Stefan Silar ist seit 20 Jahren in der rechtsradikalen Szene aktiv. Und kultiviert zugleich das Bild des ganz normalen Bürgers.

Stefan Silar ist 19 Jahre alt, als er Gustav Schneeclaus tötet. Es ist der 18. März 1992, ein kühler Mittwochabend in Buxtehude. Gemeinsam mit einigen Kumpeln ist Silar an jenem Tag bereits seit den Nachmittagsstunden am Busbahnhof der Kleinstadt, wo sich die rechtsradikale Szene regelmäßig zu "exzessivem Alkoholkonsum" trifft, wie in alten Zeitungsartikeln zu lesen ist.

Dort stoßen sie auch auf Schneeclaus, einen 53 Jahre alten Kapitän. Er ist ebenfalls betrunken und stellt den jungen Männern Fragen zur Seefahrt. Irgendwann muss das Gespräch dann gekippt sein. "Hitler war der größte Verbrecher", soll Schneeclaus zu den Neonazis gesagt haben. Es kommt zum Streit, der schließlich eskaliert. Ein 26-Jähriger aus Neugraben tritt dem Kapitän mit seinen schweren Stiefeln ins Gesicht, schlägt später mit einem Kantholz zu. Auch Silar malträtiert das Opfer mit Tritten. Am Ende springt er sogar mit beiden Füßen auf den Körper des Mannes, während ihn sein Freund anfeuert. Vier Tage später, am 22. März, stirbt Schneeclaus an seinen schweren Verletzungen.

+++ Silar, der Straftäter +++

20 Jahre ist das mittlerweile her. In Buxtehude gibt es am Sonnabend, 17. März, eine zentrale Gedenkveranstaltung mit Kundgebung und Demonstration in Gedenken an das Opfer. Bis Donnerstag, 22. März, Schneeclaus' Todestag, kann jeder Blumen am Busbahnhof der Estestadt niederlegen.

Was aber ist aus den Tätern geworden? Der 26-jährige Neugrabener wurde damals zu acht Jahren und sechs Monaten Gefängnis wegen Totschlags verurteilt, Stefan Silar zu sechs Jahren Jugendstrafe, nach fünf Jahren wurde sie in eine Bewährungsstrafe umgewandelt.

Es hätte nun sein können, dass die Zeit im Gefängnis den jungen Silar läutert, dass er seine Tat und ihre Motive bereut und ein anderer Mensch wird. Doch das ist offensichtlich nicht der Fall. Er bleibt der Szene treu und betreibt heute den Laden "Streetwear Tostedt", den er im Jahre 2005 im Ortsteil Todtglüsingen der Samtgemeinde eröffnet hat. Keine hundert Meter vom Ehrenmal für die Gefallenen der zwei Weltkriege entfernt.

Wer in diesen Tagen an dem Laden vorbeigeht, entdeckt einen weißen Zettel an der Eingangstür. "Für Presse jeglicher Art besteht Hausverbot" steht darauf geschrieben. Dazu der Hinweis: "Dieses Objekt wird kameraüberwacht." Selbst ein ahnungsloser Passant ahnt, dass das kein gewöhnliches Geschäft ist. Der Laden an der Niedersachsenstraße, der laut seiner Internetseite neben Thor-Steinar-Pullis unter anderem auch Musik von Gruppen wie Nahkampf & Schwarzer Orden, Spreegeschwader oder Endlöser im Angebot hat, wird vom Niedersächsischen Verfassungsschutz als Ausgangspunkt rechtsextremistischer Aktivitäten eingestuft.

Dass Silar von dort aus bis zum heutigen Tage nahezu ungestört wirken kann, liegt nicht zuletzt an mehreren Gerichtsverfahren, die am Ende zu seinen Gunsten ausgingen. Erst vor knapp zwei Monaten, Mitte Januar, hob das Oberlandesgericht Celle ein Urteil des Landgerichts Stade auf, das bereits ein Urteil des Tostedter Amtsgerichts abgemildert hatte (siehe Infokasten). Für die Tostedter Bürger bedeutet das alles in allem, dass sie weiterhin mit dem Geschäft in ihrer Mitte leben müssen.

