Lieferschwierigkeiten beim Hersteller. Nur jede dritte Apotheke im Land hat das Serum. Ärzte sind verärgert, Patienten verunsichert.

Pinneberg. Jeden Tag kommen zurzeit Patienten in die Praxis von Dr. Joachim Rathjens und wollen sich gegen Grippe impfen lassen. Doch der Hausarzt aus Halstenbek muss sie wieder wegschicken. Für gesetzlich versicherte Patienten gibt es derzeit keinen Impfstoff. "Die Patienten haben sich daran gewöhnt, dass sie im September und Oktober zur Schutzimpfung gehen. Jetzt sind sie natürlich verunsichert", sagt Rathjens.

So wie Joachim Rathjens geht es derzeit vielen Ärzten und Apothekern im Kreis Pinneberg. Der Grund für das Chaos: der Pharma-Hersteller Novartis, der von der AOK beauftragt wurde, ein Serum zu entwickeln, hat Lieferschwierigkeiten. Nach Angaben des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein verfügt landesweit nur jede dritte Apotheke über Impfstoff. In der Pinneberger Adler-Apotheke sind noch nicht alle bestellten Chargen angekommen. "Es werden nach und nach kleine Einheiten angeliefert, aber noch ist nicht alles da", sagt eine Mitarbeiterin.

In der Markt-Apotheke der Kreisstadt sind die Sorgen größer. Ärzte und Patienten auf der Suche nach Grippeimpfstoff müssen vertröstet werden. Die Mitarbeiter haben bereits mehrfach beim Hersteller angerufen. Spätestens kommende Woche solle endlich geliefert werden.

Wie viele Impfdosen für Schleswig-Holstein vorgesehen sind, ist nicht bekannt. "Es gibt keine konkreten Zahlen, es sollen etwa 50.000 bis 100.000 Dosen sein", sagt Marco Dethlefsen, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein. "Flächendeckende Impfungen, wie die AOK behauptet, sind derzeit jedenfalls nicht möglich." Noch ist dem Gesundheitsamt des Kreises kein Grippefall bekannt, aber die Wartezimmer in den Praxen sind voll.

Auch Dr. André Plümer, der in Heist in einer Praxis arbeitet, muss seine Patienten vertrösten. Etwa 500 Frauen und Männer lassen sich jährlich in der Gemeinschaftspraxis immunisieren. Von den im März bestellten Dosen ist bisher noch keine angekommen. "Schon Ende September haben wir ein Fax von der AOK bekommen, in dem von Lieferverzögerungen die Rede war", sagt der 42-Jährige. In diesem Jahr ist die Versorgung mit Impfstoff zum ersten Mal zentral geregelt. Die AOK handelte für alle Krankenkasse mit dem Unternehmen Novartis einen Vertrag aus, nach dem allein das Serum dieses Herstellers für die Impfung zulässig ist. Dieses Verfahren sollte die Kosten senken. Ausnahmen bestehen für privat versicherte Patienten: Sie können sich für den Impfstoff ihrer Wahl entscheiden.

Jetzt, da der lizensierte Impfstoff nicht oder in viel zu geringen Mengen zur Verfügung steht, fordern Ärztevertreter die Freigabe von Vakzinen anderer Hersteller. "Es geht um die Gesundheit der Patienten, denn das Zeitfenster für die Impfung ist ziemlich klein", sagt Marco Dethlefsen. Besonders wirksam ist der kleine Pieks, wenn er sechs bis acht Wochen bevor die Grippewelle ausbricht, verabreicht wurde.

Deshalb fordert der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein eine rasche Entscheidung der AOK. Sie müsse jetzt sogenannte Ersatzimpfstoffe anderer Hersteller zulassen, damit die Impfungen noch rechtzeitig beginnen können. Für die Zukunft müsse aus Dethlefsens Sicht die Neuregelung überprüft werden. Ganz ähnlich sieht das Gerhard Wandel, Vorstandsmitglied des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein. "Es muss einen Plan B geben für den Fall, dass die Produktion des Impfstoffes ausfällt oder sich verzögert. Also eine Lösung für ein Szenario, wie wir es jetzt haben."

Vor allem älteren, chronisch Kranken, Schwangeren und Menschen in medizinischen Berufen empfehlen Mediziner eine Immunisierung. Eine Grippe bedeutet Schwerstarbeit für das Immunsystem. Der infizierte Organismus ist anfälliger für andere Infektionen wie Lungenentzündung, Angina oder Nasennebenhöhlenentzündung. Was in einigen Fällen mit harmlosen Erkältungssymptomen wie Husten, Gliederschmerzen und Schüttelfrost beginnt, kann sich wenig später als Grippe entpuppen. Die vor allem in den Wintermonaten auftretende Viruserkrankung sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Immerhin sterben in Deutschland bis zu 100 Menschen jährlich an Influenza.

Ob das neue Gesetz geändert werden sollte, mag Dr. André Plümer nicht entscheiden. "Für die momentane Situation hilft es nicht", sagt Plümer. Er findet es seltsam, dass er in der Auswahl seiner Behandlungsmöglichkeiten so streng reglementiert wird. Der Facharzt für Innere Medizin sieht sich in der Zwickmühle. "Ich möchte meine Patienten behandeln, deshalb habe ich jetzt die Produkte anderer Hersteller bestellt", sagt der Hausarzt. In einem Schreiben hat die Kassenärztliche Vereinigung darauf hingewiesen, dass Ärzte, die Ersatzimpfstoffe nutzen, damit rechnen müssen, auf den Kosten sitzen zu bleiben. Dr. André Plümer wird trotzdem impfen. Nächste Woche soll es losgehen.