Mit einem Ranger geht es in Vester Vedsted durch Priele und Untiefen zu den Muschelbänken.

Ein Wintermorgen Anfang Februar an der dänischen Westküste, kurz vor acht Uhr. Treffpunkt Wattenmeercenter in Vester Vedsted, wenige Kilometer südwestlich von Ribe. Die Dämmerung ist kaum zu ahnen. Es ist kalt, vielleicht ein, zwei Grad über dem Nullpunkt. Nebel liegt über der grünen Landschaft. Kein Tag für Abenteuer. Schon gar nicht für eine Austernsafari.

Der frühen Uhrzeit zum Trotz hat sich eine kleine Gruppe von Naturfans eingefunden, um vom kleinen Ort in der Marsch eine der sensibelsten Naturlandschaften der Welt zu entdecken - das Wattenmeer. "Willkommen", begrüßt uns Klaus Melbye, der Leiter des dänisch Vadehavscenter genannten Natur- und Ausstellungscenters, das kürzlich seinen zehnten Geburtstag feierte. Der Ranger, der in seiner Heimatsprache Naturvejleder heißt, geleitet uns zur Einführung kurz durch die Ausstellung "Wattenmeer, Marsch und Menschen". Sie macht spielerisch erlebbar, wie empfindlich die Biosphäre auf Veränderungen reagiert. Wie die Gezeiten arbeiten. Wie Deiche schützen. Welche Kraft eine Sturmflut hat. Und wie Tiere wie Zugvögel oder Seehunde leben.

Dann wird es ernst. "Hier ist eure Arbeitskleidung" - Klaus Melbye zeigt auf eine beeindruckende Auswahl an Hosen in allen (Schuh-)Größen. Keine Designmode, aber praktisch und vor allem wasserdicht. Dann geht es endlich mit dem Auto vom Wattenmeerzentrum die letzten Meter hinaus an Deich und Küste. "Das Wichtigste ist, sich die Kräfte einzuteilen - wir gehen ja auf dem Meeresboden. Und dieser Untergrund kann ziemlich trügerisch sein", warnt unser erfahrener Führer.

Und tatsächlich: Fallen die ersten Schritte im quietschenden Schlick noch leicht, spüren wir schon nach einigen hundert Metern die Beinmuskeln. Schon verschwimmen Deich und Kirchturm von Vester Vedsted im Nebel des allmählich heller werdenden Vormittages. Schon jetzt wird uns Laien klar, wie wertvoll und lebenswichtig Melbyes moderne Technik ist - ein GPS-Navigationsgerät weist an Prielen und Untiefen vorbei den richtigen Weg zu den gut zwei Kilometer vor dem Ufer liegenden Austernbänken. Unterwegs macht der studierte Landwirt Klaus Melbye regelmäßige Pausen, um mit geschultem Blick auf Besonderheiten hinzuweisen: Auf Austernfischer, die vorbeilaufen. Auf kleine und große Krebse im Watt. Auf die Bohrlöcher von Herz- und Schwermuscheln.

Sein großes Thema aber sind die Austern. "Die Austern bei uns im Wattenmeer sind eigentlich Immigranten", erklärt Melbye. In zwei Phasen seien die Schalentiere in den 1960-er und 1980-er Jahren nach Sylt und Rømø zu Zuchtzwecken vom Stillen Ozean eingeführt worden. Dass sich die Austern einmal selbst vermehren würden, habe damals niemand gedacht.

"Eigentlich ist die Nordsee für ihre Fortpflanzung zu kalt," sagt Melbye. Doch Klimawandel, steigende Wassertemperaturen - Austern brauchen fünf Wochen lang 20 Grad warmes Wasser, um sich zu vermehren - und das Fehlen von natürlichen Feinden hätten dazu geführt, dass allein im dänischen Wattenmeer heute etwa 12 000 Tonnen Austern lebten. Noch vor vier Jahren seien es erst 1000 Tonnen gewesen.

Nach etwa einer Stunde Fußmarsch erreichen wir unser Ziel - eine Muschelbank. Austern soweit das Auge reicht. Mal einzeln, mal zusammengewachsen, im Durchschnitt etwa handgroß. Dazu kleinere Miesmuscheln. Unser Naturkundler erklärt: "Austern brauchen einen festen Untergrund, um zu wachsen - dazu docken sie sich an die Miesmuscheln an. Erst dann ist ihre Zukunft gesichert: Immerhin können sie bis zu 30 Jahre alt werden."

Es ist ein salziges Vergnügen: Melbye greift eine Auster aus der Menge und öffnet sie sanft mit einem Messer. Dann löst er das Fleisch und schlürft den Inhalt roh aus der Muschel. Da wollen wir nicht nachstehen.

Nach und nach wagen sich immer mehr Teilnehmer ebenfalls, das nicht nur bei Gourmets geschätzte Schalentier zu kosten. Der Geschmack? Stark salzig, etwas zäh, aber frisch und ziemlich intensiv.

"Ganz ohne Risiko ist der Genuss übrigens nicht - in seltenen Fällen droht eine Salmonellen- oder Bakterienvergiftung durch das rohe Austernfleisch." Gleichwohl greift der ein oder andere Teilnehmer noch zu und sammelt einige Austern für den "Hausgebrauch" - man darf die begehrten Tiere tatsächlich mitnehmen.

Wenig später müssen wir zurück, denn die Flut steigt bereits. Der unchristlich frühe Tourstart hatte wirklich seinen Grund. Auch der Nebel scheint jetzt dichter. Doch GPS-Navi und Naturkenner Klaus Melbye bringen uns sicher zurück an Land. Nach rund drei Stunden sind wir zurück am Ausgangspunkt. Erschöpft und leicht verkühlt erreichen wir das Wattenmeercenter. Der wärmende Kakao steht auf der Genussskala jetzt deutlich höher als jede Auster.