Das bisherige Abschneiden des HSV ist grandios. Der Klub tanzt auf drei Hochzeiten und macht keine Anstalten, übermütig oder größenwahnsinnig zu werden. Darum hier eine ganz persönliche Bitte an den Trainer.

Lieber Martin Jol,

nach dem Ligasieg gegen Bayern München habe ich Ihnen einen fußballerischen Liebesbrief gewidmet, nach der Pleite gegen Karlsruhe eine gehörige Beschwerde - diesmal möchte ich einen Wunschzettel formulieren. Ich weiß, dass sich viele Hamburger Fußballfans derzeit wie kleine Kinder in der schier unendlich langen Vorweihnachtszeit fühlen und sich sorgen, dass die vielen in der Phantasie ausgemalten Geschenke am Festtag vielleicht doch nicht auf dem Gabentisch beziehungsweise unterm Baum landen. Und mindestens die gefühlte Hälfte würde das Angebot annehmen, wenn die Bundesligasaison mit dem heutigen Tage beendet sein würde, denn dann wäre die Champions-League-Teilnahme gesichert.

Fußballexperten wie Sie schütteln natürlich energisch mit dem Kopf, wenn Sie Glückwünsche für das Erreichte oder verfrühte Lobeshymnen zu hören bekommen. Das ist mehr als verständlich, schließlich ist die Saison noch unheimlich lang. Zwölf Spieltage, vielleicht zwei Pokalspiele, hoffentlich mehr als die zwei kommenden Uefa-Pokal-Partien. Was sind die zweifelsohne grandiosen Momentaufnahmen wert, wenn Sie und der HSV am Ende mit leeren Händen dastehen, womöglich nach einem unglücklichen Aus im DFB-Pokal, auf Rang sechs in der Liga und mit einem Abschied im Uefa-Cup-Achtelfinale? Die Antwort fällt leicht: nichts. Im Gegenteil: Hohn und Spott der Experten wären Ihnen und Ihren Schützlingen garantiert. Sie müssten sich eventuell sogar Spitznamen wie "Titel-Deppen" oder "Last-Minute-Schlafmützen" anhören. Ganz klar: Nun beginnt die Phase der Saison, in der Sie mit Ihrem Team nicht nur etwas gewinnen, sondern auch jede Menge verlieren können.

Genug gesabbelt. Auf meinem Wunschzettel an Sie steht nur ein einziger Satz: Bleiben Sie bitte Ihrer Linie treu.

Dieser Wunsch beinhaltet alle Sehnsüchte der Hamburger Anhänger, die in dieser Stadt hochklassigen Fußball verfolgen und eine weitere Positiventwicklung genießen möchten. Bereiten Sie Ihre Mannschaft akribisch vor, analysieren Sie die Stärken und Schwächen der Konkurrenten, stutzen Sie Ihren "Pflegefällen" im Kader (die hat jedes Team von der Königs- bis zur Kreisklasse) weiterhin konsequent die Flügel, schmeißen Sie weiterhin Neulinge und auch Jungspunde ins Team (denn nur so können sie Erfahrungen sammeln und mittelfristig zu gleichwertigen Alternativen werden), harmonieren Sie weiterhin so gut mit Sportchef Dietmar Beiersdorfer, kritisieren Sie weiterhin direkt und sachlich, überlassen Sie den Größenwahn anderen (aus München) und lassen Sie sich bloß nicht durch die aufkeimende Megaeuphorie in der Hansestadt aus der Ruhe bringen.

Hamburg und speziell die HSV-Fans, das werden Sie in den kommenden Wochen und Monaten merken, steht wie eine Eins hinter Ihnen. Sie haben mit Ihrem Team intern viel bewegt und bewegen so die erfolgshungrigen Massen. Machen Sie einfach weiter wie bisher. Ein Dreier in Mönchengladbach ist emFohlen, ein Sieg gegen Galatasaray Istanbul würde ein Jubel-Dönerwetter auslösen - und das Ticket zum Pokalfinale nach Berlin würde nicht nur Ihrem Klubboss Bernd Hoffmann Freudentränen ins Gesicht treiben.

So, lieber Martin Jol, jetzt ist Schluss mit dem Wunschzettel. Als Gegenleistung im Falle der Erfüllung kann ich Ihnen nicht viel bieten. Kinder erklären in der Vorweihnachtszeit meist, dass sie "immer artig" sein würden. Erwachsene geloben, sich mehr Zeit für ihre Liebsten zu nehmen. Mit solch großen Einsätzen kann ich nicht dienen. Als Fußball-Liebhaber würde ich in der kommenden Saison aber versprechen, auch sportliche Rückschläge (die unabdingbar sind) etwas gelassener hinzunehmen - sofern der eingeschlagene Weg beibehalten wird.