Eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn ist ein Abenteuer – und eine gute Möglichkeit, Russlands Weite und Seele zu entdecken.

Na, dann zieht euch mal warm an!“ Das war noch der freundlichste Kommentar, als ich im Freundeskreis von unseren Plänen erzählte, ausgerechnet im Winter mit der Transsibirischen Eisenbahn quer durch Russland bis in die Mongolei zu reisen.

Sicher, eine Reise in den sibirischen Winter hat noch immer einen Hauch von Abenteuer. Als wir am Jaroslawler Bahnhof in Moskau in den Zug einsteigen, empfängt uns Marina Nikolajewa mit einem freundlichen Lächeln. Sie ist eine der beiden Schaffnerinnen, die in unserem Waggon rund um die Uhr Dienst tun und uns betreuen. Die Abteile sind angenehm warm, und wir richten uns in einer Vierbettkabine der 2. Klasse ein. Die Betten beziehen wir selbst, frische Wäsche liegt bereit, und schnell ist das Gepäck im Stauraum über der Tür und unter den Betten verschwunden. Wer es bequemer mag, reist nicht im Regelzug, sondern bucht ein luxuriöses Abteil im ­ „Zarengold“. Diese für Touristen bestimmten Waggons bieten mehr Komfort und werden für längere Ausflüge „an Land“ und Erkundungstouren mit Hotelübernachtungen immer wieder vom Regelzug abgekoppelt.Beide Varianten bieten die einzigartige Möglichkeit, die unendliche Weite des Landes zu erfassen.

Bevor die Reise gen Osten beginnt, erkunden wir das winterliche Moskau. Auf dem Roten Platz ist längst nicht mehr das Lenin-Mausoleum die ­Attraktion, sondern die vor dem festlich geschmückten Kaufhaus GUM aufgebaute Schlittschuhbahn, auf der Jung und Alt ihre Runden drehen. Ein perfektes Fotomotiv ist auch die am Abend angestrahlte Basilius-Kathedrale mit ihren bunten Zwiebeltürmen. Eher ­melancholisch stimmt das Neujungenfrauenkloster mit seinem Prominenten-Friedhof. Stadtführer Nikolai zeigt uns noch den protzigen Neubau der Christus-Erlöserkathedrale am Ufer der Moskwa. „Dort drüben vor dem ­Altar inszenierten übrigens Pussy Riot ihren Putin-Protest“, erzählt der ­Literaturwissenschaftler. „Jetzt müssen wir aber zum Bahnhof, die Transsib wartet nicht.“ Pünktlich, auf die Minute genau, setzt sich wenig später der Zug in Bewegung.

Die Wagen rattern im Takt der Schienenstöße, während draußen triste Plattenbausiedlungen vorbeiziehen. Es wird dunkel, Zeit für die Nachtruhe. Ein Gläschen Wodka hilft beim Einschlafen. Am nächsten Morgen genießen wir einen heißen Tee aus dem Samowar. Jetzt sind es endlos scheinende, tief verschneite Birkenwälder, die die Landschaft prägen. Manchmal ducken sich kleine Holzhäuser an die Trasse. Viele sind verfallen, längst nicht mehr bewohnt, aus anderen steigt eine Rauchsäule auf, ein Zeichen menschlicher Zivilisation auf. Und wenn Menschen zu sehen sind, dann sind sie warm verpackt und tragen ­dicke Pelzmützen.Dabei sind wir noch in Europa.

Erst nach 1777 Kilometern wird der Ural erreicht, der Europa von Asien trennt. Dort, in Jekaterinburg, verlassen wir erstmals den Zug. Eiskalt weht der Wind, nur gut, dass wir dicke Mützen dabei haben, die auch die Ohren schützen. Wolkenkratzer, die auch in Manhattan stehen könnten, dominieren das Stadtbild. „Jekaterinburg ist Boomtown. Vor allem wegen der ­Bodenschätze aus dem Ural glänzt die Millionenmetropole mit Reichtum“, erzählt Valerie, der die Gäste die gesamte Reise über begleitet. Auf dem Programm steht ein Besuch der Kathedrale auf dem Blut, errichtet an ­jener Stelle, an der die Kommunisten die Zarenfamilie erschossen haben. 2003 eingeweiht, hat sie sich zum Zentrum der russischen Zarenverehrung entwickelt. Tief berührt sind Menschen aller Altersgruppen. Sie verneigen und bekreuzigen sich vor den Gedenktafeln, zünden Kerzen an, die eine zutiefst feierliche Atmosphäre ­erzeugen.

