Die Initiative “Die zweite Chance“ betreut Dauerschwänzer. Manche davon werden unter anderem auch von der Polizei zum Unterricht gebracht.

Ahrensburg. In Stormarn gibt es rund 40 Kinder und Jugendliche, die regelmäßig die Schule schwänzen. Das geht aus Statistiken des Kreisschulamts hervor. Wer mehr als 20 Tage pro Halbjahr unentschuldigt fehlt, gilt als Schulverweigerer. Für die Vorjahre gibt es keine verlässlichen Zahlen, weil nicht alle Schulen der Behörde Rückmeldung gegeben haben. "Schulen werden zunehmend für das Thema sensibilisiert", sagt Schulrätin Katrin Thomas, "Unterstützungsmöglichkeiten werden mehr und mehr genutzt."

Um Dauerschwänzer kümmern sich Schulsozialarbeiter, Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes und die Initiative "Schulverweigerung - Die zweite Chance". Immer mehr Schulen haben inzwischen auch ihren eigenen Sozialpädagogen.

Die Hahnheide-Schule Trittau hat Kinder auch schon von der Polizei zu Hause abholen lassen. "Das ist seit 2004 fünfmal vorgekommen", sagt Schulleiter Hartmut Hentschel. "Die Schüler werden bis zum Sekretariat gebracht, und dann eskortiere ich sie meistens persönlich in ihre Klasse." Die Betroffenen könnten so meist zum Einlenken gebracht werden.

Stormarns Schulrätin Katrin Thomas sagt, dass auch schon Bußgelder verhängt wurden. Das sei nur in Einzelfällen angemessen, betont sie. Auch Schulleiter Hartmut Hentschel sieht Bußgelder kritisch: "Viele Eltern können gar nichts dagegen machen, dass ihr Kind die Schule schwänzt. Sie sind sowieso schon verzweifelt, und dann werden sie noch zusätzlich bestraft."

Auf Rundumbetreuung setzt die Initiative "Schulverweigerer - Die zweite Chance", die sich um Schulschwänzer ab der siebten Klasse kümmert. Sie wird vom Bundesfamilienministerium finanziert und hat bundesweit 191 Anlaufstellen - für Stormarn an der Waldstraße in Ahrensburg. Ljiljana Schwanenberg, Erzieherin und Mitarbeiterin der "Zweiten Chance", nennt als Gründe fürs Schwänzen die Angst vor Spott, Ablehnung und Gewalt durch Mitschüler sowie Versagensängste. In solchen Fällen seien Polizei und Geldstrafen fehl am Platz. "Wir betreuen die Schüler ein Jahr lang", sagt Ljiljana Schwanenberg. Ziel sei es, die Schüler so weit zu stabilisieren, dass sie ihren Hauptschulabschluss schaffen und im Idealfall dann eine Lehre beginnen.

Seit dem Start im Jahr 2008 wurden in Ahrensburg 47 Schulverweigerer betreut. Zehn brachen die Zusammenarbeit ab, alle anderen hielten durch. Für Ljiljana Schwanenberg ist allein das schon ein Erfolg. Denn nicht immer gelingt es, die Jugendlichen zum Hauptschulabschluss zu führen. So konnte ein 13-Jähriger den überraschenden Tod seines Vaters nicht verkraften. Die Mutter war mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt und völlig überfordert. Der Junge störte massiv in der Schule und wurde oft vom Unterricht ausgeschlossen. Das Jugendamt und die "Zweite Chance" versuchten, mit dem Jungen den Tod seines Vaters aufzuarbeiten. Trotzdem verbesserten sich Verhalten und Noten nicht ausreichend.

Eine heute 21 Jahre alte Ahrensburgerin hat wegen des Schwänzens ohne Abschluss die Schule verlassen, obwohl sie von ihren Lehrern für hochbegabt gehalten wurde. "Ich hatte das Gefühl, vor meinen Mitschülern und Lehrern einem bestimmtem Bild entsprechen zu müssen", sagt sie. Gerade weil man so viel von ihr erwartete. Damit konnte sie nicht umgehen und ging irgendwann nicht mehr zum Unterricht.

Das Schwänzen sei ein Teufelskreis, sagt die ehemalige Gymnasiastin. "Irgendwann hat man bei Mitschülern und Lehrern einen Ruf, den man nicht mehr los wird." Es falle immer schwerer, wieder zur Schule zu gehen. Und auch die Noten wurden schlechter. "In Französisch hatte ich plötzlich eine Vier", sagt sie. Weil sie an gute Zensuren gewöhnt gewesen sei, habe ihr das noch mehr Motivation genommen. Bis jetzt hat sie mehrere Schulwechsel und Therapien hinter sich.

Es gibt aber auch Erfolgserlebnisse. "Wir treffen uns mindestens ein Mal pro Woche mit den Schülern und sind per E-Mail, SMS und Telefon fast täglich in Kontakt, manchmal auch nur, um zu fragen, wie es geht und wie der Schultag war", sagt Ljiljana Schwanenberg. "Außerdem versuchen wir, ein Netz von Helfern aufzubauen, die nach dem Jahr die Schüler unterstützen."

Der Bargteheider Schulsozialpädagoge Joachim Brodmann von der Anne-Frank-Schule tut alles, damit seine Schüler gar nicht erst in einen Teufelskreis hineingeraten. "Bei uns wird ab der fünften Klasse einmal die Woche ein Klassenrat abgehalten. Dort werden Konflikte meistens schnell gemeinsam gelöst. Außerdem versuchen wir, die beiden Klassenlehrer nicht auszuwechseln, sodass die Schüler über Jahre feste Bezugspersonen behalten." Manchmal sind aber auch die Helfer machtlos: "Vor sechs oder sieben Jahren hatten wir ein Mädchen, das unter so starker Schulangst litt, dass man es stationär behandeln musste."