Die Zahl der freien Lehrstellen übersteigt die der Bewerber in Stormarn deutlich. Firmenchefs müssen in dieser neuen Situation umdenken.

Bad Oldesloe. Schulabgänger haben lange keine so guten Chancen auf eine Lehrstelle gehabt wie in diesem Jahr. Das geht aus dem gestern vorgestellten Ausbildungsmarktbericht 2011 der Agentur für Arbeit in Bad Oldesloe hervor. Am Stichtag, dem 30. September, standen den 2539 der Behörde gemeldeten Stellen 2065 ebenfalls dort registrierte Bewerber gegenüber. Statistisch gesehen fehlen den Unternehmen in der Region also fast 500 Azubis. Auch wenn diese Betrachtung oberflächlich ist - Bewerbungen ins Umland und umgekehrt bleiben ebenso unberücksichtigt wie die Frage, ob Bewerber und Ausbildungsbetrieb zusammenpassen -, ist der Wert ein Indikator für die Lage auf dem Ausbildungsmarkt.

Und die hat sich innerhalb weniger Jahre ins Gegenteil verkehrt. Vor fünf Jahren noch gab es 857 Bewerber zu viel oder ebenso viele Ausbildungsplätze zu wenig. Damals lagen in den Karteikästen der Arbeitsverwaltung die Daten 2629 junger Schulabgänger, während Betriebe nur 1772 offene Stellen anboten. Gute Konjunktur, geburtenschwächere Jahrgänge: 2010 kippte das Verhältnis, erstmals überstieg das Angebot die Nachfrage. "Wir haben inzwischen einen Bewerbermarkt", sagt Heike Grote-Seifert, Chefin der Arbeitsagentur in Bad Oldesloe. Sie rechnet damit, dass dieser Trend anhalten wird.

Für viele Unternehmer ist das eine relativ neue Situation. Grote-Seifert: "Haben sie in der Vergangenheit 100 Bewerbungen bekommen, so ist es heute vielleicht noch die Hälfte. Oder noch weniger." Auch Adelbert Fritz, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Stormarn, sagt: "Die Chefs bekommen nicht mehr so viele Bewerbungen." In diesem Jahr haben Stormarns Handwerker 439 Lehrverträge unterzeichnet, das sind zehn Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. "Aber es hätten gern noch mehr sein können", so Fritz. "Wenn es denn nur Bewerber gegeben hätte."

Auch im Zuständigkeitsbereich der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Lübeck ist die Zahl der zustande gekommenen Ausbildungsverhältnisse in Stormarn im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, und zwar um acht Prozent auf 919. Frank Neef, Teamleiter Ausbildungsberatung bei der IHK, sagt aber: "Für die Ausbildungsbetriebe wird es nicht leichter, ihre freien Plätze mit geeigneten Kandidaten zu besetzen." Schon heute sei es vor allem in der Gastronomie schwierig. Unbequeme Arbeitszeiten auch spät und an Wochenenden - das gefällt dem Nachwuchs in Zeiten reichlicher Auswahl nicht so gut. "Und die Arbeitszeiten im Einzelhandel entwickeln sich ja auch immer stärker in diese Richtung", sagt Neef.

Schon überlegen die Experten, wie dem größer werdenden Nachwuchsmangel begegnet werden kann. Adelbert Fritz: "Die Firmen werden sich darauf einstellen müssen, dass sie künftig auch auf jüngere Auszubildende angewiesen sind. 15- und 16-Jährige, so wie früher." Jugendliche, die nach der Schule wieder ganz altmodisch in einem Betrieb lernen, statt - womöglich mangels Alternative - weiter zur Schule zu gehen. Arbeitsagenturchefin Grote-Seifert: "Eltern müssen sich künftig fragen, ob es Sinn macht, die Kinder länger die Schulbank drücken zu lassen, obwohl es vielleicht nicht ihren Fähigkeiten entspricht." Die Chancen mit einem guten Hauptschulabschluss seien besser als die mit einem schlechten Realschulabschluss.

"Aber noch gibt es zu wenig Chancen für die ganz Jungen", sagt Grote-Seifert. "Dieses Denken muss erst mal wieder in die Köpfe der Chefs rein", sagt Adelbert Fritz. "Von unseren jungen Schulabgängern hören wir immer, dass sie den Betrieben noch zu jung seien", sagt Gabriele Kessler von der Bargteheider Anne-Frank-Schule.

An den Berufsschulen im Kreis in Ahrensburg und Bad Oldesloe spiegelt sich die neue Situation auf dem Ausbildungsmarkt schon deutlich wider. Die Zahl der Jugendlichen, die ohne Ausbildungsvertrag in der Tasche die Klassen besuchen, sinke; die der Lehrlinge, die ganz klassisch parallel zu ihrer Ausbildung im Betrieb zur Berufsschule gehen, steige wieder.