Nächtliche Traumreise in historischen Waggons: Im Eisenbahnhotel Bahnhof Lechtrup-Merzen im Osnabrücker Land wird dieser Traum wahr.

Rummdadummdadummdadummdadumm ... Rollt er? Oder rollt er nicht? Im Halbschlaf scheinen Wirklichkeit und Vorstellung zu verschwimmen. Vor zwei Stunden habe ich den "Bahnhof" Lechtrup-Merzen erreicht, am Rezeptions-Fahrkartenschalter im Gasthof Dückinghaus meine Schüssel erhalten, um dann dem Bahnsteig, vorbei an mehreren Waggons der "Deutschen Weinstraße", zu meinem tiefroten Schlafwagen zu folgen. Die Abteiltür schloss mich ein ins ungewöhnliche Nachtreich: Bahngefühl mit Hotelluxus.

Zugegeben, auch echte Nachtzugfahrten mit der Bahn müssen heute nicht mehr schlaflose Stunden in engen Mehrbettkabinen bedeuten. Doch im Hotel-Gasthof Dückinghaus im kleinen Ort Merzen im Norden des Osnabrücker Lands bieten die Bahnwagen Gästen weit mehr als das, nämlich zeitgemäßes Schlaf- und Wohnvergnügen auf Schienen. Eigentlich ein Kuriosum: "Denn bei uns in Merzen hat es nie Gleisanschluss gegeben", erzählt Gudrun Dückinghaus. Dass die 55-Jährige heute gleichwohl eine der ungewöhnlichsten Unterkünfte in Niedersachsen betreibt, entwickelte sich langsam.

Im Jahr 1967 hatten die Schwiegereltern der umtriebigen Gastgeberin in Merzen ihren Gasthof eröffnet. Diesen übernahmen in den 1990er-Jahren Gudrun Dückinghaus und ihr damaliger Mann Jan. "1997 kam uns bei einem Besuch im Spreewald die Idee, unser Restaurant mit einer Modelleisenbahn auszustatten", erinnert sie sich. Die Güterbahn der Spur 0 sollte Gäste mit Getränken, Eisbechern und kleinen Speisen wie Pommes Frites direkt am Tisch beliefern. "Doch das war komplizierter als gedacht. Manuell gesteuert fuhren die Loks zu ruckartig. Bis wir einen Programmierer fanden, der die Anlage in den Griff bekam, verging mehr als ein halbes Jahr", sagt Dückinghaus. Im Herbst 1998 war es endlich so weit - heute ist die kleine Gastronomie-Bahn, die an den Tischen lokale Bahnhöfe wie Haselünne oder Bippen ansteuert, bei Klein und Groß beliebt.

In den folgenden Jahren wuchs im Lokal eine immer umfassendere Bahnwelt. Freunde brachten Bahnschilder, -geschirr und andere Accessoires aus Deutschland und aller Welt mit. Irgendwann schafften die Gastronomen den ersten ausgedienten Bahnwaggon an, der im Vorgarten zum Spielen einlud.

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Was dem populären Ausflugsziel immer noch fehlte, waren Gastzimmer, beispielsweise für Hochzeiten und andere Feiern. Das Thema dafür lag auf der Hand: "2005 machten wir uns - auch nach Gesprächen mit regionalen Tourismusprofis - auf die Suche nach alten Bahnwaggons. Das Thema Bahn passte einfach zu uns", sagt Gudrun Dückinghaus. Charmant sollten die neuen Unterkünfte sein, am liebsten historisch und mit viel Charakter. So machte man sich auf die Suche nach geeigneten Objekten. Sie fragten bei der Deutschen Bahn, doch die wollte nur ausrangierte ICE-Züge verkaufen. Erst dank der Osnabrücker Dampflokfreunde gelang es, im Großraum Osnabrück fünf Traumwagen zu finden. Die Freunde halfen auch von März bis Oktober 2006, den fünf originalen Waggons aus den 50er- und 60er-Jahren ihr zeitgemäßes Äußeres inklusive Beschriftungen wie "Deutsche Weinstraße" zurückzugeben.

Innen wurden die per Tieflader an ihren "Endbahnhof" transportierten Wagen komplett entkernt und in moderne Hotelzimmer verwandelt. So entstanden neun Abteile mit 18 Betten. Alle Zimmer, sprich Abteile, sind mit eigenem Bad ausgestattet. Es gibt Klimaanlage, Kabelfernsehen und WLAN. Ein Waggon wurde sogar rollstuhlgerecht umgewandelt und kann nun ebenerdig befahren werden. Im Oktober 2006 eröffnete Deutschlands einziges Eisenbahnhotel in einer hellen, gläsernen Waggonhalle: "Das ist hierzulande einmalig", sagt Gudrun Dückinghaus. Zwar gebe es andere Bahnhotels, doch dort stünden die Waggons unter freiem Himmel. "Wir wollten die historischen Fahrzeuge vor Wind und Wetter schützen. Außerdem erlaubt uns der Schutz eine ganzjährige Öffnung bei vollem Komfort."

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Der Erfolg gibt dem eigenwilligen Projekt recht: Besonders an Wochenenden ist das Eisenbahnhotel Merzen fast immer ausgebucht. Im Sommer wie im Winter. Durchschnittlich zwei Nächte bleiben Gäste, die aus allen Bundesländern kommen, sagt Dückinghaus. Auf dem Programm stehen vor allem Radtouren auf dem ausgedehnten Radwegenetz der ländlichen Region, die zwischen den Orten Neuenkirchen, Bersenbrück, Fürstenau und Quakenbrück touristisch gesehen zum Artland gehört. Familien mit Kindern zieht es in die Schwimmbäder im Umland oder an den nahen Alfsee, wo unter anderem der Irrgarten und die Gokartbahn für Abwechslung sorgen.

Ebenfalls nur etwa 30 Autominuten entfernt liegen kulturhistorisch spannende Attraktionen wie das Museum zur Varusschlacht in Kalkriese, das Tuchmachermuseum in Bramsche und Osnabrück mit dem Rathaus des Westfälischen Friedens, Theater, Felix-Nussbaum-Haus, Dom, Museum der Industriekultur und anderen Sehenswürdigkeiten. Im Winter gehören Veranstaltungen wie Nachtwächterführungen in Merzen, Bersenbrück oder Osnabrück zu den populären Abwechslungen.

Sein endgültiges Ziel hat das Eisenbahnhotel in Merzen übrigens noch längst nicht erreicht, wenn man Gudrun Dückinghaus glaubt. Denn Ideen gibt es noch viele, sagt sie: "Mein persönlicher Traum ist ein eigener Waggon mit Sauna und kleinem Wellnessbereich. Und ein alter Salonwagen für Candle-Light-Dinner und andere intime Arrangements wäre auch schön." Ein Zeitpunkt dafür steht noch nicht fest. Sicher ist dagegen schon heute, dass die nächste Generation der Familie das Eisenbahnhotel weiterführen wird. Der 30-jährige Sohn, Marc Dückinghaus, der auch in Hamburg und Wien gearbeitet hat, leitet bereits die Küche. Und Tochter Kathrin hat ebenfalls im Hotelfach gelernt. Im kleinen Eisenbahnhotel in Merzen stehen alle Zukunfts-Signale auf Grün.