Prozess gegen den 19 Jahre alten Fatih O., der am Vatertag vier Jugendliche verletzte. Der Angeklagte spricht jedoch von Notwehr.

Uetersen/Elmshorn. Wie von Sinnen soll Fatih O. auf seine Kontrahenten eingestochen haben. Drei Jugendliche verletzte der heute 19-Jährige mittelschwer, einen vierten sogar lebensgefährlich. Versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung wirft die Staatsanwaltschaft dem Uetersener vor, der seit der Attacke am Vatertag in einer Jugendhaftanstalt einsitzt. "Sie haben den Tod eines Menschen zumindest billigend in Kauf genommen und andere Personen körperlich misshandelt", hielt Staatsanwalt Joachim Bestmann dem Angeklagten vor.

Was sich am Abend des 17. Mai am Strand von Kollmar im Kreis Steinburg abgespielt hat, versucht seit gestern die Dritte Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe zu klären. Leicht wird das nicht, wie der erste Verhandlungstag zeigt. An der blutigen Auseinandersetzung waren zahlreiche Heranwachsende beteiligt. Viele hatten bereits seit dem Vormittag Alkohol konsumiert und weisen ein getrübtes Erinnerungsvermögen auf. Und die Aussagen, die die bisherigen acht Zeugen dem Gericht präsentierten, weichen teilweise erheblich voneinander ab. Sehr zur Verzweiflung des Vorsitzenden Richters Eberhard Hülsing. "Wie Sie den Sachverhalt schildern, kann ich mir das so richtig nicht vorstellen", so der Jurist gleich zu mehreren Zeugen.

Fatih O. will nur wenig zur Aufklärung beitragen. Der 19-Jährige ist in Elmshorn geboren, seine Familie stammt aus der Türkei. Sie dominiert den Zuschauerraum des Landgerichts und wird von dem Angeklagten, der in Handschellen in den Saal geführt wird, mit einem knappen Lächeln begrüßt. Knapp bleibt auch die Einlassung des Angeklagten zu den Vorwürfen, Fragen will er erst gar nicht beantworten. Fatih O. lässt Norbert John, einen seiner beiden Anwälte, eine eineinhalbseitige Erklärung verlesen. Demnach wollte Fatih O. eigentlich nur den Vatertag mit Freunden und Alkohol feiern. Er habe die Gruppe, mit der es später zum Streit kam, ganz allgemein nach Feuer gefragt, beteuert der Angeklagte. Er sei dann sofort verbal aufs übelste angegangen worden, der Satz "Verpiss Dich" sei gefallen. In der Folge sei er auch geschlagen worden. "Ich habe dann aus Notwehr ein Messer rausgeholt und damit herumgefummelt."

Welche schwerwiegenden Folgen sein Verhalten auslöste, habe er zunächst gar nicht realisiert, so der Angeklagte in seiner schriftlichen Einlassung. Er habe erst später erfahren, dass er einen Kontrahenten erheblich verletzte. "Ich habe mich dann sofort gestellt." Eine andere Darstellung des Sachverhalts lieferte Ewald K., 20, aus Elmshorn. Er schilderte dem Gericht, dass Fatih O. den Platz, den seine Gruppe am Strand besetzte, für sich und seine Gruppe reklamierte. "Wir haben ihn gebeten, wegzugehen. Das hat er nicht gemacht." Daraufhin habe man gemeinschaftlich versucht, den Angeklagten wegzuschieben. "Er hat dann böse geguckt und mit der rechten Hand das Messer aus der Tasche gezogen."

In der Folge entwickelte sich ein regelrechtes Durcheinander, zumindest wenn man den Aussagen der Zeugen Glauben schenkt. Ewald K. will versucht haben, dem Angeklagten das Messer aus der Hand zu treten. Er will dabei ausgerutscht und hingefallen sein. "Der saß dann auf mir und versuchte, nach mir zu stechen." Bei der Abwehr des Messers habe er sich Verletzungen an der linken Hand zugezogen.

Einem anderen aus der Gruppe sei es dann gewaltsam gelungen, die beiden Kontrahenten zu trennen. "Der Angeklagte stürzte sich dann mit dem Messer auf ihn. Nick hat wiederum versucht, ihm zu helfen", sagte Alexander S., 19, aus Barmstedt, der unverletzt aus der Auseinandersetzung hervorging. Nick G. wiederum bezahlte sein Eingreifen fast mit seinem Leben. Der 17-jährige Elmshorner erhielt von dem Angeklagten einen Stich in den Rücken. Laut Anklage verlor der junge Mann beinahe 1,2 Liter Blut, sein linker Lungenflügel fiel in sich zusammen. Es bestand akute Lebensgefahr.

Nick G. leidet noch knapp sechs Monate später unter der Attacke. Die Frage, wie es seiner Psyche geht, wollte der Elmshorner dem Gericht nicht beantworten. Gesundheitlich sei er einigermaßen wieder hergestellt, gab er an. "Aber ich kriege beim Sport weniger Luft, Die Narben tun bei Wetterwechseln sehr weh, und es ist weiterhin ein Taubheitsgefühl auf der rechten Körperseite da." Möglicherweise sind Nerven durchtrennt worden, so dass der Elmshorner nochmals operiert werden muss. Nach der Tat hatte allein eine Notoperation im Klinikum Elmshorn sein Leben gerettet.

"Der Angeklagte sah von Anfang an so aus, als ob er auf Krawall aus war", beschreibt Nick G. die Situation am Strand. Mit dem Messer habe dieser versucht, alle zu treffen, die sich in seiner Nähe befanden. "Da war so eine Wut in ihm, wie ich sie mir vorher nicht ausmalen konnte." Der 17-Jährige gab an, er habe in das Geschehen eingegriffen, um seinen Freunden einen Fluchtweg zu eröffnen. E sei dann mit dem Messer mit voller Wucht in den Rücken getroffen worden. "Ich habe es zunächst nicht gespürt, das war wohl der Schock." Dann sei es ihm sehr schnell sehr schlecht gegangen. "Ich habe noch meine Freundin angerufen und mich von ihr verabschiedet, weil ich nicht wusste, wie das mit mir weitergeht."

Fatih O. hört sich diese Schilderungen gelassen an. Eine Entschuldigung an die Opfer kommt ihm nicht über die Lippen. Dem 19-Jährigen droht eine Jugendstrafe bis zu zehn Jahren. Sollte das Gericht, wie offenbar vom Angeklagten beabsichtigt, auf Notwehr entscheiden, wäre auch ein Freispruch möglich. Der Prozess wird fortgesetzt.