+++ Silar, der "Spiritus Rector" +++

Und genau dort, in dieser Mitte der Gesellschaft, will auch Silar selbst unterkommen. "Wir gehen davon aus, dass er für sich ein Biedermann-Image kultivieren will", sagt Ulrich Graß. Der Lehrer für Deutsch und Werte und Normen am Tostedter Gymnasium ist Mitglied im Forum für Zivilcourage, das sich im Jahre 1998 gegründet hat. Es ist ein loser Verbund von etwa 30 Bürgern und Vertretern von Schule, Kirche, Polizei und Verwaltung, die zeigen wollen, dass Tostedt auch ein anderes, nazifreies Gesicht hat. "Das Problem ist ja da, man darf es nicht verschweigen, sondern muss offensiv damit umgehen", ist seine Überzeugung.

Warum aber kann dieses "Problem", für das Silar und sein Laden quasi exemplarisch stehen, so gut gedeihen? Was ist die Faszination, die von ihm ausgeht? Ist er nicht ein ganz normaler Geschäftsmann, der zu Fuß die wenigen Hundert Meter von seiner Wohnung zum Geschäft geht, um die Eingangstür aufzuschließen und den Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen?

Graß ist sich sicher, dass Silar vor allem die Beteiligung am Tod Schneeclaus', so makaber es klingt, einen gewissen Nimbus in der Szene verleiht. Auch sein langes Strafregister dürfte dazu beitragen. Allein von 1992 bis 2010 umfasst es sieben Einträge. Offen bleibt hinter diesen Fakten, wer der Mensch Stefan Silar überhaupt ist. Fragt man nach, sind die Antworten recht vage und beziehen sich eher auf seine Taten. Seine ersten Schritte in der Szene soll er als Jugendlicher in Buxtehude unternommen haben, sagt Olaf Meyer, Mitglied der Antifaschistischen Aktion Lüneburg/Uelzen und einer der Redner bei der Gedenkveranstaltung am 17. März in Buxtehude.

Nachdem Silar seine Gefängnisstrafe Ende der 90er-Jahre abgesessen hatte, während der er eine Ausbildung zum Zentralheizungs- und Lüftungsbauer absolvierte, blieb er mit der rechten Szene in Kontakt. Wo genau er zu diesem Zeitpunkt wohnte, ist Meyer indes nicht bekannt, als Geburtsort wird bei Gerichtsverhandlungen Buxtehude angegeben.

+++ Herber Rückschlag für Tostedt +++

Über das Netzwerk "Blood & Honour" sei er dann maßgeblich an der Organisation von Szene-Konzerten beteiligt gewesen, so Meyer weiter. Über "Combat 18" ebenso, jedoch zeichnete die Gruppe auch für weitere gewalttätige Aktionen verantwortlich. "Diese Zeit war ein Bruch", sagt Olaf Meyer. Erstmals verdiente Silar Geld mit seiner Ideologie. Aus diesem Szenario heraus soll der Gedanke erwachsen sein, den Streetwear-Laden in Tostedt zu eröffnen.

Der Vater dreier nicht erwachsener Kinder schart laut Meyer derzeit eine Gruppe von etwa 50 Gleichgesinnten um sich, die auch mit den Kameradschaften "Gladiator Germania" oder "Nationaler Widerstand Tostedt" verbunden sein soll. Ulrich Graß geht derweil von circa 30 Gesinnungsgenossen aus. "Durch den Laden werden Jugendliche geködert", sagt Graß. Häufig seien es Außenseiter, die sich dort willkommen fühlten. Sie gingen zum Kickern dorthin und wollten sich in einer Mutprobe beweisen, wenn sie die am Gymnasium seit anderthalb Jahren verbotenen Thor-Steinar-Pullover trügen. "Erst vor wenigen Wochen hatte jemand aus unserer achten Klasse einen solchen Pulli an", sagt der Lehrer.

