Europameister: Wie der 17jährige Hesse die Elite das Fürchten lehrt.

Debrecen. Der Vater, der Trainer, das Vorbild - sie alle rangen um Erklärungen, während Fabian Hambüchen mit der Goldmedaille um den Hals ausgelassen durch das Abschlußbankett der Europameisterschaften in Debrecen tollte. Jeder der drei wußte um die außergewöhnlichen Fähigkeiten des "Turn-Professors", und doch einte sie Fassungslosigkeit ob der beispiellosen Nervenstärke des neuen Reck-Europameisters.

Als erster hatte Ex-Weltmeister Eberhard Gienger die Sprache wiedergefunden. "Als ich 17 war, war ich stolz darauf, bei deutschen Jugendmeisterschaften meine Nerven einigermaßen im Zaum zu haben. Was Fabian in diesem Alter leistet, ist eigentlich unmöglich", so der einstige Weltklasseturner. Cheftrainer Andreas Hirsch ergänzte perplex: "Dieses Finale war besser als das bei Olympia. Und der Junge geht einfach ans Gerät und gewinnt."

Absolute Weltklasseübungen hatten der Ukrainer Waleri Gonscharow (9,687) und Olympiasieger Igor Cassina (9,737) aus Italien in der Fönix Hall vorgelegt, doch Hambüchen als letzter Turner konterte seelenruhig, als ginge es nur um den Titel eines Gauturnfestes. Drei Flugteile, ein gestandener Abgang - 9,750 Punkte und der Titel waren der Lohn. Selbst Vater Wolfgang hatte seinem Sprößling sowas noch nicht zugetraut: "Diese Kür war wirklich nahezu perfekt, ich habe sie von der Seite gesehen und hätte nichts abziehen können."

Der neue Champion war aber auch im Überschwang der Freude clever genug, die Details seines Erfolgsgeheimnisses für sich zu behalten. "Das bleibt intern, sonst ist es wertlos", sagte Hambüchen. So viel ist bekannt: Der Shooting-Star steht in regelmäßigem Kontakt zu seinem Onkel Bruno, der als Mentalcoach in Köln tätig ist. Über die Inhalte der vertraulichen Gespräche ist nicht mal Wolfgang Hambüchen informiert: "Ich soll mich da raushalten und tue das auch."

Nach einer turbulenten Nacht fast ohne Schlaf muß "Fabi" am Dienstag erstmal wieder mit seiner Schule in Kontakt treten. In den vergangenen Wochen wurden die Hausarbeiten per E-Mail erledigt, aber "sechs bis sieben Klausuren", schätzt der Elftklässler, müssen stakkatoartig nachgeschrieben werden. Hambüchen wird sich daran gewöhnen müssen, denn im November ist er erneut in Sachen Kunstturnen auf Reisen: Einem Trainingslager in Japan folgen die Weltmeisterschaften in Melbourne.

In der Rod-Laver-Arena will Europas Reck-König das Jahr selbstbewußt, aber ohne Überheblichkeit abschließen: "Ich habe jetzt bewiesen, daß ich alle schlagen kann, weiß aber auch, daß jeder Wettkampf wieder von vorne beginnt." Wie dicht Erfolg und Enttäuschung beieinander liegen, hat der Hesse von der TSG Niedergirmes bei Olympia 2004 in Athen erfahren müssen. Ein winziger Seitenschritt nach der Landung kostete den deutschen Mehrkampf-Meister die greifbar nahe Bronzemedaille.

Und auf Lorbeeren ausruhen, dafür ist Hambüchen ohnehin nicht der Typ. Schon jetzt arbeitet er an neuen Übungen, maßgeschneidert für das neue Wertungssystem, das wahrscheinlich 2006 eingeführt wird. Es beinhaltet die Öffnung über die bisherige Grenze von 10,0 Punkten hinaus und wird zu noch mehr Höchstschwierigkeiten führen. Vater und Trainer Wolfgang sieht es mit gemischten Gefühlen: "Für Fabians Art des Turnens ist es positiv, andererseits wird der Grat zwischen Sieg und Krankenhaus immer schmaler."

Doch noch, so versichert er, seien die Risiken für seinen Sprößling kalkulierbar. Wenn aber, so Hambüchen senior, "seine Ziele nicht mehr erreichbar sind, weil das Risiko zu groß geworden ist, dann wird er einfach etwas anderes machen".