Nur noch 28 Tage bis zur Olympia-Eröffnung. Wird alles rechtzeitig fertig? Das Abendblatt schaute nach, fand Lücken, Leute, die die Zweifel nicht mehr hören können - und griechische Effektivität

Athen. Das Chronometer blinkt unaufhörlich. Für jeden sichtbar, der die großzügige Empfangshalle des Organisationskomitees Athen 2004 durch die elektronisch gesicherten Schleusen betritt, verrinnen die Sekunden bis zum Beginn der 28. Olympischen Sommerspiele - ganz auffällig in der Signalfarbe Rot.

Der Countdown mag auf die Besucher, Helfer und Mitarbeiter wie eine Mahnung wirken; er soll es auch - hier drinnen in den klimatisierten Räumen und draußen in der sommerlich heißen Stadt, wo Tausende Handwerker, Ingenieure und Landschaftsbauer weiter kräftig Hand und Maschinen anlegen müssen an die Endausstattung der 35 Wettkampfstätten und deren Zugänge, Zufahrtswege und Inneneinrichtungen. Schon beim Anflug auf die griechische Hauptstadt sind in dem dichten Häusermeer der 4,5-Millionen-Einwohner-Metropole die letzten olympischen Lücken zu erkennen. Im Grau und wenigen Grün der Wohnblöcke und den schmucken weißen Villen am Rand des Talkessels leuchten sie sandfarben, die Kräne metallisch.

In spätestens 28 Tagen müssen alle Arbeiten abgeschlossen sein. Am 13. August will Athen vor den Augen der Welt mit einer imposanten Eröffnungsfeier den Brückenschlag von der Antike in die Moderne begehen und seine Leistungsfähigkeit zur Schau stellen.

Und an jenem Freitag soll dann auch endlich dieses höchst geschäftsschädigende und zahlreiche Besucher abschreckende Gerede ein Ende finden, das der Stadt und dem Land unterstellt, den baulichen, logistischen und organisatorischen Herausforderungen des größten friedlichen Ereignisses der Welt nicht gewachsen zu sein. "Wir werden an diesem Tag ein Ausrufezeichen setzen. Alles wird rechtzeitig fertig sein, wir sind es ja fast schon", lässt Athens Bürgermeisterin Dora Bakoyannis (50) dem Abendblatt auf Anfrage ausrichten.

Dass man durch kluges Nachfragen irgendwann zur wahren Erkenntnis kommen kann, hat Sokrates, der Altmeister der Philosophie ("Ich weiß, dass ich nichts weiß"), den Athenern vor gut 2400 Jahren zu vermitteln versucht. Seine Mitbürger allerdings hatten das ständige Infragestellen von Handlungen und Institutionen ihrer Scheinweisheiten irgendwann satt und verurteilten ihn 399 v. Chr. zum Gifttod. Sokrates, dem sich die Chance zur Flucht bot, akzeptierte den Richterspruch und kippte den Schierlingsbecher.

Heute fällt die Strafe weit geringer aus, wenn der Athener mit der Lieblingsfrage der ausländischen Besucher der vergangenen drei Jahre konfrontiert wird. Er rollt dann meist die Augen, wirft den Kopf in den Nacken und antwortet mit einem Anflug gespielter Enttäuschung über diese Art Unterstellung: Natürlich wird bis zu Olympia alles fertig! Ihr kennt die Griechen nicht!

"Dass ihr uns nicht unterschätzen solltet, müsstet ihr doch seit der Fußball-Europameisterschaft wissen", sagt Alexander Ninnos (29). Der Germanistik-Student ist einer der 60 000 freiwilligen Olympiahelfer, die in diesen Tagen eingekleidet und in ihre Aufgaben während der Spiele eingewiesen werden. Fußballfan Ninnos hat fünf Jahre in München gelebt und den FC Bayern spielen gesehen. Beim Thema "fertig" kann er sich echauffieren. "Wer hat denn fertig? Dass seid ihr Deutschen doch mit eurem Fußball! Warum könnt ihr nicht andere Mentalitäten akzeptieren, immer wollt ihr alles besser wissen. Ihr solltet lieber darüber nachdenken, ob ihr noch alles richtig macht. Wir schaffen alles, was wir uns vornehmen!"

Einer, der die Griechen genau kennt, ist Joachim Köchling (35), Projektmanager Sport & Wirtschaft der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen. Der Hamburger Rechtsanwalt, eingetragenes HSV-Mitglied, ist seit sieben Jahren mit einer Griechin liiert. Er warnt, alles immer mit deutschen Maßstäben messen zu wollen. "Die Griechen", sagt Köchling, "arbeiten anders, aber keineswegs schlechter oder weniger effektiv." Während in Deutschland auf Bauten alle Tätigkeiten nacheinander ausgeführt werden, machen die Griechen gern alles gleichzeitig. "Da installiert einer die Heizung und jemand anders fängt neben ihm zu tapezieren an." Das erhöhe das Tempo enorm. Zudem arbeiteten auf Großbaustellen nicht wie in Deutschland nur ein paar Dutzend Leute, sondern Hunderte.

Das Problem sei, meint Köchling, "die Griechen haben nun mal riesigen Spaß daran, genau im letzten Moment fertig zu werden. So'n richtiges Fotofinish, das fänden sie am schönsten". Welche verheerende Außenwirkung diese Einstellung zuletzt zeitigte, hat er seinen Gesprächspartnern mühsam erklären müssen. Köchling: "Viele ausländische, auch deutsche Firmen engagieren sich nicht bei Olympia in Athen, weil sie Imageverluste befürchten und nicht ins vermeintliche Chaos investieren wollen. Selbst die Zahl der Olympiabesucher wird weit geringer ausfallen als erhofft. Wer bucht schon ein Hotel, von dem er bloß die Blaupause kennt?" Wenn er den Griechen etwas vorwerfe, dann dies: "Die schlechte Öffentlichkeitsarbeit hat Athen unnötigen Schaden zugefügt. Ich bin sicher, wir werden sehr schöne Spiele erleben."

Davon ist auch Maik-Detlef Hundt überzeugt. Der 38-Jährige ist Manager der Heidelberger Firma Bung, die 60 Prozent der Bauprojekte organisatorisch und fachlich begleitet. 100 Mitarbeiter sind für das Unternehmen in Athen. Sie betreuen ein Bauvolumen von rund einer Milliarde Euro. "Alles wird rechtzeitig fertig gestellt und funktionieren", sagt Hundt, "kein Wettkampf wird ausfallen, es wird nirgendwo Behinderungen geben." Mit der erfolgreichen Installation des 16 000 Tonnen schweren Daches auf dem Olympiastadion sei vor drei Wochen das letzte Restrisiko gebannt worden. Was jetzt noch auf dem Plan stehe, seien im Vergleich dazu Kleinigkeiten. "Wenn Sie gesehen hätten, wie einige Baustellen vor vier Wochen ausgesehen haben, würden sie jetzt alles viel gelassener betrachten." Zeit, meint Hundt, sei in Griechenland ein relativer Begriff: Nutzt man sie nicht, hat man wenig, nutzt man sie, hat man viel.

Auch der olympische Geist wird sich in den nächsten vier Wochen mühen müssen. Noch ist von ihm wenig zu spüren. Athen lebt immer noch die Heldentaten der griechischen Fußballer aus. Rehhagel- und Charisteas-Trikots bleiben die Verkaufsschlager in den Läden. Olympia muss warten. Noch 28 Tage.