Als eines der größten Hamburger Nachwuchstalente im Judo ist Willi Wittermann in diesem Jahr gemeinsam mit der Judo-Mannschaft nominiert für die Wahl zum „Talent des Jahres“.

Hamburg. Er weiß, dass man die Matte nicht immer als Sieger verlassen kann. Dass es im Wettkampf manchmal nicht so läuft, wie man es sich wünscht. Obwohl man hart trainiert hat und alles gegeben hat für den ganz großen Wurf. Und manchmal ist es hart, dies zu wissen. Auch für Willi Wittermann. Vor allem, wenn eine Niederlage Realität wird. Wenn ein Traum wie eine Seifenblase zerplatzt und ein kleiner Moment alle Illusionen zerstört. So wie bei den Deutschen U-17-Vereinsmeisterschaften, bei denen Willi gemeinsam mit den anderen Judoka vom TH Eilbeck Anfang Dezember die Mannschaft des TSV Großhadern im Halbfinale besiegen und den Einzug ins Finale schaffen wollte.

Vier von sieben Zweikämpfen mussten die Hamburger in jeweils unterschiedlichen Gewichtsklassen gewinnen. Doch im letzten und alles entscheidenden Duell unterlagen die Eilbecker Judoka den Gästen aus Süddeutschland knapp, wenn auch nicht unverdient. Für den 16-jährigen Willi und sein Team brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Geschockt und mit Tränen in den Augen blickten die Jungen ungläubig auf das Handzeichen des Kampfrichters, das den Sieg des TSV Großhadern besiegelte. Willi schlug in diesem Moment fassungslos die Hände vor das Gesicht, konnte nicht glauben, was er sah.

Er selbst hatte seinen Kampf souverän und vorzeitig gewonnen. Durch Ippon, die höchste Wertung im Judo. Noch vor dem Halbfinale war der 1,74 große Athlet mit den raspelkurzen Haaren zuversichtlich, dass sein Team das Finale erreichen könne. "Wir sind Titelverteidiger und wollen erneut gewinnen. Ich selbst habe extra sechs Kilo abgenommen, um mein Team in einer niedrigeren Gewichtsklasse unterstützen zu können", erzählte Willi. Dass er im Zweikampf brillieren würde, daran bestand kein Zweifel. "Willi hat unglaubliche Fähigkeiten. Dem könnte ein Bein abfallen und er würde weitermachen und siegen", lobt Alexander Lüdeke vom TH Eilbeck den Ehrgeiz des jungen Sportlers.

Doch von nichts kommt nichts. Das ist auch bei Willi Wittermann so. Er müsse hart trainieren, sagt er. Denn im Judo brauche man mehr als nur Talent. "Ausdauer, Kraft, Technik sind gefordert. Man muss in einem Kampf über eine lange Zeit eine sehr hohe und konstante Leistung bringen können, darf niemals unkonzentriert sein oder die Spannung verlieren", sagt Willi, der die 11. Klasse der Eliteschule des Sports besucht und fast 15 Stunden pro Woche an seiner Judo-Technik feilt. Dabei sei es nicht gerade einfach, Schule und Sport zu koordinieren, erzählt der 16-jährige Single, der momentan "einfach keine Zeit" für eine Freundin hat und in der Schule vor allem an naturwissenschaftlichen Fächern Gefallen findet. "Hausaufgaben muss ich oft nach dem Training auf dem Heimweg erledigen. Während der Bahnfahrt", sagt er mit einem etwas wehmütigen Klang in der Stimme.

Fast 50 Minuten braucht Willi, um abends nach Hause zu kommen. Denn das Hamburger Judo-Talent wohnt gemeinsam mit der Familie in Nettelnburg. Und das seit fast sechs Jahren. "Meine Familie kommt ursprünglich aus Russland", erklärt Willi, der im russischen Krasnodar geboren wurde. Die Stadt liegt im Süden Russlands am Schwarzen Meer. Wie es zu dem Entschluss kam nach Deutschland auszuwandern? "Mein Vater Victor hat deutsche Vorfahren", erklärt Willi. Und nach reiflicher Überlegung habe sich die Familie entschieden, Russland zu verlassen und ihr Glück in Deutschland zu finden. Ein großer Schritt. Auch für den zurückhaltenden 16-Jährigen. "Ich konnte überhaupt kein Deutsch, musste alles von Beginn an lernen", sagt er in inzwischen fehlerfreiem Deutsch. "Ich bin froh, dass ich die Fähigkeit hatte, die Sprache sehr schnell zu lernen."

Dabei geholfen hat Willi sicherlich auch sein unbändiger Ehrgeiz. Ohne ihn wäre er vielleicht nicht beim Judo geblieben, nie im Bundeskader gelandet, nie deutscher Meister geworden. Denn gleich zu Beginn seiner sportlichen Laufbahn, im Alter von nur acht Jahren, erlitt Willi beim Training in Russland eine schwere Verletzung, die andere Menschen vielleicht zur Aufgabe des Sports bewogen hätte. "Gleich in der dritten Trainingseinheit habe ich mir den Arm gebrochen. Und niemand dachte, dass ich zum Judo zurückkehren würde."

Doch Willi kam zurück. Vielleicht auch dank eines russischen Judo-Weltmeisters, der damals zufällig beim Training dabei war und Willi etwas Aufmunterndes mit auf den Weg gab: ‚Was schlecht anfängt, hört gut auf’, sagte er. Und dieses Sprichwort hat Willi auf seinem Weg immer begleitet. "Das wird auch in Zukunft so sein." Die diesjährige Niederlage bei den Vereinsmeisterschaften dürfte insofern nur der Beginn von etwas ganz Großem sein. Einer siegreichen Europameisterschaft, Weltmeisterschaft und vielleicht auch Olympiade. Den nötigen Biss, um ganz nach oben zu kommen, hat Willi Wittermann jedenfalls. Er ist sich sicher: "Ich will ein erfolgreicher Judoka werden."