300 Jahre lang bestimmte die Papierherstellung das Gesicht des Buxtehuder Stadtteils

Buxtehude. Nicht immer haben Orangensaft und Traubennektar die Geschicke des Grundstücks bestimmt, das heute als "ehemaliges Granini-Gelände" am Buxtehuder Mühlenteich bekannt ist und auf dem in Kürze ein Lidl-Markt entstehen soll. Lange bevor das Bielefelder Unternehmen Granini 1968 die Obstmosterei Klindtworth übernahm, die dort seit 1954 ihren Sitz hatte, wurde an der Moisburger Straße ausschließlich Papier produziert.

Mehr als 100 Jahre lang hatte die Papierfabrik Winter das Grundstück in ihrer Hand, bevor sie 1925 in Konkurs ging. Doch schon 300 Jahre zuvor drehten sich am Mühlenteich die Mühlenräder und stellten nicht nur Korn, sondern auch Papier her.

"Das Gelände ist einer der ältesten Gewerbestandorte Buxtehudes", sagt Stadtarchivar Bernd Utermöhlen und blättert in alten Schriftstücken, auf denen immer wieder Bilder mit rauchenden Schornsteinen und emsigen Arbeitern hervorblitzen. Die Bilder sind zugleich Beleg dafür, dass die Trennung von Wohnhäusern und Arbeitsstätten damals noch kein Thema war. Eine Zementfabrik oder eine Ölmühle direkt am Buxtehuder Hafen, Gerbereien mitten in der Altstadt - da fiel auch ein dampfender Fabrikschlot am Mühlenteich nicht mehr ins Gewicht.

Bereits im Mittelalter existierten Kornmühlen an der Este

Eine der ersten Erwähnungen der Papierfabrikation in Altkloster reicht ins Jahr 1622 zurück. Am 12. Oktober soll Meister Jacob Hovern und seinen Erben das Privileg erteilt worden sein, "im Erz Stifte allein Lumpen einsammeln zu dürfen", wie es in einem Schriftstück heißt. Diese Lumpen aus alter Kleidung wurden mit Hilfe von Walzen und Pressen zerlegt und schließlich zu Papier verarbeitet. Unerlässlich war dafür die Kraft des vom Wasser der Este getriebenen Mühlrads.

Bereits mehr als 400 Jahre zuvor hatte man sich diese Energie in Altkloster zunutze gemacht. Das belegt die Stiftungsurkunde des dortigen Klosters aus dem Jahre 1196 oder 1197. "Darin ist von zwei Kornmühlen die Rede, die dem Kloster und den Edelleuten gehörten", erzählt Utermöhlen.

Im Laufe der Jahrzehnte hatte die Papiermühle unterschiedlichste Pächter, bevor im Jahre 1816 eine Art Aufschwung beginnen sollte. In diesem Jahr kaufte Johann Hinrich Winter die "Erbzinspapiermühle zu Altkloster". Er führte den Betrieb erfolgreich ins 19. Jahrhundert.

Sein Sohn Johann Asmus Winter war es jedoch, der die Papierfabrikation in Altkloster zur Blüte brachte. 1838 übernahm er offiziell die Geschicke der Firma. Er sei durch Entschlusskraft, Wagemut, Ideenreichtum und Können aufgefallen. So beschreibt es zumindest die Niederschrift "Drei Jahrhunderte deutscher Papiermacherei", in der die Historie der Winter'schen Papierfabriken beschrieben wird. Der Junior vollführte den Wandel zur Industrialisierung. Er brachte Mitte der 1840er-Jahre die erste Papiermaschine in den Betrieb und erwarb 1852 eine zweite.

Gegen Ende der 1850er-Jahre soll er auf dem Areal in Altkloster innerhalb von 24 Stunden etwa 6000 Pfund Papier hergestellt haben. Der Grund für diesen Produktionsanstieg war vor allem die große Papiernachfrage als Folge des steigenden Bildungsniveaus. Bücher waren gefragt. Die Produktion verschlang immer mehr Papier. Auch nach außen hin war dieser Zeitenwandel sichtbar. 1854 wurde der alte Kanal verlegt, der bisher das Mühlrad getrieben hatte, gleichzeitig wurde auch eine Turbinenanlage eingebaut. Das Plätschern der historischen Wassermühle verschwand, stattdessen war jetzt das Schnauben einer Dampfmaschine zu hören. Doch die goldenen Jahre währten nicht ewig. Winters Söhne Johann Heinrich und Otto Christian zeigten weit weniger unternehmerisches Geschick als ihr Vater. Im Jahre 1865 entschieden sie, eine Aktiengesellschaft zu gründen. Hinzu kommt, dass von den 1870er-Jahren an eine Überproduktion an Papier einsetzte. Der Gewinn schrumpfte.

Auch der Ärger mit der Stadt Buxtehude nahm zu. 1865 soll das Wasser der Este eine "Farbe wie Eierbier" gehabt und einen blau-grünen Schaum getragen haben. Grund dafür waren Chemikalien, die die Fabrik zum Bearbeiten des Papiers verwandte. "Tief bekümmert" über sein ins Wanken geratenes Lebenswerk, so wird berichtet, soll Johann Asmus 1880 verstorben sein.

Zwei Jahre später konnte ein Konkurs gerade noch verhindert werden. Die Firma wurde neu organisiert, modernisiert und beschäftigte um 1900 mehr als 300 Arbeiter. Doch eine Feuersbrunst, die die Fabrik 1917 fast komplett zerstörte, machte alle Bemühungen zunichte. Zwar wurde nach dem Ersten Weltkrieg noch versucht, die Produktion wieder anzukurbeln und neue Abnehmer zu gewinnen. Doch der Konkurs konnte im Jahr 1925 nicht mehr abgewendet werden. Mehr als 300 Jahre Papierherstellung in Altkloster fanden jäh ihr Ende.