Spuren der Vergangenheit: Collin Benjamin erinnert sich an seine erste Wohnung in Hamburg, 100 Mark Taschengeld und seinen Schritt zu den Profis. Bilder von Collin Benjamin.

Hamburg. "Da oben haben meine Füße aus dem Fenster gebaumelt, wenn es im Sommer zu heiß war", erzählt Collin Benjamin und zeigt auf ein kleines Fenster im ersten Stock der Pinneberger Straße 7 in Schnelsen. Der Namibier zögert eine Sekunde, schaut sich noch mal das Fenster an und nickt zufrieden: "Ja, Mann, hier ging alles los. Von Schnelsen in die Champions League - cool!"

Heute ist Benjamin der dienstälteste HSV-Profi, hat in allen europäischen Wettbewerben gespielt und ist ein Allrounder, der sich aktuell wieder in die Startelf gespielt hat. So auch für das Spiel am heutigen Sonnabend (15.30 Uhr) beim KSC. Dennoch könnte nächstes Jahr Schluss sein, der Vertrag läuft aus.

Doch während Benjamin für das Abendblatt die Orte in Hamburg besucht, wo alles begann, kommen eher Erinnerungen hoch, weniger Abschiedsgedanken. Im Juli 1999, mit nur 20 Jahren Lebenserfahrung in Namibia und einem frischen Schulabschluss in der Tasche, machte Benjamin seine erste große Reise. Eine, die bis heute andauert. "Ich hatte damals gehofft, mir mit Fußball ein paar Mark zu verdienen, und alles auf eine Karte gesetzt. Dass es am Ende zum Profi reicht, das hätte ich nie gedacht." Zusammen mit Kumpel Floris Diergaard, dem eigentlich größeren Talent, spielte er zunächst für Germania Schnelsen. Seine Entlohnung: freie Unterkunft in der Pinneberger Straße und 100 Mark Taschengeld pro Woche. "Wenn wir unser Geld bekamen, sind wir zur Videothek in die Kieler Straße und haben es in Videos investiert. Dann ging es auf unsere 36 Quadratmeter große Bude vor den Fernseher und später zum Training."

So ging es bis zum Dezember 1999. Bis Benjamin und sein Freund Diergaard über Weihnachten zu ihren Familien flogen. "Nach Schnelsen zurück bin ich allein", erinnert sich Benjamin heute, "Floris durfte nicht mehr, weil er zu wenig Geld mit nach Hause gebracht hatte." Und so kam es, dass Benjamin heute Fußballmillionär ist und Diergaard in Namibia bei einem Telekommunikationsunternehmen arbeitet.

Denn in Hamburg ging es plötzlich schnell. Im Januar 2000 meldete sich Rasensport Elmshorn, verpflichtete den im rechten Mittelfeld auffälligen Verbandsligakicker für die Oberliga-Mannschaft. Statt in der Pinneberger Straße mit 400 Mark im Monat spielte der damals 21-Jährige plötzlich für 800 Mark und wohnte im Hotel Zum Tannenbaum. Allerdings nur für ein Jahr. Da kam der HSV, verpflichtete den Namibier im Dezember 2000. "Der Profitrainer Frank Pagelsdorf fand mich gut und holte mich wieder nur ein halbes Jahr später zu den Profis. Das war der Startschuss in meinen Traum. Nicht nur, dass ich endlich gutes Geld verdiente, ich konnte auch endlich meine Freundin Winnie nach Deutschland holen."

2004 folgte die Hochzeit, bis heute kam Benjamin auf 128 Bundesligaspiele. Sollte 2010 beim HSV Schluss sein, zöge es ihn in die Ferne. Gerne würde er seinem ehemaligen HSV-Kollegen Raphael Wicky in die Major League Soccer (MLS) in die USA folgen. "Dort noch zwei Jahre und Feierabend - dann hätte ich alles." Ob es stört, bisher nur in Hamburg gespielt zu haben? "In Namibia haben zwei Millionen Menschen keine Schuhe - ich würde Gott anlügen, wenn ausgerechnet ich mich jetzt über etwas in meiner Karriere beschweren würde."

Hamburg wird, das steht fest, nicht seine Heimat bleiben. Benjamin: "Ich baue in Namibia Häuser, möchte wieder zu meiner Familie." Neben seinen Brüdern Senga (23) und Shakes (16) leben auch seine ältere Schwester Attie (37) und Mutter Hilma dort. Collins Vater verstarb im März vergangenen Jahres nach einem Autounfall. Collins traurigster Tag. "Verarbeiten kann man so etwas nie ganz", sagt Benjamin, "aber es bewirkte eine noch stärkere familiäre Bindung." Unvergessen sei ihm eine Szene in Namibia beim gemeinsamen Fernsehen, als sein jüngerer Bruder plötzlich seine Hand griff und nicht mehr losließ. "Es war das erste Mal, dass er das machte", schildert Benjamin, "zuerst war es ungewöhnlich - dann nur noch schön." Ein Moment der Nähe, der seine Rückkehrgedanken in die Heimat stärkte. Sein größter Traum? "Irgendwann glücklich mit meiner ganzen Familie zusammen in meinem eigenen Haus - und sorglos die Füße baumeln lassen."


Weitere Bilder zu Benjamins Weg aus Schnelsen zum Fußballprofi finden Sie unter www.abendblatt.de/sport.