In Thüringen sind zahlreiche interessante Fundstücke zu sehen, die ein Schlaglicht auf die besondere Geschichte der jüdischen Gemeinden seit dem Mittelalter werfen.

Wenn er nur erzählen könnte, der kostbare Ring. Gewiss würde er berichten von jenem Tag vor 660 Jah-ren, als er gemeinsam mit anderen Schmuckstücken in einen faustgroßen silbernen Doppelkopf gepresst und unter eine Kellertreppe gestopft wurde. Sein Besitzer ahnte wohl, welch Grauen der jüdischen Gemeinde Erfurts bevorstand - ein Pest-Pogrom wie anderswo in Europa.

Und die Angst war mehr als berechtigt. Denn am 21. März 1349 überflutete eine Welle der Gewalt und Zerstörung das Viertel. Rund 1000 Menschen wurden erschlagen oder kamen in einem tosenden Inferno ums Leben. Die jüdische Gemeinde wurde ausgelöscht. Die Grundstücke gelangten in städtischen Besitz, auch die weitgehend erhaltene steinerne Synagoge. Ein Kaufmann erwarb vom Rat das Gemäuer, ließ es unterkellern und zum Lagerhaus umbauen. Später war das Haus Tanzsaal, Gaststätte und Kegelbahn. Die ursprüngliche Bestimmung geriet in Vergessenheit. Wohl nur dadurch blieb die einstige Synagoge später sogar von der Zerstörungswut der Nationalsozialisten verschont.

Rund 500 Jahre nach der ersten Pogromnacht wurde erneut eine Synagoge errichtet, ein zweistöckiges klassizistisches Gebäude am Ufer der Gera. Es wurde der stetig wachsenden Gemeinde aber bald zu klein und zum Wohnhaus umgebaut. Das war ebenfalls die Rettung für das Gebäude, die Kleine Synagoge, die heute als Begegnungsstätte dient, die man besichtigen kann und in der sich unter anderem ein Archiv zur jüdischen Geschichte Erfurts befindet. Die Gemeinde errichtete ihre Große Synagoge im maurischen Stil, weihte den Prachtbau 1884 ein - und verlor ihn in der zweiten Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938. Auf diesem Grundstück entstand Anfang der Fünfziger die Neue Synagoge, der einzige Synagogenneubau auf dem Gebiet der DDR.

Wenn er erzählen könnte, der kostbare goldene Ring, dann würde er bestimmt über seine abenteuerliche Rückkehr ans Tageslicht berichten: Die begann im September 1998. Bauarbeiter hatten den Doppelkopf sowie Schmuck, Tafelsilber, Münzen und Barren in der Michaelisstraße 43 gefunden. Die Kostbarkeiten wurden restauriert und erregten später bei Ausstellungen in vielen Metropolen der Welt Aufsehen. Die Wiederentdeckung der Synagoge hingegen lässt sich nicht an einem einzigen Tag festmachen. Schon Ende der Achtziger bemühte man sich im Institut für Denkmalpflege, das vermutete Gebäude zu finden. Ab 1992 erfolgten systematische Bauuntersuchungen. Vor zehn Jahren dann begann die Restaurierung, bei der aus EU-, Bundes- und Landesmitteln rund 1,6 Millionen Euro verbaut wurden. Dabei kam jedoch die Frage auf, wie mit den vielen Schichten der Nutzung umzugehen sei. Welcher Verwendungszweck sollte hervorgehoben, welcher zurückgedrängt werden?

Den Restauratoren gelang es, alle Kapitel der vergangenen neun Jahrhunderte in den Blick des Betrachters zu rücken, als blättere man in einer Chronik. Vor dem Jahr 1100 errichtet, gilt das Gebäude als die älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge Mitteleuropas. Ein Lichtergesims und die im Erdgeschoss zusammengetragene Baugeschichte erinnern an diese ursprüngliche Nutzung. Von Erweiterungen und Umbauten des Bethauses erzählen das Mauerwerk und Maßwerkrosetten, von der Zeit als Speicher die gotischen Balkendecken, die Toreinfahrt und der Keller. Im Obergeschoss ist der Ballsaal des 19. Jahrhunderts noch erlebbar. Dass das einstige Bethaus den Rahmen für den wiederentdeckten Schatz bildet und dass die Ausstellung noch um wertvolle, von der Erfurter Gemeinde stammende hebräische Handschriften aus der Staatsbibliothek Berlin bereichert wird, diese Idee entwickelte sich erst lange nach den beiden Funden. Inzwischen sind beide Projekte zu einem sehenswerten Ganzen verschmolzen.

Ende Oktober 2009 öffnete die einstige Synagoge als Museum für die mittelalterliche jüdische Geschichte. Hier können die Besucher nun den Audioguides oder Expertenführungen folgen und sich mitnehmen lassen in ein fernes, bislang wenig bekanntes Kapitel Erfurter Geschichte. Doch das Museum Alte Synagoge und der Schatz, den es birgt, sowie die Neue und die Kleine Synagoge sind nicht die einzigen Zeitzeugen jüdischen Lebens, die in Erfurt zu sehen sind.

Noch von der Arbeit der Restauratoren beherrscht wird die 2007 entdeckte Mikwe, das Ritualbad am Ufer der Gera gleich bei der Krämerbrücke. Auch dieses Baudenkmal wird demnächst zu besichtigen sein. Neben den Zeugen jüdischer Kultur erlebt der Gast während der Stadtführungen (bislang nur Gruppen) auch die Belege der Juden-Feindlichkeit: geschändete Friedhöfe; der auf dem Schwein reitende Jude am Chorgestühl des Domes, den der Christ vom Pferd herab kämpfend besiegt, oder am Portal des Gotteshauses die bösartige Synagoga bei den törichten Jungfrauen als Gegenstück zur liebenswerten Ekklesia bei den klugen. Noch gibt es keine Pauschalen zur Thematik jüdische Geschichte, noch kann man auch nirgendwo koscher essen, aber mit der Eröffnung des Museums Alte Synagoge hat Erfurt von sich reden gemacht. Und einen ersten Schritt gemacht auf dem angestrebten Weg zum Unesco-Weltkulturerbe.