Sechs Wochen nach Beginn der Affäre um den deutschen Handball-Rekordmeister THW Kiel hat erstmals ein Verantwortlicher des Vereins öffentlich...

Kiel. Sechs Wochen nach Beginn der Affäre um den deutschen Handball-Rekordmeister THW Kiel hat erstmals ein Verantwortlicher des Vereins öffentlich Mutmaßungen über bisher ungeklärte Zahlungsströme und Bargeldabhebungen von insgesamt 152 000 Euro angestellt. "Zu den Geldern habe ich meine eigene Theorie", sagte Trainer Alfred Gislason den "Kieler Nachrichten", "wenn ein junges Talent aus dem Ausland geholt werden soll, dann werden oft auch weit im Voraus Handgelder gezahlt." Der Isländer glaubt an die Unschuld des langjährigen THW-Managers Uwe Schwenker, der Anfang der Woche auf Druck der THW-Gesellschafter zurückgetreten war. Schwenker wird vorgeworfen, bis zu zehn Spiele der Champions League mittels Schiedsrichterbestechung manipuliert zu haben. Die Staatsanwaltschaft Kiel ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts der Untreue. Der 50-Jährige bestreitet alle Vorwürfe und schweigt ansonsten.

Schwenker wird inzwischen von weiteren Zeugenaussagen belastet, die bestätigen, dass er auf einer Party des HSV-Präsidenten Andreas Rudolph Ende Juli 2007 auf Mallorca gesagt haben soll, der damals drei Monate zurückliegende Champions-League-Triumph gegen die SG Flensburg-Handewitt habe die Kieler 90 000 Euro gekostet, weil man diesen Pokal nur gewinnen könne, wenn man sich auf einen Deal mit den Schiedsrichtern einlasse. Gegenüber anderen Personen soll Schwenker die Summe von 120 000 Euro genannt haben. Die inkriminierten polnischen Referees Miroslaw Baum und Marek Goralczyk weisen diese Anschuldigungen bis heute zurück.

Die Europäische Handball-Föderation (EHF) hat jetzt angekündigt, bis zum 29. April, dem Tag des damaligen Finalrückspiels gegen Flensburg, ein Disziplinarverfahren gegen den THW Kiel einleiten zu wollen. Nach zwei Jahren wären die Vorfälle anderenfalls verjährt. Kiel droht beim Nachweis einer Schiedsrichterbestechung wegen grober Unsportlichkeit eine mehrjährige Sperre für die Europapokal-Wettbewerbe. Die SG Flensburg hat derweil Schadenersatzforderungen angemeldet: 160 000 Euro als entgangene EHF-Siegprämie, dazu die Gelder, die aufgrund von Zielvereinbarungen mit Sponsoren 2007 fällig geworden wären.

Die Erfolgsaussichten sind indes gering. Bisher gibt es für die Vorwürfe gegen Schwenker und den THW Kiel nur zahlreiche Indizien, aber keine gerichtsfesten Beweise. Hinzu kommt: Selbst wenn die Bestechung belegt würde, resultierten dadurch nicht zwangsläufig Regressansprüche. Erst wenn nachgewiesen werden kann, dass die Schiedsrichter manipulativ in das Spiel eingriffen haben, hätte eine Zivilklage gegen den THW Aussicht auf Erfolg. An den Entscheidungen der polnischen Unparteiischen gäbe es jedoch keine Beanstandungen, ließ die EHF vor dreieinhalb Wochen verlauten, nachdem unabhängige Experten das Finalrückspiel analysiert hatten.

Auf der schwierigen Beweislage beruht auch die Strategie der Kieler. Sie wollen offenbar die Affäre aussitzen. Das sollen Gesellschafter des Vereins intern als Losung ausgegeben haben. Schwenker wäre in diesem Fall das Bauernopfer. Weil er über die strittigen Geldzahlungen keine Auskunft gibt, muss er mit einer Verurteilung wegen Untreue rechnen, wohl maximal mit einer Bewährungsstrafe unter einem Jahr. Würde Schwenker dagegen beweisen können, dass sein Handeln mit Teilen des Vereins abgestimmt war, hätte er strafrechtlich keine Konsequenzen zu erwarten. Der Imageschaden für den THW wäre allerdings in diesem Fall größer als ohnehin schon.

Die Handball-Bundesliga wiederum, allen voran Geschäftsführer Frank Bohmann, will sich mit der defensiven Informationspolitik ihres Vorzeigeklubs nicht mehr zufrieden geben. Der Druck auf den THW, die den gesamten Handball belastenden Vorwürfe aufzuklären, müsse erhöht werden, heißt es in der Liga. Die Unterstützung für eine entsprechende Initiative des HSV wächst. Wegen der Kieler Affäre droht den Hamburgern ein lukrativer Sponsorenvertrag mit dem Energieversorger Vattenfall wegzubrechen.