Zu viel Fernsehen, zu wenig Sport. Jeder fünfte Schulanfänger im Kreis Pinneberg benötigt individuelle Förderung.

Kreis Pinneberg. Gicela Schloß setzt Laura große Kopfhörer auf und erklärt der Sechsjährigen, wie der Hörtest abläuft. Sobald Laura einen Ton hört, soll sie die Hand heben. Etwa 2700 Mädchen und Jungen absolvieren den Hörtest im Kreis Pinneberg pro Jahr, denn er ist Teil der sogenannten Schuleingangsuntersuchung.

"Wir prüfen nicht nur die körperliche Reife, sondern auch die soziale und mentale Eignung", sagt Gicela Schloß, Arzthelferin beim jugendmedizinischen Dienst im Kreis Pinneberg. Seit 2011 ist das Testprogramm des Kreisgesundheitsamtes noch umfangreicher. "Wir haben uns ein Modell aus Nordrhein-Westfalen zum Vorbild genommen", sagt Gicela Schloß. "Das erfasst noch mehr Teilaspekte, aber in spielerischer Art und Weise. Die Kinder merken gar nicht, wie viel wir über sie erfahren." Getestet werden Zahlenverständnis, Wahrnehmung, körperliche Reife und soziale Kompetenz. Die Mehrheit der Kinder im Kreis erfüllt alle Anforderungen und ist fit für den Schulbesuch.

In den vergangenen Jahren sei jedoch die Zahl derjenigen gestiegen, die Verhaltensauffälligkeiten zeigten. "Die Kinder haben sich verändert. Viele schauen zu viel Fernsehen und bewegen sich zu wenig. Das hat Auswirkungen auf die Konzentrationsfähigkeit, das Durchhaltevermögen und die Aufmerksamkeitsspanne", sagt Gicela Schloß. Auch Ärztin Dr. Azita Kodkam, die in diesem Jahr etwa 400 Kinder untersucht hat, kommt zu diesem Ergebnis. "Bei vielen Kindern ist der Medienkonsum kritisch. Einige haben Probleme, sich in Gruppen zu integrieren, andere haben ein Problem mit Grenzen und Regeln", sagt Dr. Azita Kodkam.

Bei einem Fünftel der Kinder sehen die Experten zusätzlichen Förderungsbedarf, sagt der Pinneberger Schulrat Michael Doppke. Dieser Anteil sei seit einigen Jahren im Kreisgebiet stabil. "Die Befunde betreffen die gesamte Bandbreite. Darunter sind Kinder, die Ergotherapie, eine Brille oder zusätzliche Förderung brauchen oder Unterstützung beim Spracherwerb." Die Ergebnisse der Untersuchung erhalten sowohl die Eltern, als auch die Schulen. Eltern, die eine Empfehlung bekommen haben, ihr Kind einem Logopäden oder Ohrenarzt vorzustellen, können das Defizit häufig bis zum Schulbeginn ausgleichen. "In den Gesprächen mit den Eltern ist auch häufig Ernährung ein Thema. Der Anteil der übergewichtigen Kinder steigt leider", sagt Dr. Azita Kodkam.

Ein wichtiger Teilbereich in der Schuleingangsuntersuchung ist der Sprachtest. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund schneiden dabei oft besonders schlecht ab. Bei 300 Kindern pro Jahrgang reichen Wortschatz, Verständnis und Sprachfähigkeit der deutschen Sprache nicht aus, um dem Unterricht folgen zu können. Der Kreis Pinneberg liegt damit im landesweiten Vergleich im Mittelfeld. Langfristig werde die Zahl der Kinder sinken, die Sprachförderung benötigen, da immer mehr Kitas inzwischen Frühförderungen anbieten. "Für die Kinder gibt es Förderangebote. Sechs Monate lernen sie zusätzlich Deutsch", sagt Michael Doppke. Spezielle Unterstützung beim Spracherwerb gebe es auch für Kinder, die erst als Schüler nach Deutschland kommen.

In der Vergangenheit wurden Kinder, wenn sie noch nicht als schulreif galten, ein Jahr zurückgestellt. Heute werden diese Kinder eingeschult, es sei denn, sie sind so schwer krank, dass die Heilung länger als ein halbes Jahr dauert. "Die Politik hat sich da geändert. Die Schule muss mit den Kindern umgehen, die sie bekommt", sagt Doppke. Im vergangenen Jahr entschied das Schulamt in 60 Fällen, dass Kinder von der Schulpflicht beurlaubt sind. Es sei das Ziel, jedes Kind individuell zu fördern und dafür auch auf die Erkenntnisse aus der Kita zurückzugreifen, sagt Doppke. Die Kitas und Grundschulen im Kreis arbeiten intensiv und regelmäßig zusammen.

Manuela Schöttler beobachtet den Test aus dem Hintergrund. Für die Mutter ist der Termin bei der Schuleingangsuntersuchung nichts Neues. Eines ihrer Kinder geht bereits in die Schule, nun ist Laura dran. Die Sechsjährige freut sich schon auf die Zeit nach der Kita. Was auf sie zukommt, weiß Laura schon genau: "In der Schule gibt es Hausaufgaben." Auch im kommenden Jahr wird Manuela Schöttler bei Gicela Schloß im Untersuchungszimmer Platz nehmen. Dann soll Lauras jüngerer Bruder eingeschult werden.