Gemütliche Cottages, herrschaftliche Anwesen, schrullige Ladys: Englands Süden bietet typische Rosamunde-Pilcher-Romantik - und viel mehr.

"September ist die Zeit glänzender Jagdgesellschaften und Bälle. Es ist der Monat, in dem Ehen geschlossen werden und zerbrechen, in dem die Nächte lang sind und ein wenig zu viel getrunken und getanzt wird, in dem man sich verliebt, sich den Himmel auf Erden verspricht und an gebrochenem Herzen zu sterben glaubt." (Rosamunde Pilcher)

Es gibt nicht viele Landstriche, die so mit Klischees behaftet sind wie Südengland, zumindest wenn es um die Wahrnehmung von Reisenden aus Deutschland geht. Das liegt wohl zu großen Teilen an der 1924 geborenen Schriftstellerin Rosamunde Pilcher, die Cornwall & Co. oft zum Schauplatz ihrer Romane gemacht hat. Weil die Bestseller dann noch fürs deutsche Fernsehen verfilmt wurden - gedreht hat man dabei auch viel in Dorset und Devon -, hat man hierzulande sofort jede Menge Bilder im Kopf, wenn es um den Süden des Vereinigten Königreiches geht.

Veranstalter bieten Rundreisen zu einzelnen Pilcher-Plätzen an. Doch man kommt gut ohne so etwas aus, denn die Gegend ist auch jenseits der Roman-Romantik immer wieder einen Besuch wert.

+++Ascot erlässt Modevorschriften für die Hüte+++

Wieder mal ist ein Kliff erodiert. Der Erdrutsch ist kilometerweit zu hören. Mit einem gewaltigen Krachen ist eine meterbreite Kante abgebrochen und in die Tiefe gedonnert. Während wir uns erschrecken, stehen die Fossilienjäger mit ihren blauen Gummistiefeln am Strand und freuen sich, denn wenn sich die Erde bewegt, treten die Fossilien zutage: Seeigel, Haifischzähne, Ammoniten, Schwämme, Muscheln und andere Bodenfauna, die den prähistorischen Meeresboden einst bewohnte. Der spektakuläre Küstenabschnitt zwischen Cuckmere Haven im Nordwesten und den berühmten Konturen der Seven Sisters gehört zu den fossilienreichsten Südenglands. Wir sammeln mit, es ist offiziell erlaubt - und zudem ein einzigartiges Souvenir.

Weiter geht's nach Brighton, wo am Fuß der abgebrannten Westpiers ein neues Wahrzeichen für die Stadt, wenn nicht gar für ganz Südengland entstanden ist. Die ellipsenförmige, rundum verglaste Besucherplattform des Aussichtsturms i360 schraubt sich 175 Meter in die Höhe und präsentiert eine atemberaubende Rundumsicht. Von oben wirkt Brightons Regency-Architektur auf uns wie das Werk eines Zuckerbäckers, und der Royal Pavilion ähnelt einem Puppenhaus.

Auf dem Kennet and Avon Canal tuckert ein lang gestrecktes Hausboot, ein Narrow Boat, voran. Am Ufer wachsen Wiesenbutterblumen und blutroter Klatschmohn, dahinter liegt eine hügelige, waldreiche Region. Das ländliche Wiltshire zeigt sich heute von der schönsten Seite. Rechts gähnt ein Weizenfeld, links stakst ein Reiher auf Froschsuche. Platanenalleen und Eichenwälder schmiegen sich an das Ufer, Bussarde spähen von oben herab. Von Bath bis Newbury zieht sich der Kanal, der die Flüsse Avon und Kennet miteinander verbindet und für eine Bootspartie wie geschaffen ist. Auf dem Treidelpfad entlang des Kanals radeln wir von Ort zu Ort. Abbiegen lohnt, denn es gibt Kurioses und Unglaubliches zu bestaunen: das weltberühmte Stonehenge, zahllose Grabhügel, eisenzeitliche Festungen und die mittelalterliche Stadt Salisbury.

+++Stonehenge offenbart akustisches Phänomen+++

Die Schwalben auf dem Marktplatz von Salisbury tanzen uns aufgeregt um die Köpfe. Dienstag und Sonnabend sind Markttage, und zwar seit 1227! Es ist bunt hier, laut, ein wenig hektisch, aber die Menschen sind freundlich und die Preise niedrig. Verlockend duftet es nach frisch geröstetem Kaffee, gebackenen Krapfen und Bratwurst. Die Händler feilschen um die Wette, Hausfrauen sind in ihrem Element.

Im Kathedralenbezirk scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Tudorhäuser, in denen einst Kaufleute und Geistliche wohnten, schmücken den ältesten Teil der Stadt, mit der gotischen Kathedrale als Herzstück. Mit 123 Metern hat sie die höchste Turmspitze Großbritanniens. Nach 332 steilen Treppenstufen kommen wir in den Genuss der tollen Aussicht. Als wäre das nicht genug der Superlative, bestaunen wir eine Kopie der Magna Charta, der Grundlage des englischen Verfassungsrechts aus dem Jahr 1215. Weltweit sind nur noch vier Exemplare erhalten.

Bournemouth ist die Stadt der winkenden Mütter. Hier wurden Generationen von Schülern abgeliefert, um in englischen Familien die Sommerferien zu verbringen und BBC-Englisch zu lernen. Der jungen Stadt sieht man ihre 200 Jahre nicht an. Ganz im Gegenteil: Modern, aufgeschlossen und kein bisschen englisch zugeknöpft kommt das Seebad daher.

