Seit dem Barock lassen die kleinen Caganer die Hose runter. Für Nichteingeweihte können die „Scheißerchen“ ein wenig befremdlich wirken.

Auf den ersten Blick scheint zu Weihnachten auch in der Ferne vieles recht vertraut. In der spanischen Region Katalonien hat zwar kaum eine Familie einen Weihnachtsbaum, und Geschenke bringen die Heiligen Drei Könige erst am 6. Januar. Die Weihnachtskrippen, die hier alle Wohnzimmer, öffentliche Gebäude und Plätze zieren, kennt man jedoch von zu Hause.

Doch eine der Figuren ist für Nichteingeweihte zumindest befremdlich. In Katalonien gehört zur Weihnachtskrippe immer auch ein Caganer (ausgesprochen: Kagané), eine Figur mit heruntergelassener Hose, die sich in unmittelbarer Nähe zum Jesuskind entleert.

Dies ist kein neumodischer Scherz, sondern eine Tradition, die mindestens bis auf das Barock-Zeitalter zurückgeht, wie Jordi Arruga vom Verein amics del caganer, den "Freunden des Scheißers" erklärt. Seit Ende des 18. Jahrhunderts empören sich die Gegner des Figürchens über die Geschmacklosigkeit des natürlichen Vorgangs in der Nähe der Heiligen Familie. Andere sehen darin die katalanische Mentalität widergespiegelt, die sich wenig um das Heilige schert und lieber praktisch an das Düngen des Feldes denkt.

Auf der Fira de Santa Llúcia, einer Art Weihnachtsmarkt in Barcelona, finden sich neben den traditionellen Caganer-Figuren auch Prominente aus Politik und Gesellschaft. Zur aktuellen Kollektion des größten Krippenfiguren-Herstellers gehören auch eine Merkel- und eine Obama-Figur. Gelegentlich kam es in Katalonien schon zu kleinen Skandalen, wenn sich Bürgermeister den politischen Gegner als "kleinen Scheißer" in die Krippe des Rathaus-Foyers setzten.

Oft sind die Scheißerchen gar nicht so leicht zu entdecken, denn der Aufbau der Krippen, auf Katalanisch "pessebres", geht weit über die Grundausstattung hinaus. Im 18. Jahrhundert begann man bereits, ganze Städte aus Ton und Moos zu bauen. Jeder Berufsstand sollte repräsentiert werden. Und schon damals durfte der als Glücksbringer erachtete Caganer nicht fehlen.

Nicht einmal Diktator Franco, der alle katalanische Kultur und auch die Sprache verboten hatte, konnte den Caganer aus den Krippen vertreiben. Die Figur musste nur die katalanische Tracht ablegen - was der Kreativität seiner Schöpfer Tür und Tor öffnete. Eine kleine Revolution war die Caganera im Minirock des Töpfers Luis Vídal, noch zur düsteren, streng katholischen Franco-Zeit.

In den vergangenen Jahren tauchte in ganz Spanien eine weitere Krippenfigur auf: Der Demonstrant, wahlweise ein Hirte oder ein anderer Protagonist, der ein Schild mit durchgestrichener Nikolausmütze hält. Denn die Globalisierung macht auch vor Weihnachtsbräuchen nicht halt. Weihnachtsmann, Christbaum und "jingle bells" nehmen auch in Spanien zu. Manche Familien feiern inzwischen Bescherung am 24. oder 25. Dezember. Und in den Supermärkten finden sich zwischen traditionellem Mandel- und Marzipangebäck, auch die eigentlich unüblichen Adventskalender, Schokoladennikoläuse und selbst Lebkuchen - allesamt aus deutscher Produktion.

Der Caganer ist nicht nur in den kunstvollen Ton-Krippen zu finden, die inzwischen ohne das traditionelle Moos auskommen müssen, da dies in der trockenen Gegend selten geworden ist. Er ist auch der vielleicht wichtigste Protagonist in den "pessebres vivents", den "Lebenden Krippen". In vielen katalanischen Dörfern herrscht an einigen Tagen im Dezember und Januar Ausnahmezustand. Die Straßen füllen sich mit in Schafsfell gekleideten Hirten und ihren Tieren, die Drei Könige ziehen in orientalischen Trachten auf Pferden, zu Fuß oder manchmal tatsächlich auf Kamelen ein. In einem Stall weint ein echtes Baby, während Herodes mit seinem Heer durch die engen Gassen zieht. In manchen Dörfern sind es bis zu 200 Freiwillige, die das biblische Personal darstellen. Angeblich geht die Tradition auf das 15. Jahrhundert zurück, wurde aber erst in den 1950er-Jahren wiederentdeckt und griff seither um sich. Weit über 50 Krippen-Dörfer machen sich gegenseitig mit immer neuen Einfällen Konkurrenz und beschränken sich schon längst nicht mehr nur auf die Weihnachtsgeschichte.

Im Dorf Linyola in der katalanischen Provinz Lleida, dessen "Pessebre Vivent" zu gewisser Berühmtheit gekommen ist, setzt man neben der Geburt Christi auch allerlei katalanische Legenden in Szene, vorzugsweise solche, bei denen Dämonen, Drachen und Feuer im Spiel sind. Außerdem erregen die Organisatoren immer wieder die Aufmerksamkeit der Presse durch das "Casting del Cul", bei dem die Frauen von Linyola den schönsten Hintern der potenziellen Caganer-Darsteller auswählen. Der Gewinner bekommt 300 Euro und darf an immerhin sieben Tagen sein nacktes Hinterteil in den Winterhimmel von Linyola strecken.

Doch damit noch immer nicht genug der derben Weihnachtsbräuche: Am 24. Dezember vertreiben sich die Kinder die Zeit bis zur Mitternachtsmesse damit, den "Caga-Tio" oder "Caga-Soca", also Kack-Onkel oder Kack-Stamm, zu schlagen. Dazu singen sie ein Lied, das den hohlen, neuerdings mit lustigem Gesicht versehenen Ast dazu auffordert, sich der in ihm versteckten Süßigkeiten zu entledigen.