Der Erfinder des Krippenspiels ist unterwegs im Auftrag des Herrn: Franz von Assisi besucht den Weihnachtsmarkt vor dem Hamburger Rathaus.

Dem heiligen Franz war es im Himmel gerade irgendwie fad. 786 Jahre war er jetzt schon droben, eine kleine Ewigkeit, und eigentlich gefiel es ihm auch ganz gut da heroben bei den himmlischen Heerscharen. Er hatte schon immer gern gesungen - und jetzt gab es kein Atemholen mehr beim immerwährenden Halleluja. Sein 'Sonnengesang' gehörte selbstverständlich auch mit zum Repertoire der himmlischen Chöre. Mit Pauken, Trompeten und Posaunen klang diese Musik perfekt. Es gab keinen einzigen schiefen Ton, keinen Wackler im Rhythmus, keinen Mangel an Glanz: Alles war überweltlich schön. Wie hatte sich Franz im irdischen Jammertal danach gesehnt, immer nahe bei Jesus zu sein und aus allen Nöten und Gebrechen erlöst zu werden. In den ersten Jahrhunderten kam er aus dem Staunen über die himmlischen Freuden nicht heraus: So viel Schönheit, so viel Liebe, so viel Freude hatte er in seinen Träumen nicht einmal erahnen können. Und so sollte es ja auch immerdar weitergehen - von Ewigkeit zu Ewigkeit. Eine Art Lasten-Ausgleich für seine Erdenzeit, die schon nach 44 Jahren beendet war? Schönheit, Liebe und Freude hatte es drunten wohl auch gegeben, besonders zusammen mit Klara, mit der er in der Nachfolge Christi lebte und das Privileg der Armut besonders gern teilte. Klara im Himmel wiederzusehen war für beide ein unbeschreibliches Glück. Aber im Himmel war das noch einmal ganz anders.

Aber im Lauf der Jahrhunderte meldete sich ein leises Unbehagen in seiner Seele, das langsam wuchs und wuchs und immer stärker wurde. Erst wusste er überhaupt nicht, woher das wohl kommen könnte, aber dann keimte ein Verdacht: Es war die himmlische Vollkommenheit, mit der er nicht so gut zurande kam. Sein ganzes Leben nach seiner Bekehrung hatte er den Armen, den Unvollkommenen und Gescheiterten gewidmet und in ihnen das verborgene Licht der Vollkommenheit eines Kindes Gottes zum Leuchten zu bringen versucht. Das war ihm damals oft gelungen - bei Räubern, Dieben, Kranken und Verzweifelten, sogar bei Wölfen, Vögeln und Fischen. Bis nach Jerusalem, ja bis nach Ägypten zum Sultan Al-Kamil war er unterwegs gewesen, hatte alle Entbehrungen und Schmerzen geduldig ertragen. Daran dachte er gerade zurück, als er Gottes Stimme hörte, die da sprach: "Franz, irgendetwas stimmt nicht. Was ist los mit dir? Fehlt dir was?" Der Poverello wusste, dass es besser sei, Gott gleich reinen Wein einzuschenken. Gott erinnerte ihn oft an seine Mutter. Wenn die ihn ansah und sagte: "Franz, du gefällst mir gar nicht", war die Stunde der Wahrheit angebrochen. "Es geht auf Weihnachten zu", druckste er herum. "Mir bekannt. Ja und weiter?", fragte Gott. "Na ja, ich bin einfach neugierig, was die Menschen auf der Welt in diesen Tagen tun. Und, wenn Du mich schon fragst: Am allerliebsten würde ich in der Heiligen Nacht in Greccio Mäuschen spielen."

Gott räusperte sich. "Du meinst die Höhle, in der Du die Weihnachtskrippe erfunden hast? Hm. So etwas müsste natürlich mit dem Thronrat abgestimmt werden. Ich könnte selbstverständlich versuchen, ein gutes Wort für dich einzulegen. Dein Motiv ist, wie ich doch kenne, ganz sicher unter Barmherzigkeit zu suchen." Franz überlegte eine Weile und sagte dann: "Na ja, ein bisschen Neugier ist schon auch mit dabei - also so eine Art Mix." Gott lächelte. "Und dann glauben die Menschen, dass es im Himmel endlich nur noch reine Motive gäbe. Aber das kann ruhig so bleiben. Also, ich werde dein Begehren weitergeben - und dann sehen wir weiter." Franzens Augen leuchteten. "Das dauert doch keine Ewigkeit?", fragte er noch - und Gott schüttelte sein Haupt. Tatsächlich kam er schon nach knapp 1000 Jahren wieder (die sind ja vor ihm wie ein Tag). "Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, lieber Franz. Welche zuerst?" Franz zögerte nicht lange. "Die gute." Gott holte etwas mit den Händen aus: "Also deine Weihnachtstour ist befürwortet. Einstimmig. Hier geht ja alles einstimmig", lächelte er. "In himmlischer Harmonie." Franz nickte.

