Olympia: Jubel, als die Fackel Turin erreichte. So mancher Einheimischer muß sich aber noch an das Ereignis gewöhnen.

Sestriere. Na, bitte! Am Ende, als die Fackel gestern Turin erreichte, kam sie doch auf, die olympische Euphorie. Jubelnde, fähnchenschwenkende Menschen auf den Straßen der Stadt. Fast hätte man angesichts der Bilder vergessen, daß tags zuvor die Flamme noch von Umweltaktivisten mit Würmersäcken beworfen und aus Angst vor weiteren Protesten kurzfristig umgeleitet worden war, was man bisher nur von Staatsbesuchen oder Castortransporten kannte.

Es waren 11 000 beschwerliche Kilometer, die die Fackel in den vergangenen zwei Monaten quer durch Italien zurückzulegen hatte, bevor sie heute abend (20 Uhr) das olympische Feuer der 20. Winterspiele entfachen wird. Genaugenommen hat die Reise vor sieben Jahren begonnen, als Turin bei der Vergabe der Spiele das favorisierte Sion aus dem Feld schlug. Den Schweizern wurde seinerzeit das beste Konzept nachgesagt.

Daß sie trotzdem das Nachsehen hatten, wurde als Entschuldigung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) dafür gewertet, daß es zwei Jahre zuvor Roms Bewerbung für die Sommerspiele 2004 hatte durchfallen lassen. Schnee von gestern. Jetzt gilt es für Turin, das Beste daraus zu machen. "Leidenschaft" heißt das olympische Motto, "Feuer, Eis und Musik" ist die heutige Eröffnungsfeier im Städtischen Stadion überschrieben. Es wird künftig Olympiastadion heißen und vom Zweitligaklub Torino Calcio weitergenutzt. Das paßt zu einer Stadt, die man bisher, neben der kriselnden Autoindustrie, vor allem mit Fußball in Verbindung gebracht hat. Und doch haben Turin und die sechs piemontesischen Alpengemeinden, in die die Schneewettbewerbe ausgegliedert sind, alle Anstrengungen unternommen, der olympischen Familie gute Gastgeber zu sein. Stararchitekten wurden mit dem Bau von Sportanlagen beauftragt, Straßen und Bahnlinien erneuert. Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi, der die Eröffnungsformel sprechen wird, erhob die Spiele sogar in den Rang einer nationalen Angelegenheit: "Ein erfolgreicher Verlauf ist wichtig, um unser Leistungsvermögen unter Beweis zu stellen und die Entwicklung unseres Landes voranzubringen." Das sehen offenbar nicht alle so. Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der in den vergangenen Wochen die Finanzhilfen zusammenstrich, bleibt der heutigen Zeremonie demonstrativ fern.

Fast zwei Drittel der insgesamt 3,4 Milliarden Euro, die das zweiwöchige Spektakel verschlingt, sind in Infrastrukturmaßnahmen geflossen. Drei olympische Dörfer wurden hochgezogen, zwei große Eissporthallen und ein neuer Eiskanal für die Schlittensportler errichtet. Die Sprungschanzen genügen höchsten Ansprüchen. Das Stadion wurde umfangreich modernisiert.

Nur olympische Stimmung, das mußten die Macher im Vorfeld feststellen, kann man nicht bezahlen. "Ein bißchen enttäuschend" fand es Biathlet Ricco Groß bei der Anfahrt, daß man erst in unmittelbarer Umgebung der 900 000-Einwohner-Stadt auf die Spiele aufmerksam gemacht werde. An vielen Einheimischen ist das Ereignis offenbar auch vorbeigegangen. 280 000 der insgesamt eine Million Eintrittskarten warten noch auf Käufer.

Dennoch verspricht sich IOC-Präsident Jacques Rogge für die kommenden 16 Wettkampftage "typisch italienisches Flair und Professionalität". Bei den Winterspielen sieht der Herr der Ringe noch erhebliches Wachstumspotential.

Während die Sommerspiele mit 300 Entscheidungen ausgereizt sind, werden in Turin lediglich 84mal Medaillen vergeben.