Birgit Fischer hat ihre achte Goldmedaille bei Olympischen Spielen gewonnen. Ans Aufhören denkt die 42 Jahre alte Kanutin nicht

Athen. Gold macht nicht satt. Ein großes Rinderfiletsteak, "bitte medium gebraten", musste es schon sein, dazu Kartoffeln im Jacket und Ratatouille. Birgit Fischer hatte bei ihrer mit viel Applaus begleiteten Ankunft am Freitagmittag im "Deutschen Haus" erst einmal Hunger und Durst. Und wenn die Metapher als Mutter der Kompanie auch überstrapaziert sein mag, anders kann die Tischordnung kaum beschrieben werden: Fischer nahm in ihrem roten Trikot mit dem Rücken zur Freiluftbühne Platz, ihre drei Mitfahrerinnen Maike Nollen (26), Katrin Wagner (26) und Carolin Leonhardt (19) saßen ihr in ihren weißen Jerseys im Halbkreis mit gewisser Distanz gegenüber, räumlich zumindest. Und während Fischer zwischen zwei Fernsehterminen eine Flasche Bier (Bitburger Premium Pils) zum Essen bestellte, begnügte sich das Trio mit Wasser und Cola light.

Fürs abschließende Foto durfte Franko Fürstenhoff vier Gläschen Sekt zum Anstoßen vorbeibringen. Fischer drückte dem Oberkellner ihre Kamera in die Hand, "hier müssen Sie draufdrücken", das strahlende Quartett rückte zusammen und prostete sich für die Nachwelt zu. Ein Bild für die Götter - für die olympischen.

Birgit Fischer aus Bollmansruh in Brandenburg, dort hat sie sich ein Haus am Beetzsee gekauft, 42 Jahre alt, Diplom-Sportlehrerin, Touristik-Unternehmerin ("KanuFisch") und allein erziehende Mutter von Sohn Ole (17) und Tochter Ursula (14), hat ihre Karriere am Freitagmorgen auf der Kanurennstrecke in Schinias um ein weiteres Goldstück bereichert, ihr achtes bei ihren sechsten Olympischen Spielen. Erfolgreicher war kein deutscher Sportler und nur wenige in der Welt (siehe Tabelle). "Sie ist die größte Athletin dieser Spiele", schwärmte der ehemalige Fecht-Olympiasieger Thomas Bach (Tauberbischofsheim), scheidender Vizepräsident des Internationalen olympischen Komitees (IOC). 1980 in Moskau hatte Fischer das erste Mal an Olympia teilgenommen und für die DDR im Einerkajak gesiegt, "das Wasser war damals ein bisschen kalt", in Athen triumphierte sie im Viererkajak nach 500 Metern vor Weltmeister Ungarn.

"150 Meter vor dem Ziel habe ich gesehen, dass die Ungarinnen vor uns sind. Dann haben wir aufgemacht, wie wir sagen, und sind mit 110 Prozent zum Sieg gefahren."

Wenn Schlagfrau Fischer die entscheidenden Momente des Rennens erzählt, präzise die Taktik ihres Bootes analysiert, lächelt sie dabei, ohne den Schuss Routine verbergen zu können. Es sind diese Erfahrung und dieser Wille, die ihre Crew an ihr schätzt. Nollen, Wagner und Leonhardt akzeptieren die Ältere nicht nur, sie verehren sie fast schon. Fischer, wissen sie, bietet ihnen eine einmalige Mitfahrgelegenheit zum Gold.

"Die Birgit", sagt Carolin Leonhardt, die bei Fischers erstem Olympiasieg nicht geboren war, "weiß in jedem Augenblick, was zu tun ist. Das gibt uns anderen eine enorme Sicherheit. Birgit ist der Unterschied zwischen Platz eins, zwei und drei." Am heutigen Sonnabendmorgen wollen die beiden im Zweierkajak Gold nachlegen. "Eine Steigerung wäre das nicht", meinte Fischer cool, "Gold kann man nicht übertreffen."

Derart abgeklärt hatte sie am Vormittag die Siegerehrung nicht überstanden. Vor dem Betreten des Podests wischte sie sich eine Träne aus dem Auge, auf dem Treppchen fing sie zu kichern an. "Ich habe nur gelacht, weil unser Trainer Detlef Hummelt herumstand wie ein Zinnsoldat", sagte Fischer später, als sie etwas inneren Abstand zu der Zeremonie gefunden hatte. "Dieser Sieg war ein Wahnsinn, weil mir so viele Menschen die Daumen gedrückt haben. Es ist schön, die Erwartungen und Hoffnungen anderer erfüllen zu können."

34 Glückwunsch-SMSs habe sie allein in der ersten Stunde nach dem Sieg erhalten. Sie hat inzwischen alle beantwortet. Als korrekt und verlässlich beschreiben sie ihre Freunde. Bundestrainer Josef Capousek, seit 1993 mit Unterbrechungen ihr Lebensgefährte, nennt sie ein "Phänomen. Was sie alles an einem Tag schafft, dafür brauchen andere eine ganze Woche". Jeden morgen läutet bei ihr um fünf Uhr der Wecker. "Sonst wären Familie, Job und Training nicht zu organisieren", sagt sie.

Birgit Fischer hat mit ihrem Sport nie das große Geld verdient, aber immer ihr gutes Auskommen gehabt. Höchstens mittelständische Unternehmen interessierten sich für sie, ihr Comeback nach drei Jahren Wettkampfpause ("Ich hatte eine Hausfrauenfigur") bestritt sie in den vergangenen zehn Monaten aus Erspartem. Die Sporthilfe zahlte gerade 500 Euro zu, da sie - trotz ihrer zwei Olympiasiege 2000 in Sydney - nicht mehr in die oberste Förderstufe eingereiht werden konnte. Für den Erfolg in Athen erhält sie 10 000 Euro. Ans Aufhören denkt sie nicht. "Ich bin nicht für zwei, drei Rennen zurückgekommen, dafür habe ich mich nicht gequält."

Wie lange sie weiterfahren wird, "muss ich in meinem Alter von Jahr zu Jahr entscheiden", sagt sie. Der Stolz, es als 42-Jährige allen Skeptikern gezeigt zu haben, ist aus ihren Worten zu hören. "Diese Gesellschaft", sagt Birgit Fischer, "verabschiedet Menschen viel zu schnell aufs Altenteil."

Das Intermezzo im "Deutschen Haus" hat eine Stunde gedauert. Fischer mahnt zum Aufbruch. Im olympischen Dorf hat sie anschließend den Nachmittag "in aller Ruhe" auf ihrem Zimmer verbracht - und Postkarten geschrieben. Das macht sie immer so, die achtmalige Olympiasiegerin. Auch 2008? "Peking", sagt Birgit Fischer, "soll eine schöne Stadt sein." Eine wie sie ist nie satt.