Mit der kleineren Nachbarstadt Poole ist Bournemouth eine dauerhafte Liaison eingegangen, beide Städte sind zusammengewachsen. Am Poole Quay dümpeln die Yachten der Millionäre im Wasser, Fischersleute machen Geschäfte mit ihrem nächtlichen Fang. In den Fußgängerzonen bummeln wir vorbei an einem bunten Sammelsurium an Geschäften, Pubs und Cafés, wo Taucher eine Auszeit von Unterwasserfreuden am künstlichen Riff nehmen, Surfer und Kitekünstler die besten Surfspots diskutieren.

+++Wo schon die alten Römer gerne baden gingen+++

Eine Stadt tritt den Beweis an, dass Altes über Jahrhunderte en vogue sein kann - über Bath können wir nur staunen: Die Stadt ist ein städtebauliches Gesamtkunstwerk aus georgianischen und viktorianischen Bauten, Parks und Terrassen, mit ein paar Einsprengseln von Überresten römischer Baukunst. Die Roman Baths sind Thermalbäder aus dem 18. Jahrhundert. Im Zuge der Restaurierungen im Jahr 1889 stieß man auf das ursprüngliche römische Bad, das weitgehend erhalten war.

Wir besichtigen die Überreste der antiken römischen Bäder und Tempel, bewundern die architektonischen Meisterwerke The Parades, The Circus und The Crescent am imposanten Royal Victoria Park.

Bath erhielt 1987 von der Unesco eine Einstufung als Weltkulturerbe, was nicht nur den Tourismus fördert, sondern auch Verpflichtungen mit sich bringt: Mit großem finanziellen Einsatz wird die steinerne Vergangenheit instand gehalten. Irgendwo wird immer etwas repariert, in Ordnung gebracht, ausgebessert. Bei einem Abendspaziergang werfen wir heimliche Blicke in die Wohnungen rund um The Circle und sehen Kristalllüster, handgewebte Tapeten, elegante Parkettierung und geschnitzte Salontische.

In Glastonbury lebt die Legende um König Arthur, sogar Jesus Christus soll hier gewesen sein und den Heiligen Gral mitgebracht haben. Im überschaubaren Stadtzentrum treffen wir Alt-Hippies, selbst ernannte Druiden und allerlei Esoteriker. Der Kult nimmt teilweise skurrile Züge an: Die Ruinen der Glastonbury Abbey (12. Jahrhundert), der angeblich letzten Ruhestätte von König Arthur und seiner Frau Geneviere, bevölkern kostümierte Mägde, Knechte und Ritter.

Palmen wie in Nizza säumen die Südküste Devons mit den Badeorten Brixham, Paignton und Torquay. Krimi-Königin Agatha Christie wurde in Torquay geboren und verbrachte hier einen Großteil ihres Lebens. Wir begeben uns auf eine "Agatha-Christie-Tour" und tuckern in einem alten, dunkelgrünen Bus zum Anwesen Greenway House, wo Agatha Christie an den Charakteren von Miss Marple und Hercule Poirot bastelte und zwischendurch auf dem hauseigenen Tennisplatz ein paar Sätze spielte.

+++Sandwich feiert Geburstag des Sandwichs+++

In Cornwall zieht der Wind gewaltig an unseren Haaren, es beginnt zu regnen, und wir stürmen ein Pub in St. Ives, einem Künstlerdorf mit einem Ableger der Londoner Tate Gallery. Hausfrauen, Rentner und Galeristen stehen an der Theke und trinken Bier. Die Rezession traf Cornwall hart, erzählt man uns. Seitdem der Fischerei die Heringsschwärme wegblieben und die letzte Zinnmine dichtmachte, sei die ärmste Grafschaft Großbritanniens vom Tourismus abhängig. Von Anfang Juli bis Ende August, sagt Jane, die einen kleinen Souvenirstand in St. Ives betreibt, fielen die Touristen wie Heuschrecken in die kleinen Küstenorte ein und bevölkerten die winzigen Häfen - die danach für zehn Monate wieder wie leer gefegt seien. Wir lassen uns frischen Hummer aus Pappschalen schmecken, probieren hausgemachte Minzeschokolade, schieben uns mit den anderen Touristen durch enge Gassen, vorbei an den Ateliers mit den Aquarellbildern, an den Bäckerläden mit der Cornish Pasty, an dem Kitsch rund um König Arthur.

Ein weiterer Schrecken fährt uns in die Glieder: Eines der schönsten Fleckchen Erde, die Landzunge Land's End, ist zu einer schlimmen Touristenattraktion verkommen. Den westlichsten Punkt Englands verschandelt ein großer Vergnügungspark mit Multimediashow, Streichelzoo und Souvenirshops.

Entgegen allen Befürchtungen haben wir auf unserer Reise hervorragend gegessen: Qualität und Geschmack werden selbst im kleinsten Pub großgeschrieben. Viele Erzeugnisse stammen aus biologischer Landwirtschaft - in Südengland liegt die größte nach ökologischen Prinzipien bewirtschaftete Anbaufläche Großbritanniens. Wir genossen Wildbraten aus dem Dartmoor, Scholle aus Brixham, Filetsteaks von Rotrindern, Käseplatten mit Cheddar und natürlich unseren nachmittäglichen Cream Tea mit den unwiderstehlichen Scones, geschlagener Sahne und Erdbeermarmelade.