In Bargteheide nahm alles seinen Anfang, mit verwunderten Anrufen beim damaligen Bürgermeister Werner Mitsch. Ein Versuch, den “Irrsinn“ zu erklären.

Bargteheide. "Weißt du, was das soll?" "Nein, keine Ahnung. Aber es kommt aus deinem Bereich." Vor fast genau sechs Jahren wurde dieser Dialog im Kleinen Theater Bargteheide gesprochen - nicht auf der Bühne, sondern im Foyer. Helmut Drenkhahn, Vorsteher des Amtes Bargteheide-Land, saß am zweiten Weihnachtsfeiertag 2003 nach einer Theaterveranstaltung mit dem damaligen Bargteheider Bürgermeister Werner Mitsch beim Wein zusammen. Beide hatten zuvor Anrufe von Bürgern bekommen, die sich über Post vom Gewässerpflegeverband (GPV) Grootbek ärgerten. Der wird von der Amtsverwaltung Bargteheide-Land betreut. 8,50 Euro sollten sie zahlen, das Überweisungsformular habe gleich dabei gelegen. "Wofür?", fragten sich der Bürgermeister und der Amtsvorsteher - und fanden keine Erklärung.

Hunderten Bargteheidern ging es ebenso. Zwischen Weihnachten und Neujahr wuchs die Zahl der Telefonanrufe bei Werner Mitsch. "Die Bürger haben nicht verstanden, was das sollte. Ich ja auch nicht", sagt er. Auch die Leiterin der Amtsverwaltung, damals Gudrun Wramp, blickte nicht durch. Gegenüber dem Abendblatt, das am Silvestertag 2003 erstmals berichtete, sagte sie: Da liege wohl ein "Bürofehler" vor.

Aber dem war nicht so. Mit der vorweihnachtlichen Überraschungspost begann eine Kette von Widersprüchen und Klagen, eine Kette von neuen und wieder neuen Bescheiden, die ihren vorläufigen Höhepunkt am vergangenen Montag in einer von 850 Menschen besuchten Protestveranstaltung einer extra dafür gegründeten Interessengemeinschaft fand. Nur wenige Bürgerinitiativen in Stormarn können von sich behaupten, jemals einen derart großen Zulauf gehabt zu haben. Und alle Protestler fragen sich: Warum ist aus einer einstmals unbürokratischen Regelung, mit der die Gewässerpflegeverbände über Jahrzehnte hinweg zuverlässig zu ihrem Geld kamen, ein bürokratisches Monstrum geworden?

Alles begann mit einer Routineangelegenheit - und mit dem technischen Fortschritt, der auch vor Verwaltungen nicht halt macht. Volker Weidemann, Prüfer des Landesverbands der Wasser- und Bodenverbände, schaute im Jahr 2003 mal wieder bei der Amtsverwaltung Bargteheide-Land rein. Drei Gewässerpflegeverbände werden dort betreut, jährlich werden sie geprüft: Grootbek, Ammersbek-Hunnau und Mittlere Alster. Der Prüfer soll, so erzählt man sich in Stormarn, dem Verband rechtswidriges Verhalten vorgeworfen haben. Die Art der Beitragserhebung sei nicht in Ordnung. Bis dahin hatten die den Verbänden angehörenden Kommunen für ihre Bürger Geld an die Verbände gezahlt. Allerdings nicht für alle. Wer im sogenannten "Außenbereich" der Städte wohnte, zahlte selbst. Zumeist waren das Landwirte.

Weidemann passte das nicht, in der Tat verletzte diese Regelung den Gleichheitsgrundsatz. Und überhaupt sei diese Art der Kostenübernahme durch die Kommunen gar nicht möglich, jeder Grundstückseigentümer müsse seinen Anteil selbst bezahlen.

Im Amt Bargteheide-Land war man daraufhin besonders willfährig und versuchte, die Weidemannschen Worte möglichst rasch Realität werden zu lassen. Die Mittel dazu waren vorhanden, denn das Katasteramt hatte seinen Datenbestand endlich auf EDV umgestellt. "Erst das machte es uns möglich, auf jedes einzelne Grundstück zuzugreifen", sagt Ulrich Bärwald vom Amt Bargteheide-Land, damals wie heute für die drei Verbände zuständig. Und deshalb bekamen viele Stormarner kurz vor Weihnachten 2003 Post von einer Institution, die sie bis dahin noch nicht einmal dem Namen nach kannten: dem Gewässerpflegeverband.

