Der Herbstzug der Vögel lockt Naturfreunde an die Nordsee. An Schleswig-Holsteins Westküste rasten derzeit mehr als eine Million Vögel.

Husum. Jedes Jahr im Herbst wird das Wattenmeer zum Schauplatz eines weltweit einmaligen Vogel-Spektakels. Dann unterbrechen rund zehn Millionen nordische Brutvögel an Deutschlands Nordseeküste ihren Flug in die Winterquartiere. „Die Vogelscharen, die wie Rauchwolken über dem Horizont zu sehen sind, gehören zu den imposantesten Naturphänomenen im Wattenmeer“, schwärmt Christof Goetze von der Naturschutzgesellschaft „Schutzstation Wattenmeer“.

Alpenstrandläufer, Pfuhlschnepfen, Ringelgänse und Dutzende andere Arten machen hier einen oft Wochen langen Zwischenstopp, um sich Energiereserven anzufuttern für den strapaziösen Weiterflug über Ozeane, Gebirge und Wüsten. „Das Wattenmeer ist für viele Vogelarten eine Art Tankstelle“, sagt Goetze.

Der Herbstzug lockt in diesen Wochen Vogelbeobachter aus ganz Europa an die Nordseeküste. Mit am häufigsten können sie derzeit den Alpenstrandläufer sehen. Insgesamt 1,5 Millionen der graubraun gefiederten Vögel haben sich zwischen dem niederländischen Den Helder und Esbjerg in Dänemark versammelt, davon rund 270 000 in Schleswig-Holstein, berichtet Goetze.

Die Alpenstrandläufer brüten in den Tundragebieten Nordeuropas. Ihr Nachwuchs kann bereits drei Wochen nach dem Schlüpfen zum Flug gen Süden starten, erzählt der Biologe. „Sie kommen ohne Hilfe oder Anleitung der Altvögel (Eltern) hierher.“ Bei ihrer Ankunft wiegen die kleinen Vögel gerade einmal so viel wie ein Doppelbrief (50 Gramm). Um ihre Winterquartiere an der Atlantikküste Frankreichs und Westafrikas bis Mauretanien zu erreichen, müssen sie zuvor ihr Gewicht auf 80 Gramm steigern, sagt Goetze.

Auch etwa 300 000 Knutt sind derzeit zum „Auftanken“ im schleswig-holsteinischen Wattenmeer zu Gast. Ein Knutt wiegt doppelt so viel wie ein Alpenstrandläufer. Der nach dem dänischen König Knut der Große benannte Knutt ist ein Langstreckenzieher, erklärt Goetze. Er fliegt zum Überwintern bis zu 5000 Kilometer weit hinunter nach Süd-West-Afrika.

Auch Ringelgans und Nonnengans sind derzeit zu Tausenden im Wattenmeer zu beobachten. „Sie beginnen gerade mit ihrem Zug“, sagt Goetze. Sie sind reine Vegetarier und fressen bei Ebbe das Seegras auf den Wattflächen. „Sie machen ein riesiges Spektakel: Ihre Rufe hört man die ganze Nacht hindurch“, schildert der Biologe. Bei auflaufendem Wasser könne man die Gänse besonders gut beobachten: Wenn das Meer zurück kommt, können sie nicht mehr die gesamte Wattfläche zur Nahrungssuche nutzen. Das Wasser treibe sie ans Ufer.

Die Pfuhlschnepfe ist ebenfalls ein regelmäßiger Gast im Wattenmeer. Sie „pult“ sich als „Treibstoff“ für ihren Nonstop-Flug ins Winterquartier Würmer und Krabben aus dem Watt. Da die Pfuhlschnepfe auf ganz spezielle Brutgebiete in den subarktischen Regionen am Rande der Tundra angewiesen ist, befürchten einige Experten, dass sie vom Klimawandel besonders betroffen sein wird.