Das Abendblatt erklärt: Wie entsteht der Gesang, wer steht wo, welche Zaunfahnen haben ihren festen Platz? neuneu/s/#g“>Hier geht’s zur Bildergalerie.

Hamburg. Es ist das immer gleiche, einmalige Ritual. Um 15.20 Uhr schwebt Lotto King Karl mithilfe seines Krans hoch, um seinen Klassiker "Hamburg, meine Perle" anzustimmen. Auch am Sonnabend (15.30 Uhr) werden wieder Tausende HSV-Fans mitsingen - und in den 90 Minuten danach mit ihrer Mannschaft zittern, sie anfeuern und nach vorn schreien.

Wie viele der bisher 19 Punkte (sechs Siege, ein Remis) in der Bundesliga-Hinserie dank der grandiosen Unterstützung von den Rängen eingefahren werden konnte, bleibt reine Spekulation. Sicher ist, dass ohne die 9500 Steh- und 8000 Sitzplatzbesucher im Norden niemals alle teuren Plätze in den Logen verkauft werden könnten. Nicht nur der sportliche Aufschwung füllte in den vergangenen Jahren die Arena, sondern auch der Ort, wo das Herz des HSV schlägt.

Die Nordtribüne.

Den Takt geben zwei Ultra-Gruppierungen (Ultra steht für die Organisation besonders engagierter Fans) des HSV vor: Die rund 150 Mitglieder der Chosen Few, die mit weiteren rund 350 Unterstützungswilligen in Block 22c, dem sogenannten "Tortenstück", stehen, geben am Rand zur Westtribüne mit ihren Stimmen alles. Als "Capo", also als Einpeitscher, initiiert Johannes Liebnau, der im Januar zur Aufsichtsratswahl antritt, im Wechselspiel mit den Ultras von Poptown, die sich in Block 25 A direkt hinter dem Tor befinden, die Gesänge.

"Das klingt einfach, ist es aber nicht", sagt der Fanbeauftragte Rene Koch, "schließlich kommen die Sprechchöre aus dem C-Rang mit leichter zeitlicher Verzögerung unten an."

Nachdem es mit der Unterstützung nach dem Stadionneubau zunächst haperte, sind die Abläufe längst eingespielt. Man kennt sich seit Jahren. Nur 1800 Plätze gehen in den Einzelkarten-Verkauf, der Rest sind Dauerkarten, die "fast den Status des Erbrechts besitzen", wie Andreas Birnmeyer glaubt, der Geschäftsführer des Supporters Clubs. 70 Prozent aller Nordtribünen-Fans sind HSV-Mitglieder, schätzt Ticket-Chef Kai Voerste. Das Verhältnis Männer/Frauen beträgt 70 zu 30 Prozent, rund 40 Prozent dürften ihrer Liebe zum Verein mit Tattoo-Motiven Ausdruck verliehen haben.

Die zu besonderen Anlässen erstellten Choreografien starten zumeist von den Blöcken 24 und 25 A hinter dem Tor in die Höhe und werden in vielen Arbeitsstunden von Chosen-Few- und Poptown-Mitgliedern sowie weiteren Freiwilligen hergestellt.

Wer aber bestimmt, wo welche Zaunfahnen hängen? Eigentlich gilt das Prinzip: Wer zuerst kommt, kann auswählen - mit Ausnahmen. Die Plätze von KdgH (Kap der guten Hoffnung) und dem mit 36 Jahren ältesten Fanklub Rothosen sind heilig, genau wie die Fahne des Supporters Clubs, der sich explizit die Werte Fankultur, Vereinsleben und Tradition auf die Fahnen geschrieben hat.

Rund 250 der insgesamt 645 Fanklubs sind auf der Nordtribüne vertreten, einige sind zwar noch nicht so traditionsbeladen, dafür umso kreativer. Wie der Fanklub "Auswärtstrolley" aus Bad Schwartau, dessen Zaunfahne zwischen A- und B-Rang hängt. Der Name klingt zwar komisch, macht aber Sinn, schließlich treten die HSV-Anhänger ihre Reisen zu Auswärtsspielen mit Koffertrolleys an, die mit dem nötigen Proviant gefüllt sind - Bier. Das Transparent "Jesus heilt" wirbt für den christlichen Fanklub Totale Offensive, der zu den Spielen (antialkoholische) Veranstaltungen anbietet.

Kurios: Viele Zaunfahnen-Besitzer stehen deutschlandweit in Konkurrenz und führen Buch: Je nachdem, wie prominent man zu sehen ist, werden Punkte vergeben.

Während international der Trend zu reinen Sitzplatzstadien geht, bemüht sich der HSV, weitere Stehplätze zu schaffen. Derzeit wird geprüft, ob der C-Rang im Norden umgerüstet werden kann. Doch vor der Umsetzung sind statische und Fluchtweg-Probleme zu klären.