführer des THW steht er im Verdacht, mehrere Champions-League-Spiele, darunter das Finale 2007, durch Schiedsrichterbestechung manipuliert zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Untreue. In den neuen Räumen ist für Schwenker kein Arbeitsplatz mehr vorgesehen.

Hinter dem, was einmal Schwenkers Schreibtisch war, sitzt jetzt Uli Derad. Er trägt einen schwarzen Pullover, helle Jeans, weiße Turnschuhe, sein Blick ist freundlich, der Händedruck sanft, die Wortwahl bedächtig. Bis Sommer war Derad (44) Hauptgeschäftsführer des TSV Dormagen. Die Handballer waren eine Abteilung unter vielen. In Kiel braucht er sich um nichts anderes zu kümmern. Derad sagt: "Hier leben die Leute nicht mit dem Handball, sie leben für den Handball." Jedes Spiel sei ein kleines Fest. Und das Derby gegen den HSV Hamburg am Sonntag (17.45 Uhr/DSF) ein großes. Ob er einen Traumjob habe? Aber ja, auch wenn er ihn sich nie habe träumen lassen. Er musste sich nicht verbiegen. "Was ich hier erlebe", sagt Derad, "daran glaube ich."

Mit Schwenker verbindet den früheren Nationalspieler kaum etwas, außer dass beide einst auf Linksaußen spielten. Der Kontakt beschränke sich auf eine freundliche Begrüßung, wenn man einander in der Halle begegne. Einige wähnten anfangs in Derad einen Strohmann des Vorgängers. "Seine Fußstapfen in Kiel sind groß", sagt Derad über Schwenker, "aber ich will meine eigenen setzen." Die Nachwuchsarbeit im Verein will er stärken, die Trainingsbedingungen der Profis verbessern. Vor allem aber soll er den Rekordmeister wieder in ruhiges Fahrwasser führen, nachdem die Manipulationsskandal wie ein Orkan über die Förde hinweggefegt ist und nahezu das gesamte Führungspersonal mit sich fortgerissen hat.

Derad spricht nicht gern über diesen Skandal, und wenn doch, dann spricht er von einer Affäre: "Wir haben es ja mit einem laufenden Verfahren zu tun." Im Übrigen sei die Aufarbeitung im Verein Sache des Aufsichtsrats. Im Umfeld des THW aber, so hört man, soll Schwenker noch viele Freunde haben. Trainer Alfred Gislason gilt als Vertrauter. Sein Vertrag wurde gerade vorzeitig bis 2014 verlängert. Gislason soll Garant dafür sein, den Erfolg der vergangenen Jahre - zuletzt fünf Meisterschaften in Folge - zu verstetigen. Der Isländer und seine Mannschaft haben den Orkan nicht nur überlebt, sie haben sogar die sportliche Vormachtstellung behauptet. Diese Kontinuität ist der Anker, an den sich der schlingernde Verein klammert. Zwischen Vergangenheit und Zukunft ist sie die Brücke über den Sumpf.

"Ich bin überzeugt, dass die Mannschaft noch stärker wird, wenn sie richtig eingespielt ist", sagt Derad. Dann geleitet er zum Ausgang, vorbei an den offenen Bürotüren und dem hölzernen Zebra am Empfang. Draußen hat es begonnen zu schneien. Das schwarze Dach ist jetzt schwarzweiß. Der Handballgott muss ein Kieler sein.