Tommy Haas ist mit 34 Jahren der älteste Spieler bei den French Open. Und er greift noch einmal an: Zwei Spiele hat er bereits gewonnen.

Paris. Als Tommy Haas am Donnerstag im letzten Dämmerlicht Platz 6 des Roland-Garros-Tennistheaters mit einem Ausdruck tiefster Zufriedenheit verließ, umjubelt und gefeiert von der deutschen Fankolonie, da wirkte die Szene wie ein Ausflug mit der Zeitmaschine. Dreimal im Verlauf seiner Profikarriere hatte Haas im Operationssaal unterm Messer gelegen und sich an der Schulter operieren lassen müssen, ein ganzes Jahr fiel er dann wegen komplizierter Rücken- und Hüftverletzungen aus, er hatte oft mehr Zeit in Behandlungszimmern verbracht als auf den Centre-Courts des Wanderzirkus. Und doch sah er an diesem letzten Tag im Mai 2012, als er mit einem brillanten 6:3, 6:2, 6:2-Sieg gegen den Ukrainer Sergej Stachowski um halb zehn Uhr abends fast die French-Open-Turnieranlage abschloss, auf einmal aus wie in seinen besten Jahren.

Tommy Haas, das war jener junge Himmelsstürmer, der sogar einmal Platz zwei der Weltrangliste belegt hatte und bei den großen Turnieren eine feste Größe war. "Es ist ein großartiges Gefühl, so Tennis zu spielen", sagte Haas später, der sentimentale alte Held, der auch in Paris zum Liebling des Publikums aus aller Herren Länder geworden ist. "Tommy, Tommy", rufen die Kids dem Deutschen nach, als wäre er ein Teenager-Star - und nicht ein Mann von 34 Jahren, der inzwischen der älteste Spieler in der Herrenkonkurrenz ist. Von wegen 34: "Er spielt wie 24", twitterte in der Nacht des bislang letzten Triumphs seine Gemahlin Sara Foster ins digitale Universum.

Bei seinem wahrscheinlich letzten Pariser Halleluja zeigt Haas den Fans, aber auch dem maladen Rest der deutschen Herrentruppe noch einmal wie unter dem Brennglas, was gefordert ist bei Grand-Slam-Festspielen: Selbstvertrauen, Biss, Leidenschaft, Willenskraft, gute Nerven. Und die Zähigkeit, auch Widrigkeiten im zuweilen chaotischen Turnierbetrieb eisern zu trotzen.

Am Donnerstagabend war Haas erst gegen halb acht auf den Platz marschiert, wieder drohte ihm ein Abbruchmatch, eine zerstückelte Partie über zwei Tage. Doch dann legte der gebürtige Hamburger eine berauschende Grand-Slam-Gala gegen Stachowski hin, die ihm den glücklichen Schlusspunkt gerade noch rechtzeitig vor Ultimo bescherte. Wo seine zuweilen großsprecherischen Kollegen aus dem deutschen Tennisrevier wieder nur das Mögliche unmöglich machten unterm Eiffelturm, war Haas für das Gegenteil zuständig - das Unmögliche möglich zu machen, auch in seiner Außenseiterrolle als Nummer 112 der Weltrangliste. Selbst in seiner Drittrundenpartie gegen den eleganten Franzosen Richard Gasquet, das ewige Talent der Grande Nation, besitzt Haas alle Chancen: "Er ist so gut in Schwung, dass ich ihm auch da einen Sieg zutraue", sagte Davis-Cup-Boss Patrik Kühnen.

Turniere wie die French Open sind die großen Leistungsschauen der Branche - jene Festveranstaltungen viermal im Jahr, bei denen der Status der besten Spieler taxiert und die wahre Hackordnung festgestellt wird. "Es sind die kostbarsten Momente in der Saison, in der Karriere. Die Momente, auf die du hinarbeitest", sagt Haas.

Doch blickte man auf die deutschen Tennisherren, dann lebte nur Haas diese Wahrheit vor - mit dem Mumm, mit dem er in die Spiele ging. Mit der Körpersprache, mit der er seine Gegenspieler einschüchterte. Und mit dieser unbedingten Siegesmoral, mit der er nun schon fünf Triumphe gefeiert hat, drei Siege in der Qualifikation, zwei Siege jetzt im Hauptfeld. Ausgerechnet der älteste Deutsche ist der letzte Deutsche im großen Grand-Slam-Spiel - und der bei Weitem stärkste. "Ich ziehe meinen Hut vor Tommy Haas. Das ist ein großartiger French-Open-Auftritt", urteilte da auch US-Startrainer und Ex-Profi Brad Gilbert über den verletzungsgeplagten Wahl-Amerikaner, den das Gros der Experten schon längst im Ruhestand gewähnt hatte.

Andere deutsche Tennisprofis redeten in Paris nach ihrem mal kläglichen, mal unglücklichen Ausscheiden lang und breit über ihre "gute Einstellung" (Kohlschreiber). Haas hat sie. Und er redet nicht darüber. Bei ihm, dem inzwischen erfahrensten aller Berufsspieler, stimmt das Gesamtpaket genau zum richtigen Zeitpunkt: Zur wohl letzten Tournee über die roten, blauen oder grünen Tennisfelder. "Ich bin so zufrieden wie lange nicht mehr. Ich bin fit und genieße das Tourleben", sagt Haas. Schon in München, als er bei den Internationalen Bayerischen Meisterschaften ins Halbfinale vorgeprescht war, in diesem fünften oder sechsten Tennisfrühling, hatte er angedeutet, dass seine mögliche Abschiedssaison nicht zu einer belanglosen Tingeltour werden würde.

In Paris nun untermauerte er nachdrücklich seinen Ruf als einer der gefährlichsten Spieler, die es außerhalb der offiziell per Rangliste festgestellten Weltspitze gibt. Profis wie Haas, deren Platz in der ATP-Wertung eben nur eine Nummer ist, werden in der Szene gern als "Torpedos" bezeichnet, eine umherschwirrende Gefahr, die selbst Große und Größte jederzeit treffen kann.

Was die kämpferischen Qualitäten angeht, gilt das auch für Angelique Kerber. Die 24-Jährige besiegte Freitagabend die an Position 18 gesetzte Italienerin Flavia Pennetta 4:6, 6:3, 6:2. Die Weltranglistenzehnte aus Kiel erreichte damit als erste Deutsche das Achtelfinale bei den French Open und baute ihre beeindruckende Serie in Dreisatzmatches in dieser Saison auf 14:0 aus. Nach 1:55 Stunden verwandelte Kerber, der viele unnötige Fehler unterliefen, ihren ersten Matchball und trifft nun auf die ungesetzte Petra Martic. Gegen die 21-jährige Kroatin hat sie bisher die beiden einzigen Duelle verloren.

Was Kerber erreicht hat, kann neben Haas auch noch ihre Fed-Cup-Kollegin Julia Görges (Nr. 25) schaffen. Um den Einzug in die Runde der besten 16 trifft die 23-Jährige aus Bad Oldesloe an diesem Sonnabend auf die ungesetzte Niederländerin Arantxa Rus.