Einst war Wedel das Florida des Nordens. Jetzt können es sich viele ältere Menschen nicht mehr leisten, hier zu wohnen.

Wedel . Es wirkt, als wäre die Zeit stehen geblieben. Wer im kleinen Café an der Wedeler Bahnhofstraße Platz nimmt, der denkt an Zeiten, in denen der Perserteppich noch modern und Rock 'n' Roll ein belächelter Tanz war. Hier weiß die Bedienung noch, was ein Kännchen Kaffee ist. Senioren zieht "Das etwas andere Café" im Herzen der Stadt in Scharen an. Für sie ist es ein Anlaufpunkt zum Klönen und Kontakte pflegen. Doch während drinnen alles an die gute alte Zeit erinnert, entwickelt sich die Stadt draußen nicht immer zum Besten. Das Leben in Wedel wird immer teurer, und das trifft vor allem Senioren mit kleiner Rente. Sie müssen sich zunehmend nach einer Bleibe außerhalb Wedels umsehen.

Einst war die attraktive Stadt an der Elbe so etwas wie das Florida des Nordens. Aus Hamburg und ganz Schleswig-Holstein zogen Menschen nach Wedel, um hier ihren Lebensabend zu verbringen. Nun geht der Trend in die andere Richtung. Denn wer günstigen Wohnraum in Wedel sucht, muss eine große Portion Geduld und noch einmal so viel Glück mitbringen. Angesichts der aus allen Nähten platzenden Hansestadt Hamburg drängen immer mehr Bewohner ins Umland. Besonders in Wedel ist die Nachfrage nach Wohnraum spürbar gestiegen und die Mietpreise gleich mit.

"Wir haben hier noch keine Sylter Verhältnisse, aber wer herziehen möchte, kann davon ausgehen, dass er unter zehn Euro kalt pro Quadratmeter nichts bekommt", sagt Wolfram Jasker vom Wedeler Mieterverein. Zehn Euro pro Quadratmeter spucken auch Immobilienportale im Durchschnitt für Wedeler Wohnraum aus, Tendenz steigend. Einen offiziellen Mietspiegel wie in Hamburg gibt es für Wedel noch nicht. Er ist aber bereits in Arbeit.

Die Stadt erhebt derzeit Daten von Immobilienbesitzern und Vermietungsgesellschaften. Dann ist klar, in welchem Umfang die Preise in den Bestandsimmobilien angezogen haben. Klar ist: Sie ziehen an. Jasker kennt viele Beispiele, bei denen Mieter nach Sanierungen ihrer Wohnhäuser anschließend kräftig zur Kasse gebeten wurden.

Elf Prozent. Soviel muss die Nachbarin von Ellen Menzel, eine der Stammbesucherinnen des "Etwas anderen Cafés", nach der Sanierung des Hauses mehr zahlen. Ein satter Aufschlag, vor dem sich Menzel fürchtet. "Elf Prozent ist viel. Das wäre an meinem Limit", sagt die Rentnerin, die seit 1955 in Wedel lebt. Auf keinen Fall möchte sie hier weg.

Kein Wunder. Ellen Menzel kann an der Elbe lange Spaziergänge in Richtung Strandbad machen, wo im Sommer der Wedeler Beachclub zum geselligen Beisammensein unter Palmen einlädt. Gleich an zwei Seniorensport-Anlagen in öffentlichen Parks können sich Wedeler im hohen Alter fit halten. Zudem gibt es viele Beratungs-, Ausflugs- und Kulturangebote gerade für die Generation 60plus. Die ist in Wedel besonders stark vertreten. Von den 32 000 Einwohnern sind 30 Prozent älter als 60 Jahre. Das liegt weit über dem Bundesdurchschnitt. Zum Vergleich: In Hamburg sind es knapp 24 Prozent.

Doch das einstige Seniorenparadies Wedel ist für manchen Einwohner unerschwinglich geworden. Hilfe gibt es in diesen Fällen bei Gisela Rawald. Sie arbeitet für die Stadt, betreut das Seniorenbüro. Wedel leistet sich seit 30 Jahren die Anlaufstelle, die mit einer hauptamtlichen Mitarbeiterin besetzt ist. Rawald beobachtet mit Sorge die zunehmende Wohnungsnot und die damit einhergehenden finanziellen Probleme vieler Senioren. "Wohnungen, die ehemals günstig waren, sind heute teuer", sagt Rawald. Zwar gebe es in Wedel viele Senioren, die das nicht so sehr störe, weil sie gut situiert seien. Aber es gebe auch eine große Gruppe, die sich diese Preissteigerungen nicht leisten kann.

Das beweist auch der Armutsbericht, den der Seniorenbeirat der Stadt im vergangenen Jahr vorgelegt hat. Das Gremium kommt nach der Auswertung der erhobenen Zahlen zu dem Ergebnis, dass in Wedel der Anteil der Senioren, die Grundsicherung in Anspruch nehmen müssen, überdurchschnittlich hoch ist. In Wedel leben knapp fünf Prozent der über 65-Jährigen unter der Armutsgrenze, so der Bericht.

Rawald kennt etliche Senioren, die in Wedel am Existenzminimum leben, beispielsweise eine 75 Jahre alte Frau. Sie lebt allein in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Nach mehreren Mieterhöhungen in den vergangenen Jahren soll sie jetzt 570 Euro dafür zahlen. Ihre Rente ist aber nur 870 Euro hoch und sie muss auch noch für Strom, Telefon, GEZ und Versicherungen aufkommen.

"Wenn die Rente für die Miete nicht mehr reicht, sparen die Betroffenen am Essen, an ihrer Kleidung, der Gesundheit und an der Heizung", so Rawald. Wenn auch das nicht mehr reicht, droht der Zwangsumzug. "Versuchen Sie mal, in Wedel eine kleine, preiswerte Wohnung zu finden. Die gibt es nicht mehr", sagt Sigrun Klug, Vorsitzende des Wedeler Seniorenbeirats. Ihr Gremium fordert von der Politik jetzt, sozialen und altersgerechten Wohnungsbau zu fördern. Ein Antrag ist bereits gestellt.