"Und die schlechte ...?" Gottes Hände holten noch weiter aus. "Also weißt du, lieber Franz ..." und jetzt kam eine von diesen berühmten Pausen, die ziemlich ewig dauern konnten - "wir haben uns gedacht: Ja, Franz und Krippe, das geht in Ordnung. Das passt. Du hast das Programm schließlich erfunden. Mit lebenden Figuren, mit Heu und Stroh und Ochs und Esel und so weiter. Aber wir haben uns überlegt: Greccio oder Assisi, ja überhaupt ganz Umbrien kennst du ja wie deine Westentasche. Wir schicken dich lieber in eine ganz neue Gegend. Unsere Wahl fiel auf Deutschland - und da wollten wir dich direkt mitten nach Hamburg entsenden. Hamburg liegt ziemlich weit oben links. Von dort kannst du uns ja berichten, was mit deiner Krippe da wohl zu Weihnachten geschieht. Wir sind alle sehr gespannt auf deine Eindrücke!" Franz dachte eine Weile nach. "Gibt es in dieser Stadt auch arme Menschen? Und Sünder? Und Verstockte? Und Räuber? Du kennst ja meine Schwächen..." Gott meinte, das sei ja immer auch eine Frage der Definition - und so betrachtet herrsche da ganz sicher an allem Unvollkommenen kein Mangel. Und die Frage nach Sündern sei ja wohl rhetorisch zu verstehen. Oder? Franz stimmte zu. "Wann kann ich denn nach ... Hamburg aufbrechen?" Gott streckte ihm die Arme entgegen. "Sofort, jetzt im Augenblick. Grüß mir die Hamburger. Und sei freundlich zu ihnen - sie können es brauchen. Aber wem sag ich das - also gute Reise, Franz!" Während des Fluges erinnerte sich Franz noch einmal an seine Krippe im Wald von Greccio. Die hatte er inszeniert, um den Menschen, die nicht lesen und schreiben konnten, die Weihnachtsgeschichte in eine Art Theaterstück zu verwandeln. Mit lebendigen Figuren. So könnten sie das Wunder der Heiligen Nacht geradezu begreifen. Nicht durch schlaue Bücher und prunkvolle Zeremonien, sondern zum Anfassen. Er wollte sie damals nach Bethlehem entführen, um ihnen vor Augen zu malen, dass Gott das Christuskind den Armen geschenkt hat, denen die Herbergstüren vor der Nase zugeschlagen wurden, die mit bitterer Not zu kämpfen hatten und Herodes fürchten mussten. In der Krippe sehen sie dann die Welt in neues Licht gehüllt: Armut wird erhöht, Demut gepriesen und Christus schenkt sich ihnen selbst zur Stärkung - wie Ochs und Esel aus der Krippe gestärkt werden. So hatte er sich das gedacht - und in Greccio wurde deshalb an der Krippe in der Mitte der Nacht das Heilige Abendmahl gefeiert. Wie das wohl in Hamburg sein würde?

Der Autopilot setzte ihn genau vor dem Rathaus auf dem Weihnachtsmarkt ab. Der Platz quoll schier über von Menschen. Die standen lachend vor Buden, hielten in den Händen lange Würste, Pfannkuchen und dicke Schinkenbrote. Franz staunte: Wie, war jetzt im Advent nicht Fastenzeit? Er fragte einen älteren Herrn danach. "Was für Zeug? Fasten? Nie gehört. Meine Frau tut sich so was gelegentlich an, aber da hat sie eine Laune - o hauaha. Fasten? Ohne mich! Willste 'n Stück?" Er hielt ihm seinen Kartoffelpuffer vor die Nase. Franz dankte erschrocken. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase. Was das wohl war? "Kann ich sie fragen, was sie in dieser bunten Tasse haben?", wollte er von einem jungen Mädchen wissen. Die trug ein Elchgeweih auf dem Kopf. Ihre Freundin, die eine rote Zipfelmütze mit blinkenden Lämpchen trug, hielt ihm ihre Tasse hin. "Glühwein mit Schuss. Schmeckt so lecker! Da freue ich mich das ganze Jahr drauf." Franz hatte einen Frosch im Hals. "Sie trinken Wein in der Adventszeit?", fragte er staunend. "Aber hallo! Und das nicht zu knapp!" Franz wurde immer verwirrter. Er kam an Buden vorbei, in denen Hüte, Zuckerzeug, Schmuck und Käse verkauft wurden. Das erinnerte ihn alles sehr an einen Markttag in Perugia. Und er staunte, in wie viele fröhliche Gesichter er blickte und wie freundlich die Menschen zueinander waren. Aber: Was hatte das wohl mit Weihnachten zu tun? Jetzt kam er zu einer Bude, in der Holzschnitzereien angeboten wurden. Und da - er traute fast seinen Augen nicht - war fast die eine Hälfte gefüllt mit - Weihnachtskrippen. "Darf ich sie fragen, wofür diese... Krippen benutzt werden?" Die junge Dame lächelte ihn freundlich an. "Sie kommen wohl aus den neuen Bundesländern?", fragte sie einfühlsam. "Wo ist das denn?", hätte er beinahe gefragt, aber die Verkäuferin lachte:

