Die Menschen im 2000-Einwohner-Dorf Sülfeld müssen nach zwei spektakulären Kriminalfällen mit offenen Fragen leben.

Sülfeld. Tief steckt das Metall des Kreuzes im Boden am Rand des Feldwegs. Die Jahre haben der Farbe und der Konstruktion nichts anhaben können. Es steht an einer Zufahrt zu einem Acker am Rand des 2000-Einwohner-Dorfes Sülfeld. Wenn es wärmer wird, liegen Blumen davor. Daran wird sich wahrscheinlich nichts ändern, solange Freunde und Angehörige sich noch an Hans-Werner Studt erinnern. Die Kripo ist sicher: Er wurde 1996 an dieser Stelle ermordet. Doch bis heute hat die Mordkommission nicht geklärt, wer den Bauern umgebracht hat. Seine Leiche wurde nie gefunden.

Einen Kilometer entfernt stehen vor einem Bauernhof wieder zwei Autos. Nach einem Prozess, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte, sind Heinz-Georg Lange (Name geändert) und seine Tochter nach Sülfeld zurückgekehrt. Er stand nach monatelanger Untersuchungshaft wegen Mordes vor dem Landgericht in Kiel. Die Anklage warf dem 63 Jahre alten Rentner vor, im Sommer 2012 seinem Sohn einen Böller in den Mund gesteckt und angezündet zu haben. Danach soll Lange die Leiche des 27-Jährigen zerstückelt und in die Jauchegrube geworfen haben. Die Zerstückelung hat Lange gestanden, vom Mordvorwurf sprach ihn das Gericht aus Mangel an Beweisen frei.

Doch Klarheit hat das Urteil nur begrenzt geschaffen. Was einen Vater dazu bewegen kann, sein Kind wie ein Stück Vieh zu zerlegen und in Schweineexkremente zu werfen, wird im Dorf niemand jemals verstehen. "Wir müssen damit leben, dass es keine Antworten gibt", sagt Sülfelds Bürgermeister Volker Bumann. Er ist oberster Repräsentant einer Gemeinde, die mit zwei spektakulären Kriminalfällen bekannt wurde, wie sie kaum in den Chroniken mancher Großstädte zu finden sind. "Das wühlt so ein Dorf auf", sagt der Bürgermeister.

Routinemäßig hat die Mordkommission untersucht, ob zwischen den grausigen Fällen Zusammenhänge bestehen - ohne Erfolg. Die Sülfelder werden damit leben müssen, dass der Zufall das Dorf zweimal als Tatort auswählte. Und sie werden damit leben müssen, das Fragen nicht beantwortet werden.

Zwar sind die Übertragungswagen der TV-Sender und die Reporter seit dem Freispruch verschwunden, doch die Bluttat in der Familie Lange ist im Dorf gegenwärtig. Geschwister des Bauern leben in Sülfeld, manche haben kleine Kinder. Der Bauernhof liegt an einer Hauptstraße. Wer hier vorbeifährt, erinnert sich unweigerlich an die Tage, als die Polizei hier ermittelte, das Gelände absperrte und die Leichenteile barg.

Dass Heinz-Georg Lange auf den Hof zurückgekehrt ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Bürgermeister Bumann ist sicher, dass man ihn bald auch wieder im Lebensmittelmarkt oder bei einer Fahrradtour sehen wird. "Es wird viele Menschen im Dorf geben, die sich normal mit ihm unterhalten werden", sagt der Bürgermeister, der sicher ist, dass Lange seinen Sohn nicht ermordet hat. "Wenn der Richter ihn nicht verurteilt, können wir das auch nicht", sagt Bumann.

Er will keine Fragen stellen, hat sich der Bürgermeister vorgenommen. "Das wird hier keiner tun." Dass jemand am Straßenrand stehen und laut "Mörder!" rufen wird, glaubt der Bürgermeister nicht. "Er gehörte immer dazu und hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen."

Die Katastrophe in der Familie Lange geschah am Ende einer Reihe quälender Schicksalsschläge: Der Hof brannte 1964 ab, nachdem ein kleiner Junge gezündelt hatte. Die Landwirtschaft reichte kaum zum Überleben, der Vater von Heinz-Georg und seinen Brüdern litt an einer schweren Krankheit. Vor wenigen Jahren schien das große Geschäft zum Greifen nahe, als auf dem Hof ein Luxushotel entstehen sollte. Doch der Deal scheiterte.

Die Familie war zerrüttet. Der im Sommer gestorbene Sohn war ein dorfbekannter Trinker, die Tochter wird als aggressive Kampfsportlerin gefürchtet. "Heinz-Georg ist immer ruhig geblieben, war bescheiden und freundlich", sagt Bumann. "Und ich bin sicher, dass er nicht der Mörder seines Sohnes ist." Heinz-Georg Lange hatte immer wieder gesagt, dass sich der 27-Jährige selbst im Vollrausch den Kanonenschlag in den Mund gesteckt hat. Doch auch diese Version ist nicht bewiesen.

Wie Hans-Werner Studt ums Leben kam, ist bis heute ebenfalls ungewiss. Von ihm fand man nur eine Blutlache, die so groß war, dass keine Zweifel an seinem Tod bestehen. An dieser Stelle steht heute das Kreuz.

Der 50-Jährige verschwand am 18. Oktober 1996. Die Polizei fand später seinen Traktor und suchte mit gewaltigem personellen und technischen Aufwand nach der Leiche, jedoch ohne Erfolg. War im Fall Lange der Tod des Sohnes der entsetzliche Höhepunkt einer düsteren Familiengeschichte, so begann bei der Familie Studt das familiäre Desaster mit dem Fund der Blutlache.

"Seine Mutter hat immer gesagt: ,Pass man op, den find se noch'", erzählt der Bürgermeister. Jahre später erhängte sich die Mutter.

Am 12. Oktober 2001 erklärte das Amtsgericht Neumünster Hans-Werner Studt für tot. Den Antrag hatte seine Witwe Karin gestellt. Danach begann ein erbitterter Erbstreit mit dem Stiefsohn. Im Februar 2002 zerstörte ein Brandstifter den Bauernhof der Familie, der 2006 vollständig abgerissen wurde. Als das Abrissunternehmen kam, bat die Kripo die Arbeiter, verdächtige Beobachtungen zu melden. Doch die Männer wurden nicht fündig. Auf der Fläche sind vier Bauplätze für Einfamilienhäuser entstanden, drei wurden bereits bebaut.

Die Polizei nimmt sich den Fall routinemäßig immer wieder vor und prüft, ob neue Anhaltspunkte vorliegen, die die Ermittlungen voranbringen könnten. Doch in den vergangenen Jahren suchten die Kriminalbeamten vergeblich nach Neuigkeiten. "Ich glaube nicht, dass der Fall jemals gelöst wird", sagt Bumann.