Zurück im Zug, erzählt Valerie Wissenswertes über Russland und ­seine wechselvolle Geschichte. Spätestens als wir russische Buchstaben pauken sollen, merken wir, dass er eigentlich Deutschlehrer ist. Dank seiner Lektionen können wir beim nächsten Ausflug den Ortsnamen lesen: Krasnojarsk. Die Stadt ist keine Schönheit, man merkt schnell, dass hier Schwerindustrie die Umwelt belastet.

Am Abend rollt der Zug weiter. Langeweile kommt nicht auf – diesmal informiert Valerie über russische Trinkgewohnheiten. Wodka wird probiert, und Trinksprüche werden eingeübt. Schnell kommen wir mit anderen Passagieren ins Gespräch, mit Anton und Stepan zum Beispiel. Anton will seine Eltern besuchen, die in einer Holzfabrik in Nowaja Igirma arbeiten. Über 80 Stunden Bahnfahrt werden hinter ihm liegen, wenn er die sibirische Kleinstadt in der Nähe von ­Irkutsk erreicht. „Eigentlich könnte ich zu Hause mit meinen Freunden feiern, aber es zieht mich immer wieder nach Sibirien“, erzählt er und freut sich auf seine Ferien mit Schnee. Zugfahren dauert länger als der Flug, macht aber mehr Spaß. „Ich lerne immer neue ­Leute kennenund „erfahre“ die Weite Sibiriens“, sagt er und reicht mir einen Zettel mit seiner Mail-Adresse. „Schreib mal, wie es dir am Baikalsee gefallen hat, und schick Bilder mit.“

Ulan Bator in der Mongolei ist die kälteste Hauptstadt der Welt

Wenn der Baikalsee zugefroren ist, dient er als Verkehrsweg für Autos. Es werden sogar Straßenschilder aufgestellt
Wenn der Baikalsee zugefroren ist, dient er als Verkehrsweg für Autos. Es werden sogar Straßenschilder aufgestellt © getty | getty

Der Baikalsee zählt zu den Höhepunkten der Reise. Heiliges Meer nennen die hier lebenden Burjaten den See, der 1000-mal größer als der Bodensee ist. Er friert Ende Januar zu, und dann können ihn selbst Lkw überqueren. Aber auch eine Kutschfahrt durch die verschneiten Wälder rund um das malerische Dorf Listwjanka mit seinen Holzhäusern hat ihren Reiz.

In Irkutsk zeigt uns Valerie das Standbild des Zaren Alexander III. „Dieser Zar war der Ideengeber für den Bau der Transsib“, erklärt er uns. „Er schaut gen Osten, und auch sein Arm weist in diese Richtung.“ 1887 schickte der Zar drei Expeditionen auf den Weg, die mögliche Streckenführungen erkunden sollten. Bevor die Trasse 1916 fertig­gestellt war, verband nur ein holpriger, unbefestigter Weg den russischen ­Westen mit Sibirien.

Die Transsib ist die längste Eisenbahnstrecke der Welt, die in Moskau beginnt. Am Endpunkt in Wladiwostok steht ein Schild: 9288 Kilometer. ­Attraktiver für Touristen sind jedoch Routen, die über die Transmandschurische oder Transmongolische Bahn nach Peking oder Ulan Bator führen.

Unser Zug verlässt bei Ulan Ude die Trasse der Transsib und nimmt Kurs auf die mongolische Hauptstadt Ulan Bator. Nach lang andauernden Grenzkontrollen in Nauski rollt der Zug noch rund 400 Kilometer bis nach Ulan Bator, der kältesten Hauptstadt der Welt. Eine Stadtrundfahrt durch „UB“ führt uns dort zum eindrucksvollen Gandan-Kloster und zum weitläufigen Suchbaatar-Platz mit seinem Parlamentsgebäude. Vor dem Palast thront buddha-gleich Dschingis Khan, der Herrscher des Mongolischen Weltreichs. Wer mutig genug ist, bucht eine Übernachtung in einem vorgeheizten Nomaden-Filzzelt in wilder, frost­klirrender Natur und schließt dabei Bekanntschaft mit Viehzüchternomaden.

Für uns hat er sich erfüllt, der Traum von der Reise auf der längsten Bahnstrecke der Welt. Unvergessliche Eindrücke von der Weite und Schönheit Sibiriens nehmen wir mit auf unseren Flug, der uns in weniger als zehn Stunden nach Deutschland ­zurückbringen wird. Und die Gewissheit: Wer Russland wirklich entdecken will, der muss Zug fahren.