Rückschlag im Rennen um die Meisterschaft - Gomez konnte treffen, weil sich in der Hamburger Defensive einige grobe Nachlässigkeiten eingeschlichen hatten. Bilder vom Spiel: HSV gegen Stuttgart.

Stuttgart. Schlusspfiff in Stuttgart. HSV-Torwart Frank Rost zog sich sein Trikot über den Kopf - und zog es wieder an. Der 35-jährige Keeper war außer sich. Er warf sich in Rage im HSV-Strafraum zu Boden und hämmerte mit den Fäusten auf dem Rasen herum. Ein skurrile Szene, Rost trieb eine Mischung aus Verzweiflung, Frust und Wut. Sekunden zuvor hatte er das einzige Mal an diesem Sonntag den Ball aus seinem Tor holen müssen, der VfB Stuttgart hatte 30 Sekunden vor Ablauf der zweiminütigen Nachspielzeit das 1:0 erzielt.

"Das ist eine der schlimmsten Niederlagen meiner Karriere", bekannte der HSV-Torwart. Er, der sonst nie mit seiner Meinung hinter dem Berg hält, demaskierte diesmal keinen Schuldigen - Rost biss sich auf die Lippen. Wohl wissend, dass ohnehin alle im Stadion den Namen des Hamburger Sündenbocks kannten: Albert Streit. Seit Stuttgart, seit diesem 12. April, hat der HSV einen Streit-Fall.

In jener Sekunde, als der Schlusspfiff von Schiedsrichter Wolfgang Stark ertönte, stand Albert Streit auf Höhe Mittellinie. Während einige HSV-Spieler wie auf Kommando vor Enttäuschung zu Boden gingen, verschwand Streit auf dem direkten Wege in den Stadionkatakomben. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Ob er genau wusste, was er verbockt hatte? Ob er auch wusste, wie verärgert seine Kollegen, die Offiziellen und die Fans waren? Es wird sein Geheimnis bleiben. Schweigend stieg Streit nach dem Duschen in den Mannschaftsbus.

Allen Beteiligten wird diese Szene in der 92. Minute wohl nicht so leicht aus den Köpfen gehen: Jerome Boateng hatte sich einen Fehlpass erlaubt, der VfB Stuttgart griff an. Auf der linken Seite erhielt Simak den Ball, nur in Sichtweite des VfB-Spielers sein "Bewacher" Albert Streit. Ihm hatte Trainer Martin Jol zuvor mehrfach gesagt, dass er sich um Simak zu kümmern, dass er dessen Flanken und Schüsse zu verhindern hätte. Offenbar verhallten die Bitten und Anweisungen des Trainers ungehört. Streit, erst zehn Minuten im Spiel und eigentlich noch frisch, lief nur halbherzig zu Simak, konnte die Flanke in den HSV-Strafraum so natürlich nicht mehr verhindern.

Als der Ball in die Mitte flog, stand Boateng im Niemandsland, hatte Mickael Tavares den Stuttgarter Hitzlsperger allein laufen lassen müssen - Tavares war offenbar am Ende seiner Kräfte. Hitzlsperger schoss, Rost parierte großartig, aber Gomez traf im Nachschuss - 1:0, der VfB hatte doch noch gewonnen. Und der Sünder aus Hamburger Sicht hieß Streit. Albert Streit. 29 Jahre alt, ausgeliehen vom FC Schalke 04. Der nicht immer pflegeleichte Mittelfeldspieler, der in seinen früheren Klubs schon einige Male böse angeeckt ist, müsste eigentlich um seine (fast schon) letzte Chance in der Bundesliga kämpfen, er müsste grätschen, laufen, Rasen fressen - aber er trottet, wenn er denn mal spielt, still und in einem Tempo vor sich hin. Null Biss, kein Aufbäumen, da wird ohne Temperament jegliche kollegiale Hilfe vergessen - Streit "daddelt" phlegmatisch seinen Stiefel herunter. Eben so wie in jener 92. Minute in der Mercedes-Benz-Arena zu Stuttgart. "Das war eine Verkettung von drei, vier Fehlern, die zu diesem Tor führten", sagte HSV-Trainer Martin Jol am Tag danach etwas nachsichtig und wohlwollend. Er will, das ist ganz offensichtlich, jegliche Unruhe in seinem Team vermeiden.

Schon unmittelbar nach dem Spiel hatte sich Jol stark bremsen müssen: Er hatte den Streit-Fall im Kopf, er wurde danach gefragt, aber der Trainer behielt die Ruhe. Er ließ seine Wangenzähne wieder und wieder aufeinander mahlen, aber die Wahrheit, die Enttäuschung dieses Spiels, die platzte nicht aus ihm heraus. Jol sagte lediglich: "Ich will erst mit der Mannschaft reden ..." Und mit Streit?