Schwimmen - Franziska van Almsick wirbt wieder mit Leistungen. Freund Kretzschmar und Trainer Warnatzsch sind dafür verantwortlich.

Berlin. Das ist ihre Welt. Gefühle. Jubel und Jammer, Freude und Fassungslosigkeit, Triumph und Tragik - die ganz große Oper eben. Franziska van Almsick hier, Franzi dort. Die Hauptrolle war von Anfang an für sie reserviert bei den Schwimm-Europameisterschaften in Berlin, ihrer Heimatstadt. Die 24-Jährige spielt ihren Part bisher grandios. Weltrekord mit der 4x100-Meter-Staffel, gestern EM-Titel Nummer zwei mit dem Quartett über die doppelte Distanz und zuvor als Schnellste in 54,48 Sekunden für den heutigen Endlauf über 100 Meter Freistil qualifiziert. "Berlin, das ist meine Stadt", sagt sie. Einen besseren Ort hätte sie sich nicht vorstellen können, um wieder im Rampenlicht aufzutauchen. Auferstanden aus Ruinen: Vor sieben Jahren hatte sie bei den Europameisterschaften in Wien ihre letzten großen Einzelrennen gewonnen, jetzt scheint nicht einmal mehr die Verbesserung ihres Weltrekordes über 200 Meter Freistil Utopie. Den schwamm sie vor acht Jahren als 16-Jährige bei der WM in Rom. "Sie ist wieder in einer physischen und psychischen Verfassung, dass sie sich solche ehrgeizigen Ziele setzen darf", sagt Ralf Beckmann, der Cheftrainer des Deutschen Schwimmverbandes (DSV). Fast so schlank wie in ihren schnellsten Zeiten gleitet Franziska van Almsick heute eleganter denn je durchs Becken. "Sie liegt wieder viel flacher im Wasser und hat auch wieder die nötige Länge in ihren Vorwärtsbewegungen. Sie platscht nicht mehr ins Wasser, sie zieht es jetzt - ganz wie früher. Das wirkt sich maßgeblich auf ihre Geschwindigkeit aus", sagt die Hamburger Biomechanikerin Petra Wolfram. Für Kollege Dieter Kliche vom Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein bleibt Franziska van Almsick ohnehin der Idealtyp der Freistilschwimmerin: "Wenn man am Computer eine perfekte Athletin modellieren müsste, hätte sie sehr viel Ähnlichkeit mit Franziska. Sie hat ein absolutes Naturtalent. Sie muss es nur nutzen." Seit Olympia 2000 in Sydney, dem Tiefpunkt ihrer Karriere ("Franzi von Speck"), hat sie erneut damit angefangen. Zwei Männer haben damals ihren Ehrgeiz geweckt. Der Handballpunk Stefan Kretzschmar (29) vom Champions-League-Sieger SC Magdeburg wurde ihre große, erfüllte Liebe. Er, der endlich gleichberechtigte Partner, gab ihr das seelische Gleichgewicht zurück. Harmonie und Familie, die sie immer sehnlichst suchte, fand sie bei ihm. "Ich bin unheimlich glücklich", sagt sie. Ihr ehemaliger Trainer Norbert Warnatzsch (55) wiederum disziplinierte sie, zwang sie, sich in einer (Männer-)Gruppe ein- und unterzuordnen, trieb ihr die (Chef-)Allüren aus, den Alles-dreht-sich-um-mich-Anspruch. Van Almsick akzeptierte und erfüllte die anspruchsvollen Trainingspläne fast widerspruchslos. Vom Aufhören sprach sie nie, nur noch von neuen großen Zielen. Warnatzsch hatte Franziska van Almsick schon von 1988 bis 1991 betreut und sie zu Spartakiade-Gold geführt. Nach der Vereinigung waren die Dienste des nicht über jeden Stasi-Verdacht erhabenen Coaches im Schwimmverband nicht mehr erwünscht. Der ehemalige Moderne Fünfkämpfer floh nach Indonesien, van Almsick machte auch ohne ihn Karriere. Als Berliner Göre, frisch, fröhlich, frech, holte sie bei Olympia 1992 in Barcelona als 14-Jährige gleich vier Medaillen, ein Jahr später bei der EM in Sheffield sechs Titel. Die Leichtigkeit ihres Seins endete spätestens 1996 in Atlanta, als sie nach dem verpassten Olympiasieg erfahren musste, wie die Öffentlichkeit mit "Verlierern" umzugehen pflegt. "Plötzlich war ich eine Versagerin", registrierte sie - und erschrak. Ein knappes Jahr später brach sie sich bei einem Motorradunfall dreimal den linken Handknochen. Die Flucht in Krankheit hielt sie 16 Monate von Wettkämfen fern, aber sie heilte ihre Wunden nicht. Das Comeback wurde zwar mit Staffelgold bei der WM 1999 in Perth dekoriert, doch damals, obwohl weiterhin im Mittelpunkt, schwamm sie nur am Rande mit. In Berlin führt sie wieder, und ihre Kolleginnen haben damit erstmals keine Probleme. Dem Neid ist der Respekt gewichen.