Hunderte von elektronischen Augen sind in Pinneberg, Wedel und Quickborn installiert. Datenschützer fordern Meldepflicht für Kameras.

Kreis Pinneberg. Sie hängen in der S-Bahn und im Bus. Sie beäugen unauffällig Kunden und Passanten in Kaufhäusern. Sie liefern Echtzeitaufnahmen vom Wedeler Elbstrand und vom Pinneberger Drosteivorplatz. Mindestens 700 Videokameras überwachen allein die öffentlichen Straßen und Plätze sowie öffentlich zugängliche Gebäude wie Bahnhöfe oder Schulen im Kreis Pinneberg. Und sie erfassen rund um die Uhr die Aktivitäten der Bürger in ihrem Blickfeld. Installiert wurden die Anlagen in der Regel mit dem Ziel, die Aufklärungsquote von Straftaten zu erhöhen und potenzielle Täter abzuschrecken.

Wie viele es genau sind, lässt sich nur schätzen. Denn die Lage an der Überwachungsfront ist im Kreis Pinneberg einigermaßen unübersichtlich.

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Zum einen deshalb, weil es keine zentrale Stelle gibt, die all diese Datensammelmaschinen erfassen würde. Das ist jeweils Sache der einzelnen Kommunen. Und selbst dort ist es nicht überall so, dass ein einziger Mitarbeiter alle öffentlichen Kameras im Blick hat. Das ergaben Recherchen des Abendblatts bei den Verwaltungen der Städte und Großkommunen im Kreis.

Genau diese Unübersichtlichkeit wertet Schleswig-Holsteins oberster hauptamtlicher Datenschützer Thilo Weichert als Hauptproblem. "Meines Erachtens brauchen wir eine Meldepflicht", sagt der der Leiter der Unabhängigen Landeszentrale für Datenschutz (ULD). "Überwachungskameras sind so günstig geworden und technisch so einfach zu handhaben, dass jeder sie installieren kann. Das ist ein Riesenproblem. Wir haben enorm viele Eingaben zu Nachbarschaftsstreitigkeiten, wo Videoüberwachung entweder Anlass oder Bestandteil der Beschwerde ist."

Zwar regele das Datenschutzgesetz eindeutig, dass jeder, der auf seinem Gelände filmt, den jeweiligen Passanten das auch bekannt geben muss. Das reicht Weichert aber nicht aus. "Wir haben bei der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes eine Meldepflicht von Videokameras, die Einrichtung einer Aufsichtsbehörde und die Veröffentlichung der Standorte zum Beispiel im Internet gefordert."

Um sich gegen zuviel Beobachtung zu schützen, empfiehlt Weichert dem Bürger, sich die Bilder vom Betreiber herausgeben und sie löschen zu lassen. Oder er lässt die Rechtmäßigkeit der Überwachung von der ULD überprüfen.

+++ 10.000 Videokameras überwachen die Stadt +++

Neben den Schulen gehören vor allem Busse, Bahnen und deren Haltestellen zu den Schwerpunkten der Überwachung. Dort haben die jeweiligen Betreiber das Hausrecht. Im Kreisgebiet betrifft das die AKN, die Pinneberger Verkehrsgesellschaft (PVG) und die Deutsche Bahn. Nicht alle nennen konkrete Zahlen. So lehnt Bahnsprecherin Sabine Brunkhorst konkrete Angaben zur Videoüberwachung auf den S-Bahnhöfen Krupunder, Halstenbek, Thesdorf und Pinneberg unter Verweis auf das Sicherheitskonzept der S-Bahn ab: "Diese Zahlen und Standorte geben wir grundsätzlich nicht bekannt."

Die AKN dagegen schon. In den vier Stationen der Linie A1 zwischen Quickborn und Bönningstedt hat der Betreiber nach Angaben von AKN-Sprecher Jörg Minga 14 Kameras installiert. Elf hängen in den acht Stationen der Linie A3 zwischen Langeln und Elmshorn. Außerdem seien alle 33 eingesetzten Triebwagen mit Kameras bestückt. Minga zieht eine positive Bilanz: "Wir möchten die Kameras nicht missen." Wie viele elektronische Augen in den Bussen der VHH PVG-Unternehmensgruppe zum Einsatz kommen, lässt sich nicht exakt beziffern. Denn viele Busrouten bedienen sowohl Hamburg als auch den Kreis. Die Zahl belaufe sich auf ungefähr 250 Kameras, teilt VHH PVG-Sprecher Kay Goetze mit.

Nicht nur Datenschützer, sondern auch viele Bürger sehen die permanente Überwachung allerdings kritisch. Sie fürchten um den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte. Die Klage einer Hamburgerin gegen die zwölf Videokameras, die der damalige CDU-Senat 2006 auf der Reeperbahn installieren ließ, beschäftigt zurzeit das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Ein gründlicher Blick auf die elektronischen Augen im Kreis Pinneberg offenbart deutliche Unterschiede zwischen den Kommunen. Zu den Spitzenreitern zählt Quickborn. Videokameras überwachen das Parkhaus am ZOB, den ZOB selbst nebst Bahnübergang, die Halle Bahnhofsforum und den Bahnhofsvorplatz. Weitere Geräte beobachten die Eingänge von Rathaus, Volkshochschule und Stadtbücherei sowie den Vorraum der öffentlichen Toilette im Bahnhofsforum. Konkrete Zahlen nennt Jochen Lattmann, Büroleitender Beamter im Quickborner Rathaus allerdings nicht. Schenefeld geht offener mit dem Thema um, das im Rat der Stadt sehr kontrovers diskutiert worden war. 17 Kameras hängen nach Angaben von Melf Kayser, Büroleitender Beamter im Rathaus, in den Fahrradkellern von Gymnasium und Gesamtschule sowie im Eingangsbereich der früheren Realschule und Turnhalle. Anlass war das hohe Maß an Sachbeschädigung und Diebstahl gewesen.

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Auch Tornesch hat aufgerüstet. Seit dem vergangenen Sommer hängen zehn Kameras in den Aufgängen der neuen Bahnüberführung. Eine weitere Kamera überwacht Abstellbereiche der Fahrräder an der Gemeinschaftsschule.

"Wir verzeichnen seitdem erheblich weniger Schäden durch Vandalismus", sagt Bauamtsmitarbeiter Wolfgang Ruser. Das bestätigt auch der Quickborner Lattmann. Mit Hilfe der Überwachungsbilder habe die Polizei in erheblichem Umfang Straftaten aufklären können.

Die Kreisstadt unterhält nach Angaben von Bauamtschef Klaus Stieghorst drei Kameras. Zwei davon beobachten den Außenbereich der Johann-Comenius-Schule, die dritte späht vom Ratshausdach aus in Richtung Drostei. Sieben Webcams scannen das Wedeler Elbufer und vom Turm der J.D-Möller-Werke aus einen Teil der Stadt. Betreiber ist allerdings nicht die Stadt, sondern ein Hamburger Unternehmen. Deren Sprecher Thomas Jung-Pünjer betont auf Abendblatt-Nachfrage, dass diese Webcams allerdings nicht der Überwachung, sondern dem Zeigen von Landschaften dienten. "Personen sind darauf nicht zu identifizieren", heißt es in einer Stellungnahme der Firma.

Die übrigen Städte und Großgemeinden des Kreises verzichten auf Videoüberwachung, zum Teil ganz bewusst. "Wir haben datenschutzrechtliche Bedenken", sagt Vera Hippauf, Leiterin des Elmshorner städtischen Gebäudemanagements.