Mittlerweile hat sich der Name herumgesprochen. Zehn Verbände gibt es in Stormarn, alle kümmern sich darum, Bäche und Flüsse in Schuss zu halten. Sie spielen bei der Entwässerung auch der Stadtgebiete eine wichtige Rolle. Jede Regenwasserkanalisation endet irgendwann in einem natürlichen Wasserlauf. Viele Verbände haben schon vor Jahren auf Bezahlung durch jeden Grundeigentümer umgestellt - ohne Probleme. Der Wasser- und Bodenverband Trave, auch für einen Teil von Bad Oldesloe zuständig, hat erst 2005 auf die "dingliche Mitgliedschaft" umgestellt - so heißt das Ding, das jetzt beim GPV Ammersbek-Hunnau für Ärger sorgt. Der Trave-Verband, der 3900 Mitglieder hat, verlangte zunächst 8,50 pro Jahr, in diesem Jahr hat er auf 9,50 Euro umgestellt. Und das überraschenderweise ohne Protest. Aus den Neubaugebieten seien ein paar Anfragen gekommen, heißt es beim Verband. Mehr sei nicht passiert.

Warum diese geringe Gebühr im GPV Ammersbek-Hunnau - dort sind es nur 6 Euro im Jahr - für einen derartigen Proteststurm sorgt, woanders aber nicht, ist eine der spannendsten Fragen in dieser verworrenen Geschichte. Werner Mitsch, längst im Ruhestand, vermutet, dass die schlechte Vorbereitung dazu beigetragen hat. "Wir wurden damals ja überrumpelt", sagt er. "Keiner hat uns darauf vorbereitet, dass man direkt an den Verband zahlen muss." Er hält das nach wie vor für einen "bürokratischen Irrsinn". "Da muss man sich nicht wundern, wenn die Bürger dagegen angehen."

Zunächst aber gab es noch eine Atempause. Viele Kommunen, Bargteheide voran, bezahlten weiterhin die Beiträge für ihre Bürger (Fachbegriff: ablösen). Erst 2005 wurde diese Regelung endgültig gekippt.

Damit ging der Irrsinn erst richtig los. Ende 2005 wurden tausende Bescheide für 2006 erst verschickt, dann wieder ausgesetzt, nachdem das Innenministerium versprochen hatte, das Landeswassergesetz zu ändern. Aber das Gesetz ließ auf sich warten. Ende 2007 gab es deshalb wieder Post von den drei Verbänden: 17 000 Bescheide wurden verschickt.

Da war die Bombe schon längst gelegt: Der Ammersbeker Rechtsanwalt Rolf Finkbeiner hatte gegen den 2005er-Bescheid des GPV geklagt. Mitte 2008 überzeugte er mit folgender Auffassung das Verwaltungsgericht Schleswig: Er, Finkbeiner, sei gar nicht Mitglied des Gewässerpflegeverbands, folglich könne man von ihm auch keinen Mitgliedsbeitrag verlangen.

Klingt logisch, setzte aber erst recht die Bürokratie mit seiner ganzen ungezügelten Kraft ins Werk. Der Kreis Stormarn, Aufsichtsbehörde für die drei Verbände, entschied, alle Grundeigentümer zu Zwangsmitgliedern zu machen. Damit liefen die Dinge ein bisschen aus dem Ruder. Finkbeiner stellte Strafantrag gegen den Gewässerpflegeverband, und der Tremsbütteler Hartmut Timme zeigte den Landrat Klaus Plöger wegen Rechtsbeugung an. Zugleich gründete er eine Initiative, der innerhalb von rund vier Monaten 1300 Grundeigentümer beitraten. Timme will nun eine Sammelklage gegen die "Heranziehungsbescheide" vorbereiten.

Insofern werden die sechs Euro Beitrag pro Jahr wohl demnächst von einem Gericht geprüft werden. Dabei ist Rettung längst in Sicht. Das, was lange nicht erlaubt war, ist laut Innenministerium nun nämlich wieder möglich: die Übernahme der Beiträge durch die Kommunen.