Stefan Silar hat zwei Gesichter, davon ist er überzeugt. Eines ist das des guten Bürgers, der wie jeder andere im Ort lebt, das andere ist das des gefährlichen Neonazis, der auf Fotos von Demonstrationen mit wutverzerrtem Gesicht auftaucht. "Er ist jemand, vor dem man sich in Acht nehmen muss", sagt Graß. "Wir müssen aufpassen, dass er hier nicht eines Tages für den Samtgemeinderat kandidiert."

Es ist der Zwiespalt, wie man dem "Problem Silar" am besten begegnen sollte, der in Tostedt überall zu spüren ist. Hinsehen oder wegschauen? Herunterspielen oder ernst nehmen? Samtgemeindebürgermeister Dirk Bostelmann hat sich dazu entschieden, die Sache nüchtern zu betrachten. "In unserem Land darf jeder seine Meinung äußern", sagt er. Es gehöre in einem Rechtsstaat dazu, solche Leute zu ertragen - man müsse mit ihnen ja nicht in eine WG ziehen oder sie im öffentlichen Dienst einstellen. Vor allem aber sieht es Bostelmann als Aufgabe der Samtgemeinde an, dafür zu sorgen, dass den Rechtsradikalen keine Jugendlichen auf den Leim gehen. Über den Präventionsrat, die Schulen und einzelne Projekte der Jugendarbeit werde viel gemacht.

+++ Schüsse auf Rechtsextremisten? +++

Auch Eike Holtzhauer, zweiter Vorsitzender des Todtglüsinger SV, kennt den privaten Silar, der in der Fitnesshalle seines Vereins ein- bis zweimal die Woche sein Krafttraining absolviert. Er könne die Diskussion im Ort zwar nachvollziehen, warum der Verein ihn überhaupt bei sich trainieren lasse, sagt er. Nur - welche Handhabe hat ein Verein gegen jemanden, der sich an die Regeln hält? "Wenn wir ihn hinauswerfen, kann er vor Gericht ziehen."

Es sei nicht Aufgabe des Sports, etwaige Versäumnisse der Justiz auszubügeln. "Uns wurde von der Polizei gesagt, dass der Verfassungsschutz die Sache unter Kontrolle hat." Wenn das doch nicht der Fall sein sollte, könne der Todtglüsinger SV nicht ersatzweise Recht sprechen. Ähnlich wie der Samtgemeindebürgermeister findet es Holtzhauer weit wichtiger, die Jugendlichen gegen braunes Gedankengut zu immunisieren. "Wir achten darauf, dass bei uns im Verein keine politischen Äußerungen fallen." Kontakte zu anderen Vereinsmitgliedern habe Silar sowieso nicht.

Hinsehen, dranbleiben, aufpassen - der Zentrale Kriminaldienst der Polizei in Buchholz mit seinem Fachkommissariat Staatsschutz beobachtet die Szene um Silar seit Langem. Die Beamten wüssten genau, wer dazugehört, besuchten und befragten sie regelmäßig und seien beispielsweise bei öffentlichen Festen vor Ort, sagt der zuständige Polizeibeamte Wilfried Haensch. "Wir bleiben am Ball, damit wir die Optik der Szene nicht verlieren." Deshalb werden Buchholzer Beamte auch bei der Buxtehuder Schneeclaus-Gedenkveranstaltung dabei sein, um die dortigen Kollegen zu unterstützen. Dass es an diesem Tag zu Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten kommt, hält er für durchaus möglich.

Auch nach 20 Jahren hat der Totschlag an Gustav Schneeclaus nicht an Brisanz verloren.