In Halle feierte der Deutsche seinen 13. Turniersieg über Star Roger Federer. Doch im Aufgebot für London fehlen deutsche Profis bislang.

Halle/Westfalen. In Wimbledon, da wohnt Boris Becker. Das ist spätestens seit seinem dritten Triumph vor 23 Jahren überall bekannt. Und in seinem Wohnzimmer, da hat Becker immer ein Plätzchen frei für seine Landsleute, die sich ausgesprochen wohl fühlen im All England Club. Beim olympischen Tennisturnier auf dem heiligen Rasen ist jedoch alles anders. Dann ist das IOC Hausherr, und die Türsteher vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) lassen keinen deutschen Spieler in den elitären Kreis hinein - das ist zumindest der aktuelle Stand der Dinge.

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Roger Federer, sechsmaliger Wimbledonsieger aus der Schweiz, kann das nicht verstehen. „Wie hoch die Kriterien angesetzt sind, ist doch ein Witz“, sagte der 16-malige Grand-Slam-Champion, nachdem er höchstselbst erfahren hatte, wie stark vor allem der Hamburger Tommy Haas auf Rasen derzeit auftrumpft.

Der 34 Jahre alte Routinier gewann im Finale der Gerry Weber Open in Halle gegen Federer den insgesamt 13. ATP-Titel seiner Karriere. 7:6 (7:5), 6:4 bezwang Haas den Weltranglistendritten und meldete sich damit als neue Nummer 49 in den Top 50 zurück. Bei Olympia (27. Juli bis 12. August) wird er nach derzeitigem Stand trotzdem nicht dabei sein. Anders als Philipp Kohlschreiber hat Haas nicht einmal die Kriterien des internationalen Tennisverbandes ITF erfüllt (Platz 56 in der bereinigten Weltrangliste vom 11. Juni), und die sind noch deutlich großzügiger als die des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Der DOSB fordert für ein Olympia-Ticket Platz 24 in der bereinigten Weltrangliste vom 11. Juni, eine Viertelfinal-Teilnahme bei einem der letzten drei Grand-Slam-Turniere oder ein Halbfinale bei einem der zurückliegenden fünf Premier Events (Damen) bzw. Masters-Turnieren (Herren). Die bereinigte Weltrangliste ist die, in der nur die vier jeweils besten Spieler eines Landes erfasst sind. Diese vier Startplätze räumt die ITF jedem ihrer Mitgliedsverbände für Olympia ein. Komplettiert werden die 64-köpfigen Hauptfelder in den beiden Einzelwettbewerben durch Wildcard-Starter.

Federer sind Richtlinien ziemlich egal. Der Maestro würde nach eigener Aussage „am liebsten so viele deutsche Spieler wie möglich in London sehen“. Der 30-Jährige sagt: „Kohlschreiber hat Rafael Nadal geschlagen, Tommy hat mich geschlagen, und wir gelten beide als Top-Favoriten für Wimbledon und Olympia.“ Federer appellierte an den DOSB: „Da muss man einfach die Augen aufmachen, einmal über die Grenzen hinwegschauen und das Wesentliche sehen.“

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Das Wesentliche sind vor allem die Medaillenchancen, die Kohlschreiber und noch viel mehr Haas auf Rasen besitzen. Wie bitter Olympia in Wimbledon ohne deutsche Spieler wären, ließ Kohlschreiber nach seiner Halbfinalniederlage gegen Haas in Halle durchblicken. „Ich finde diese ganze Diskussion unangebracht. Das ist ziemlich scheiße“, sagte der 28-Jährige sehr unverblümt.

Um zwei Plätze in der Weltrangliste hat Kohlschreiber die internen Richtlinien verfehlt. Daher macht ihm Klaus Eberhard, Sportdirektor des Deutschen Tennis Bundes (DTB), auch durchaus Mut. „Wir befinden uns in guten Gesprächen mit dem DOSB“, sagte Eberhard: „Ich bin zuversichtlich für Philipp.“

Tommy Haas hält sein Schicksal dagegen wohl selbst in der Hand. So wie Rainer Schüttler vor vier Jahren. 2008 nominierte der DOSB den damaligen Wimbledon-Halbfinalisten, obwohl er die Kriterien der ITF nicht pünktlich erfüllt hatte. Es kam vor Ort in Peking zum Rechtsstreit vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS, letztlich durfte Schüttler starten.

Die letzte Chance wäre eine Wildcard der ITF, die wahrscheinlichste Variante für Haas. Der ehemalige Weltranglistenzweite ist beliebt wie kein zweiter Deutscher auf der Tour, beim Publikum und bei den Veranstaltern. Er spielt spektakulär, mitreißend und nun auch wieder erfolgreich. Für Wimbledon (25. Juni bis 8. Juli) hat Haas bereits eine Wildcard bekommen. Es ist nicht auszuschließen, dass die ITF beim olympischen Turnier nicht auf ihn verzichten will.