Was er gedacht hat, als ihm sein Promoter Klaus-Peter Kohl im Sommer die Nachricht von seiner ersten WM-Chance überbrachte, daran erinnert sich...

Hamburg. Was er gedacht hat, als ihm sein Promoter Klaus-Peter Kohl im Sommer die Nachricht von seiner ersten WM-Chance überbrachte, daran erinnert sich Jürgen Brähmer noch genau. "Endlich geht es um einen echten Titel! Endlich habe ich die Chance, meinen Lebenstraum zu erfüllen!" Er sagt diese Sätze so beiläufig, dass man sich nur schwer vorstellen kann, wie groß die Freude in ihm gewesen sein wird. Aber wer um die reservierte Art des Halbschwergewichtlers aus dem Hamburger Universum-Stall weiß, der wundert sich nicht mehr über dessen Aussagen. Er ist eben einer, der Worte dosiert einsetzt, und der in der Öffentlichkeit am liebsten gar nicht auftauchen würde. Aber das ist nicht so einfach mit seiner Lebensgeschichte.

Am Sonnabend (23 Uhr, ZDF) tritt der 30-Jährige in Rostock gegen den argentinischen WBA-Weltmeister Hugo Hernan Garay (27) an. Dass der gelernte Schweißer Brähmer, der seit dem Gewinn der Junioren-WM 1996 von Kohl als "Jahrhundert-Talent" gepriesen wurde, neun Jahre auf seine erste WM-Chance warten musste, war seiner kriminellen Vergangenheit geschuldet.

1998 wurde er wegen verschiedener Delikte zu einer Jugendstrafe verurteilt. Ende 1999 startete seine Profikarriere. 2002 wurde diese erneut unterbrochen. Brähmer war, ohne Führerschein fahrend, in einen Autounfall verwickelt, und als der Unfallgegner die Polizei hinzuziehen wollte, schlug er den Mann und flüchtete. Die Folge: Brähmer wurde erneut zu 30 Monaten Haft verurteilt. Im September 2005 kam er frei und konnte seine Laufbahn von vorne beginnen.

Die Schatten der Vergangenheit hat er bis heute nicht abschütteln können. Die "Bild" nennt den Rechtsausleger immer noch "Knastboxer", was Brähmer nur ein müdes Lächeln abringt. "Ich habe ja nie im Knast geboxt, deshalb fühle ich mich damit gar nicht angesprochen", sagt er. Viel schlimmer ist für ihn, dass in schöner Regelmäßigkeit neue Anzeigen gegen ihn gestellt werden.

Im Dezember vergangenen Jahres wurde ein Verfahren wegen Körperverletzung eingestellt. Der jüngste Fall: In Schwerin liegt die Anzeige einer Frau vor, die Brähmer in einer Diskothek geschlagen haben soll. Brähmer, der seine Unschuld beteuert, hat alles seinem Anwalt übergeben. "Das stört mich schon lange nicht mehr", sagt er. In seinem Umfeld gäbe es zu viele Neider, die ihm Schlechtes wollten. Ein Umzug von Schwerin, wo er mit Freundin Tatjana lebt, nach Rostock ist deshalb in Vorbereitung.

Brähmer weiß, dass er polarisiert, doch das nimmt er in Kauf. Sein Image ist ihm völlig egal, "ich habe keine Profilneurose, muss nicht mit allen gut Freund sein", sagt er. Wenn er keine Lust hat zu reden, redet er nicht. Wenn er sich ungerecht oder schlecht behandelt fühlt, pöbelt er zurück. "Ich sage den Leuten eben, wenn sie mir auf den Keks gehen. Umgekehrt dürfen sie es mir ja auch sagen, wenn ich nerve", sagt er.

Die letzten Ringauftritte des von Michael Timm trainierten Sportlers waren überwiegend durchwachsen. Das ständige Warten auf eine "echte" Titelchance habe ihn demotiviert, gibt Brähmer zu. Auch weil die Situation im Supermittelgewicht wegen der unklaren Zukunft von Dreifach-Weltmeister Joe Calzaghe (Wales) so verfahren gewesen sei, habe er sich für einen Aufstieg ins Halbschwergewicht entschieden. Gegen Garay, der nur drei seiner 34 Kämpfe verlor, muss Brähmer all sein Können aufbieten. "Der ist sehr stabil und boxt mit viel Tempo. Aber für jedes Problem gibt es eine Lösung", sagt Brähmer. Wer wüsste das besser als er?