Wenn die Nordlichter ihrem Nationalsport frönen, werfen sie mit Kugeln von der Firma Poly-Technik Blumenthal.

Burweg-Blumenthal. Ländliche Idylle mit hochgewachsenen Bäumen, saftig grünen Wiesen, Reetdachhäusern und 284 Einwohnern. Das ist Burweg-Blumenthal. Dass versteckt hinter dem Grün eine Firma deutschlandweit Boßelkugeln vertreibt, weiß kaum einer. Pro Jahr stellt die Firma Poly-Technik Blumenthal 500 Kugeln in allen möglichen Farben her. Rot, Blau, Lila, Grün, Orange und, ja, sogar Pink. Beste Abnehmer: Die Ostfriesen.

Aus der Werkshalle der Firma Poly-Technik Blumenthal dringt kaum etwas nach draußen. Da zwitschern die Vögel fast lauter. Udo Bast, einer der Mitarbeiter in dem 20-Mann-Betrieb, steht an der Presse und erklärt die Herstellung der Kugel, die etwas kleiner ist als die zum Kegeln. Vier Arbeitsschritte braucht es, bis die Boßelkugel rollen kann: Rohgummimischung in die Form stopfen, in die Presse legen, erhitzen, dann in die Drehmaschine, um die Oberfläche aufzurauen - fertig ist die Gummikugel. Klingt einfach. Es hat aber einige Zeit gebraucht, bis Klaus Baumgarten, Inhaber von Poly-Technik, raus hatte, wie viel Druck und Hitze nötig ist, damit sich das Ergebnis auch Boßelkugel nennen darf. 100 Bar und 170 Grad sind die Zauberformel. Zudem muss der Gummiboßel 1000 Gramm wiegen und einen Durchmesser von 10,5 Zentimetern haben. Das schreibt der friesische Klootschießer-Verband vor. Und der ist für die Boßeler so etwas wie der TÜV für den Autofahrer.

Baumgarten brauchte einige Versuche, bis er nicht mehr zerfranste Gummimassen, sondern gelungene Kugeln aus der Presse holte. "Das dauert eben seine Zeit", sagt Baumgarten.

1987 ging der heute 66-jährige mit dem Produkt auf den Markt und gründete die Gummiformerei und Vulkanisieranstalt einzig und allein, um Boßelkugeln herzustellen. Inzwischen rollen zudem fertige Golfbälle aus seiner Presse. Die Firma stellt auch Autoersatzteile wie etwa Dichtungen her.

Baumgarten kam auf die Idee, als Blumenthal drei Jahre zuvor sein 700-jähriges Bestehen feierte. Denn auf der Feier boßelten die Blumenthaler zum ersten Mal - mit geliehenen Kugeln. Die Blumenthaler waren begeistert vom friesischen Nationalsport und Baumgarten dachte: "Nichts einfacher, als die Dinger selbst herzustellen." Das Selbstvertrauen zog der Mann aus seiner langjährigen Mitarbeit in einer Stader Firma, die Gummi-Rohmischungen herstellt. Und der Erfolg gibt Baumgarten Recht. Zumindest im Landkreis Stade stellt seine Firma die Kugeln konkurrenzfrei her. Der nächste Boßelkugelhersteller befindet sich in Ostfriesland - wo sonst.

Reißenden Absatz finden die Gummikugeln nicht nur bei den Ostfriesen, sondern auch in der Nachbarschaft in Bossel. Klingt ähnlich wie Boßeln, aber der Ort hat nichts mit der Sportart gemein, mal abgesehen davon, dass hier fleißig geboßelt wird. 139 Mitglieder hat der Bosseler Boßel-Verein und nicht viel mehr Einwohner, nämlich 180. Die Vereinsmentalität zeichnet sich aber nicht gerade durch sportlichen Ehrgeiz aus. Gestrengen Wettkampfmodus würde ein Ostfriese in Bossel vergeblich suchen. Frauke Baumgarten, die Mitglied im Vorstand des Boßel-Vereins ist, erklärt den Unterschied so: "Wir haben Bier und Schnaps dabei. Die Ostfriesen dagegen Energy-Drinks." Jeder Superwurf wird gefeiert und begossen. So manch einer findet dann Halt am Bollerwagengriff. "Das sind die dollsten Wagen", sagt Baumgarten. Für die sollte selbst noch ein Wettbewerb ausgeschrieben werden. Die mit Sirene, Musik, Hupe und Blaulicht ausgestatteten und reichlich geschmückten Wagen übertreffen sich in ihrer Originalität.

Sause statt Sport? "Ja, Höchstleistungen bringen wir nicht. Es geht vielmehr um das gesellschaftliche Ereignis ", sagt Ralf Michaelsen, der seit 1999 Vorsitzender des Boßel-Vereins ist.

Für ihn selbst bringt Boßeln die richtige Mischung: frische Luft, Spaziergang in der Natur und neue Bekanntschaften machen.