"Da brauchen sie sich doch nicht zu schämen! Die im Osten haben mit Gott ja nichts am Hut - und Weihnachten ist für die nur fressen, saufen und schenken. Die können da nichts für - bei denen hießen Engel Jahresendflügelfiguren" sagte fast sie entschuldigend. "Da brauchen sie sich doch nicht zu schämen." Franz erschrak. "Nein, nein, ich komme von ganz woanders her", stammelte er verlegen. Oder sollte er einfach zugeben, einer aus dem Osten zu sein? Das schien wohl ein Demutsprojekt zu sein - und so etwas lag ihm ja. Aber seine Neugier spielte ihm erst einmal einen Streich.

"Könnte ich mir mal die Krippen etwas näher ansehen?", fragte er höflich. "Aber selbstverständlich, junger Mann!", orgelte die Verkäuferin los. "Tun sie sich keinen Zwang an!" Franz kam aus dem Staunen nicht heraus. Was es da alles zu entdecken gab! Krippen auf Pyramiden. Krippen aus Holz, Plastik, Ton, Blech, Kupfer, Steinharz, Olivenholz, als Comic-Figurenset, von Playmobil, geschnitzt, gegossen, gedreht, mit Beleuchtung, mit Karaoke-Funktion ... Ihm wurde fast schwindelig. "Haben sie auch welche in Gold?", fragte er. "Hier, das Mobile, 24 Karat vergoldet auf Messing. Ein Sonderangebot."

Franz schwirrte der Kopf. "Und was macht man mit all diesen wunderbaren Dingen?", wollte er wissen. "Sie sind wohl doch aus dem Osten - mir können sie es ruhig sagen. Also: Das stellt man sich zu Hause unter den Weihnachtsbaum oder ins Fenster. Als Dekoration. Dazu gibt es noch die Schwibbögen aus dem Erzgebirge - und manche wickeln ihr ganzes Haus mit Lichterketten ein. Kostet 'ne ganze Menge Strom, aber das ist denen wohl egal. Mir wäre das zu fett, wenn sie verstehen, was ich meine." Franz nickte. Zu fett. Aha.

"Und, gibt es in den Kirchen auch noch Krippen mit lebenden Tieren?", fragte er. "Wollen sie mich verkohlen? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich war bei meiner Taufe zum letzten Mal dort. Ich habe keine Ahnung, was die da treiben. Aber lebende Tiere? Da haben Tierschützer sicher ihre Einwände. Kann ich mir echt nicht vorstellen, dass was ginge. Wäre ja trotzdem mal 'ne coole Idee." Franz verstand das alles nicht. "Aber sie feiern doch Weihnachten - die Geburt des Gottessohnes. Oder nicht?" Jetzt staunte die junge Frau. "Sie kommen doch nicht aus dem Osten, stimmt's? Sind sie vom Fernsehen, mit versteckter Kamera? Wann kommt das, auf welchem Programm - wissen sie das schon?" Franz entschloss sich, ihr die Wahrheit zu sagen. "Ich komme aus dem Himmel, und ich bin der, der die Weihnachtskrippe erfunden hat. Im Jahr des Herrn 1223 in Greccio in Umbrien. Wissen sie, wo das liegt?" Die Frau bedachte ihn mit einem langen, prüfenden Blick. "Na, dann kriegen sie sicher Prozente auf all den Krimskrams hier. Einen schönen Abend noch. Vielleicht treffen wir uns ja eines schönen Tages im Himmel wieder. Wollen sie nun was kaufen oder quatschen? Ich werde nämlich nach Umsatz bezahlt, nicht wegen meiner Geduld mit seltsamen Witzbolden wie ihnen, okay?"

Franz fühlte sich wieder in den verwandelt, der er in seinen irdischen Tagen so gern gewesen war: der Narr Gottes. Der mit dem ganz weiten Herzen für die Erbarmungswürdigen. Für solche, die den Himmel aus dem Blick verloren haben und zur Krippe eingeladen werden. "Sie verkaufen hier nur gefrorenes Theater, mein Kind", sagte er mit milder Stimme. Ich bin gekommen, um diese Figuren wieder mit Leben zu erfüllen. Den Ochsen, der ohne Murren die Lasten trägt, der Esel, der geprügelt wird, damit er als Nutztier funktioniert." Nach einer Weile sagte er. "Entschuldigen Sie bitte, ich habe mich geirrt. Nicht ich, sondern das Christkind kommt ja am Heiligen Abend in die Welt - so, wie sie ist. Und auch in die Figuren aus dem gefrorenen Theater. Er haucht ihnen wieder Leben ein. Jedes Jahr wieder. In endloser Geduld. Auch für Sie. Aber jetzt muss ich wieder los. Behüte sie Gott." Die Verkäuferin blickte ihn verwundert an. "Gott - hat der denn was mit mir zu tun? Sie machen Witze, oder?" Aber da war Franz schon entschwunden.