Das Medizinische PräventionsCentrum Hamburg (MPCH) untersuchte Abendblatt-Mitarbeiter Stefan Heinrich vor und nach dem Lauf.

Hamburg. Als der Proband ins Ziel trudelte, spürte er nach einem kurzen, heftigen Anflug von Euphorie nur noch Schmerzen. "Die Beine taten höllisch weh, mein Kopf glühte. Die letzten zwei Kilometer haben sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Ich hätte keine Sekunde schneller laufen können", beschrieb Stefan Heinrich nach seinem ersten Marathon jene Strapazen, die ihm 42,195 Kilometer und Temperaturen um 21 Grad Celsius bereitet hatten. Der 30-jährige Abendblatt-Mitarbeiter war am Sonntag einer von 15 936 Teilnehmern, die beim 23. Conergy-Marathon am Ende auch in der Glacischaussee eingetroffen waren. Seine Zeit: 4:10:58 Stunden, Platz 7478.

Heinrichs Marathon-Premiere hatte das Abendblatt vom Medizinischen PräventionsCentrum Hamburg im Falkenried 88 (Hoheluft), einer Tochter der Universitätsklinik Eppendorf, begleiten lassen. Die Internistin Dr. Sabine Guth, die Sportmedizinerin Dr. Daniela Nordhusen und die Radiologin Dr. Carola Gocke prüften den 1,89 Meter großen und 91 Kilogramm schweren Hobbysportler auf Herz und Knochen. Dafür wurde Heinrich zweimal für eine Magnetresonanztomografie (MRT) in die Röhre geschoben und ihm Blut abgenommen; fünf Tage vor dem Rennen und am Morgen danach. Zudem unterzog er sich vorher am Institut für Sport- und Bewegungsmedizin von Prof. Klaus-Michael Braumann einem Belastungstest.

Das Ergebnis verkündeten die Mediziner gestern Mittag: Stefan Heinrich hat nach Sichtung der Schichtaufnahmen seinen ersten Marathon ohne knöcherne Verletzungen überstanden. In seinem Blut waren nur die normalen Spuren dieser extremen Anstrengung nachweisbar. Die Daten belegten, so Sabine Guth, "dass Sport nur dann Mord ist, wenn man selbst merkt, dass man Schaden nimmt. Wie immer ist die Menge das Gift." Für die Heilkraft der Bewegung spricht vor allem Heinrichs gesunkener Cholesterinspiegel (Normalwerte: 150 bis 240). Er fiel nach dem Marathon von 175 auf 145.

Dass ein Vierstundenlauf Substanz kostet, zeigt sich allerdings an vielen Parametern. Heinrich, das ergab die Kontrolle am Tag danach, verlor insgesamt 700 Gramm reines Fett. Bei einer durchschnittlichen Diät würde dieses Ergebnis erst nach zwei Wochen eintreten. Gemessen wurden die Triglyceride (dreikettige Fettsäuren; normal: 70 bis 180). Der Wert sank von 88 auf 30. Heinrich hatte seine Fettreserven angegriffen, ein Effekt, der beim (Dauer-)Laufen nach 20 bis 25 Minuten beginnt. Bei Kilometer 28 bis 35, wenn die Kohlehydratspeicher leer sind, stellt der Stoffwechsel des Körpers komplett auf Fettverbrennung um. Das ist die kritische Phase des Marathons. Heinrich hat sie am Sonntag in der City Nord erlebt: "Plötzlich wurden meine Beine schwer, ich bekam eine Gänsehaut und fing an leicht zu frieren. Meine Lippen waren salzig." Er schleppte sich zur nächsten Verpflegungsstelle und drückte sich ein Powergel in den ausgetrockneten Mund. "Danach wurde es etwas besser."

Die "höllischen Schmerzen" des Läufers, gemeinhin ein schwerer Muskelkater, kamen beim Medizincheck im steilen Anstieg der Ausschüttung des Enzyms Creatinkinase (normal: 0 bis 173) zum Ausdruck. Der Wert explodierte von 98 auf 1081 nach dem Marathon. Gewöhnlich würde ein Arzt in diesem Fall eine starke Schädigung der Herz- und Skelettmuskulatur diagnostizieren. Die zu Rate gezogenen Bilder der Magnetresonanztomografie gaben Entwarnung. Heinrich lächelte. "Ende der Woche werden die Werte wieder im Normalen liegen", erwartet Sportmedizinerin Nordhusen.

Den zweiten Untersuchungsschwerpunkt bildeten Knochen und Gelenke (Knie und Hüfte). Ein einziger Marathon, wissen Mediziner, kann zu Stressfakturen oder sogenannten Bone bruises, reaktiven Knochenmark-Ödemen, führen, hervorgerufen durch einen gesteigerten Knochenstoffwechsel. "Besonders bei Vorschädigungen können diese Verletzungen eintreten", sagt Radiologin Gocke. Beschwerden in Füßen und Beinen sollte niemand ignorieren. Heinrich klagte über Probleme im linken Sprunggelenk, der lange Lauf verschlimmerte sein Leiden nachweislich nicht. Die drei Ärztinnen empfahlen ihm dennoch, alsbald zur Kontrolle einen Orthopäden aufzusuchen.

"Die Vorbereitung auf einen Marathon ist gesund, der Marathon nicht", pflegt der Sportmediziner und ehemalige Weltklasseläufer Thomas Wessinghage zu sagen. Internistin Guth will dieser Einschätzung grundsätzlich nicht widersprechen, schränkt aber ein: "Ein gesunder Mensch darf einen Marathon laufen. Das hat das Beispiel Stefan Heinrich gezeigt." Um das festzustellen bedürfe es nicht immer dieser umfangreichen Diagnostik, "wer Beschwerden fühlt, sollte sich vor einer solchen Anstrengung aber einem gründlichen Check unterziehen." Ein Marathon, das weiß Stefan Heinrich jetzt, ist schließlich kein Sonntagsspaziergang.