Es ist in diesen Tagen auf den ersten Blick schwierig, aus Susi Kentikian schlau zu werden. Da hat die 21 Jahre alte Profiboxerin heute (22.15 Uhr,

Hamburg. Es ist in diesen Tagen auf den ersten Blick schwierig, aus Susi Kentikian schlau zu werden. Da hat die 21 Jahre alte Profiboxerin heute (22.15 Uhr, ProSieben live) in der Sporthalle Hamburg gegen Elena Reid den härtesten Kampf ihrer Karriere vor sich, und trotzdem wirkt sie vor dem Showdown mit der 27 Jahre alten US-Amerikanerin so entspannt wie lange nicht. Reid hatte im September 2004 ein mehr als verdientes Remis gegen die im November 2007 zurückgetretene deutsche Boxqueen Regina Halmich erreicht und den Rückkampf im Dezember 2005 nur knapp nach Punkten verloren. Alle Experten glauben, dass Kentikian in den 23 Kämpfen ihrer seit Januar 2005 währenden Profilaufbahn keine stärkere Gegnerin vor den Fäusten hatte. Dennoch ist von negativer Anspannung nichts zu spüren.

Wer nach dem ersten Blick Gründe für die gute Laune sucht, findet einige. Das Gewichtmachen, um das Fliegengewichtslimit von 50,802 kg zu erreichen, das aus der Weltmeisterin der Verbände WIBF und WBA ein Nervenbündel zu machen pflegte, ist ihr dank ausgewogenerer Ernährung und einer Trainingsphase ohne große Komplikationen leichter gefallen. Vor allem aber hat die Tatsache für Entspannung gesorgt, dass die 1,53 m kleine Powerfrau ihre Kraft in den Tagen vor dem Kampf in die Vorbereitung investieren konnte. Langwierige Medientermine, die sie vor ihren vergangenen Titelverteidigungen hinter sich bringen musste, waren auf Betreiben von Trainer Magomed Schaburow untersagt. Zudem hat das Heimspiel in Hamburg Einfluss auf das Wohlgefühl der Sportlerin, die das heimische Bett in der Rahlstedter Wohnung ihrer Eltern dem Hotelzimmer vorzieht. "Ich fühle mich zuhause einfach wohler, deshalb boxe ich am liebsten in Hamburg", gibt sie zu.

Gegen Reid, die in den USA als Boxerin so wenig verdient, dass sie sich zusätzlich in lukrativen "Käfig-Kämpfen" der Ultimate Fighting Championship verdingt, wird das Wohlgefühl der Weltmeisterin indes nicht nur vom Ausgang des Kampfes abhängen. Vielmehr hat sie sich vorgenommen, einen neuen Kampfstil umzusetzen, den sie in den vergangenen Monaten als Konsequenz aus den Ringschlachten mit der Israelin Hagar Shmoulefeld Finer und der Russin Anastasia Toktaulova, die beide über zehn Runden gingen, einstudierte. Motto: Vorsicht mit Aggressionen paaren. "Ich habe in den letzten beiden Kämpfen versucht, vorsichtiger zu boxen, weil ich Cutverletzungen hasse. Aber ich habe gemerkt, dass meine Fans Action erwarten. Deshalb muss ich versuchen, beides zu verbinden und aggressiv zu sein, ohne den Knockout erzwingen zu wollen", sagt sie. Dabei helfen soll ein neuer Walk-in-Song. Der heißt zwar weiterhin "Killer Queen", ist aber nicht mehr der Hit der Rockgruppe "Queen", der sie bislang beim Einmarsch in die Halle begleitete, sondern ein vom Hamburger Musiker Toni Cottura produzierter Rap-Titel.

Die Angst vor Cutblessuren, die Kentikian zuletzt zum Anziehen der Handbremse zwang, hat allerdings einen tiefer liegenden Grund als nur Scheu vor einer durch Verletzung bedingten Abbruch-Niederlage. Weil das "Fight Night"-Konzept des Hamburger Spotlight-Profistalls, bei dem Kentikian unter Vertrag steht, bei ProSieben zum Jahresende auszulaufen droht, macht sich die gebürtige Armenierin, die seit Sommer vergangenen Jahres den deutschen Pass besitzt, auch Gedanken um ihre berufliche Zukunft. Ihr umtriebiger PR-Manager Christoph Wesche möchte seine Klientin ob deren Lebensgeschichte - als Fünfjährige mit der Familie aus Armenien geflohen, in Deutschland bis zur Unterschrift unter den Profivertrag mit der Abschiebung bedroht - als Musterbeispiel für gelungene Integration in die Politik einführen. Gespräche mit hochrangigen Landes- und Bundespolitikern laufen. Zu viele Narben im Gesicht könnten da der optischen Vermarktbarkeit schaden.

Ihre Kampfeslust sollen derlei Überlegungen jedoch nicht beeinflussen. Kentikian freut sich, dass ihr Promoter Dietmar Poszwa "mir jetzt zutraut, gegen eine Gegnerin wie Elena Reid zu bestehen. Früher hieß es auf meine Bitte um einen Kampf gegen sie immer, ich bräuchte noch Zeit." Diese Zeit ist jetzt gekommen. Und deshalb ist Susi Kentikian auch nur auf den ersten Blick schwer zu verstehen.