Lange sah es so aus, als könnte der Gastgeber 2010 den Zeitplan nicht einhalten. Doch jetzt ist der Weltverband Fifa voll des Lobes für die Nation. Eine Reise durch das “Soccer-Land“.

Johannesburg. Joe Mthimka zieht sein rechtes Bein ein wenig hinter sich her, als er zu dem staubigen Platz geht. Vor vielen Jahren brach er es sich und erlebte, was Tausende Menschen hier in Gugulethu erleben, einem Township 15 Kilometer vor Kapstadt: "Keine Krankenversicherung, keine ordentliche Behandlung", sagt der 53-Jährige, "so ist das nun mal."

Trotzdem hat er sich zu einem der besten Jugendtrainer Kapstadts entwickelt, einer der nie Grenzen kannte: Schon zu Apartheid-Zeiten trainierte er eine Mannschaft mit weißen Kindern, er ist hier eine Legende. Langsam kommt die A-Jugend der Cape Town Pirates vom Feld. Sie haben ein paar Touristen mitspielen lassen, lachen mit ihnen, klopfen den hoffnungslos unterlegenen Gästen auf die Schultern. Mthimka hat ein paar Sprüche für die Gäste parat ("bedingt WM-tauglich"), dann analysiert er einige Spielzüge, die Jugendlichen hängen an seinen Lippen. Menschen wie er sind die Seele des südafrikanischen Fußballs.

In 500 Tagen, dem Tag des Finales am 11. Juli 2010, wird klarer sein, wie viel Seele des afrikanischen Fußballs es tatsächlich in die zehn WM-Stadien geschafft hat. Wie viele von Mthimkas Jungs sich Karten leisten konnten und ob die Weltmeisterschaft, die am 11. Juni beginnt, wirklich so vieles zum Guten verändert hat, wie die Südafrikaner hoffen.

Daran glauben inzwischen zumindest immer mehr. 77 Prozent der Südafrikaner geben einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsunternehmens "Sport +Markt" zufolge an, sie seien heute zuversichtlicher für den Erfolg des Turniers als noch bei der Vergabe im Jahr 2004. Sogar 91 Prozent erwarten eine bessere Infrastruktur und 83 Prozent höheres Ansehen im Ausland.

Anlass zu Optimismus gibt es inzwischen reichlich. Nachdem die Fifa vor einem Jahr noch mehr oder weniger offen eine Verlegung der WM erwogen hatte, ist ihr Präsident Sepp Blatter nach Inspektionstouren voll des Lobes. "Wir haben vollstes Vertrauen, dass Südafrika dieses Turnier organisieren kann", betonte er, auch wenn wegen der Wirtschaftskrise "nicht der gleiche Ertrag wie bei der WM 2006 zu erwarten ist". Die Welt war damals eine andere.

Doch die Nachfrage ist schon jetzt immens. Seit sechs Tagen läuft die erste Verkaufsphase für 740 000 der insgesamt drei Millionen Tickets - in einem Optionsmodell, weil nicht vor Dezember die Spielpaarungen und Teilnehmer feststehen. Binnen 24 Stunden gab es eine Viertelmillion Bewerbungen für Tickets. Mthimkas Spieler gehörten nicht dazu, obwohl es in der billigsten Kategorie für Südafrikaner schon ab zwölf Euro Tickets gibt. Nur: Zwölf Euro bedeuten für viele Einheimische ein halbes Monatsgehalt.

Barry Pollen wird da sein. 1400 Kilometer vom Bolzplatz in Gugulethu entfernt, steht der stämmige Ire in einem Konferenzraum, nebenan ist eine der größten Baustellen des Landes: das Soccer-City-Stadion von Johannesburg, Schauplatz von Eröffnungsspiel und Finale. Pollen ist für die Koordination der Bauphasen verantwortlich. Sein Arbeitgeber Intelligent Venues Solutions hatte zuvor den Neubau des Wembley-Stadions in London gemanagt.

In der Hand hält er eine Fernbedienung für den Video-Beamer. Über die Leinwand flimmert eine mit futuristischen Tönen unterlegte Computeranimation der fertigen 94 000-Zuschauer-Arena. "Soccer City wird zu den besten Stadien der Welt gehören", sagt er. Pollen ist ein PR-Profi.

Im September soll die Arena an den Fußballweltverband Fifa übergeben werden, "auf absolutem Weltklasse-Niveau", wie der Ingenieur versichert. Umgerechnet knapp 200 Millionen Euro wird der Umbau des alten FNB-Stadions dann gekostet haben - es ist der größte Posten des 900 Millionen Euro schweren Etats für die zehn Stadien. Die Fifa und ihre Sponsoren sind besonders hier in Johannesburg allgegenwärtig. Das WM-Büro des Weltverbandes ist nur 100 Meter von der Soccer City entfernt, in einem Haus, dessen Dach die Form eines Fußballs hat. Und Coca-Cola hat als einer der wichtigsten Geldgeber die erste "Baustelle" bereits abgeschlossen: Von einem alten Industrieturm leuchtet seit einiger Zeit das überdimensionale Firmenlogo.

Im Vergleich zu anderen Baustellen war es ruhig in Johannesburg. In Kapstadt und Nelspruit aber versuchten die oft lausig bezahlten Bauarbeiter, mit Streiks höhere Löhne zu erreichen - ein Problem, das auch mit einem leistungsbezogenen Prämiensystem und zwei WM-Tickets für jeden Bauarbeiter nicht ganz gelöst wurde. Erst vergangene Woche wurden im Stadion von Nelspruit 400 Bauarbeiter wegen eines weiteren Streiks entlassen.

Eine Ausnahme, zum Glück - viel Zeit bleibt nicht. Doch die anderen Stadien haben Rückstände aufgeholt, nachdem die Fifa im vergangenen Frühjahr 2008 noch nervös geworden war - Port Elisabeth sollte eigentlich schon für den Konföderationen-Pokal im Juni 2009 bereit sein. Als sich das als utopischer Plan erwies, löste man das Problem afrikanisch: Kurzerhand spielt man anstatt in fünf in nur vier Arenen.

Das Miniturnier wird einen ersten Vorgeschmack auf die WM geben - dabei gibt es den jede Woche, im Ellis Park von Johannesburg. Die Orlando Pirates spielen hier. Manche halten den Verein für einflussreicher als die Regierung. 20 000 sind gekommen zum Duell gegen den Tabellenvorletzten Bay United. Es hört sich eher nach 100 000 an. Tausende blasen in ihre Vuvuzelas, Plastiktrompeten, die ein wenig wie Elefanten klingen und von der Fifa vor ein paar Monaten auch für die WM genehmigt wurden - das Turnier braucht diese Bilder, die Sponsoren brauchen sie. 90 Minuten singen, tröten und tanzen die teilweise wild mit Totenkopfkostümen verkleideten Fans, trotz eines enttäuschenden 1:1.

Dieser Verein ist wie eine Religion. Mark Fish trinkt in einer Hotelbar einen Schluck Rotwein und nickt. "Einmal Buccaneer, immer Buccaneer", sagt er und meint damit seine Zeit als Spieler bei den Pirates. Der 34-Jährige spielte Anfang der Neunzigerjahre für den Klub. "Ich hatte am Anfang Angst, als wir zu Spielen nach Soweto gefahren sind. Aber es ist überall in der Welt das Gleiche - sobald es um Fußball geht, verstehen sich die Menschen."

Fish gewann mit Südafrika 1996 sensationell den Afrika-Cup. "Der Sport hat uns geholfen, als Nation ein Stück weit zusammenzufinden."

Dann fängt der Hüne mit den vielen Tattoos an zu schimpfen. Auf das aktuelle Team und den Fußballverband Safa, der seit dem Titel im Jahrestakt Nationaltrainer verschlissen hat - aktuell zählt der WM-Gastgeber nicht einmal mehr zu den zehn besten afrikanischen Teams. "Das Land wird zur WM 2010 bereit sein. Ich hoffe, unsere Nationalmannschaft auch."

An Talenten mangelt es Südafrika jedenfalls nicht. Wer ein paar Stunden über die Autobahnen und Landstraßen fährt, sieht am Straßenrand immer wieder improvisierte Bolzplätze, an denen Kinder dem Ball hinterherrennen. Woran es mangelt, ist Struktur.

Kai Hill will das wenigstens ein wenig ändern, eine Stunde außerhalb von Pretoria. Seit zweieinhalb Jahren baut seine Organisation Stars of Tomorrow in der Gemeinde Soshanguve ein System aus Trainern, Bussen und Unterkünften auf, um bis zur WM 2010 mindestens 2010 Kindern über den Fußball Zugang zu Bildung zu schaffen.

Der Berliner Werbemanager steht vor einer Mammutaufgabe. Doch er hat es irgendwie geschafft, das Projekt zum Laufen zu bekommen. Derzeit sind die Bauarbeiten für ein Schulungszentrum im Gange, vor ein paar Tagen hat er die Universität Stellenbosch als Kooperationspartner gewonnen.

Die Trainer bauen Aufklärungsarbeit in die Arbeit ein. Mit Zweigen legen die Kinder die Wörter "Aids is real" auf die Erde. Jeder fünfte südafrikanische Erwachsene ist HIV-positiv, es geht um Bewusstsein. Vor ein paar Monaten weihte Stars of Tomorrow einen Sportplatz ein und organisierte ein Turnier. 160 Kinder spielten, während ein paar Meter weiter sechs Menschen begraben wurden, einige waren an Aids gestorben. "Dieses Nebeneinander aus Fröhlichkeit und Trauer war sehr bedrückend", sagt Hill.

Auch hinter den lachenden Gesichtern bei Stars of Tomorrow verstecken sich derartige Schicksale. Der 15 Jahre alte Prince Thabo ist der Kapitän des Teams Soshanguve. Seinen Vater sah er nie, die Mutter starb vor einem Jahr plötzlich. Nun lebt er bei der Großmutter. Doch die sieht ihn nur selten. Meistens ist Thabo auf dem Fußballplatz. Trübe Gedanken lässt er hier einfach nicht zu. "Die WM 2010 kommt für mich zu früh", grinst er. Eine Sekunde überlegt er: "Aber 2014 bin ich dabei."