Der trockene Sand knirscht unter den abgewetzten braunen Lederstiefeln. Die Sonne steht hoch am Himmel und brennt unbarmherzig herab. Auf dem Weg zum Saloon treffen mich skeptische Blicke einer alten Indianerin mit pechschwarzem Haar und auffälligem Federschmuck. Die ledrige Haut in ihrem Gesicht spiegelt Tatkraft wieder. Ich bin nervös, gehe aber entschlossen weiter. Hinter mir verweht der Wind den aufgewirbelten Staub. Wachsam suchen meine Augen nach einem Gegner für das nächste Duell, bis ich jäh aus meinen Gedanken gerissen werde.

"Willkommen im Indian Village. Heute können Sie uns zeigen, warum genau Sie in diesem Sommer Komparse bei den Karl-May-Spielen werden sollen", plärrt es aus überdimensionalen Boxen, die so gar nicht in das Western-Ambiente passen wollen. Und dennoch: Das Indian Village in Bad Segeberg, Nachbau einer alten Wild-West-Stadt und zusammen mit der eigentlichen Bühne das Herz der Karl-May-Spiele am Kalkberg, lädt an diesem warmen Frühlingstag zum Träumen ein. Der Saloon und die Squaw sind echt, der ausladende Kopfschmuck aber wohl eher aus dem Kostümverleih. Auch duelliert wird sich hier nicht, obwohl natürlich jeder der etwa 150 Casting-Teilnehmer am Ende gerne vor 7500 Zuschauern vom diesjährigen Darsteller Winnetous, Erol Sander, erschossen oder gerettet werden möchte. Die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg gehen dieses Jahr in ihre 60. Saison. Mittlerweile ist der Besuch für viele Familien im Norden eine feste Familientradition. Auch ich habe als Kind wie so mancher über die unglaublichen Stunts von Winnetou und Old Shatterhand gestaunt, heute schlüpfe ich in eine andere Rolle und will zeigen, wie viel Indianer wirklich in mir steckt.

Die nicht kostümierten Bewerber stehen beim Casting etwas abseits

Hobby-Cowboys, die mit ihren motorisierten Gäulen angereist sind, begrüßen vor dem Saloon äußerst friedlich verblüffend authentisch wirkende Teilzeit-Indianer. Ohne zu murren lauschen sie den Worten der Geschäftsführerin Ute Thienel und wirken dabei wie zu groß geratene Kinder, die sich einen lang gehegten Geburtstagswunsch erfüllen. Die nicht kostümierten Bewerber stehen etwas abseits. Viele von ihnen tragen Lederjacke. Von Jung bis Alt, alle sind sie heute gekommen. Während Vater und Sohn Indianer und Cowboy spielen, schießt Großvater die Erinnerungen für das Familienalbum.

Beim Ausfüllen der Bewerbungsbögen kommt erste Casting-Stimmung auf. "Wir suchen heute etwa 40 Komparsen", schallt mir Ute Thienels durchdringende Stimme aus dem Lautsprecher entgegen. "Das müsste zu schaffen sein", sagt ein durchtrainierter junger Mann im ärmellosen Shirt hinter mir zu seinem Freund. Schaffen müssen die Kandidaten am heutigen Tag die Aufgaben, die auf dem Weg zum Kalkberg an vier Stationen auf sie warten. Ein kurzes Gespräch mit dem Regisseur und ein kleines Polaroid-Foto klingen noch recht harmlos, der Showkampf mit Stuntkoordinator Steve Szigeti und ein Tanzstunde beim Choreografen Jean Marc Lebon dagegen flößen den Bewerbern schon mehr Respekt ein.

72 Shows und unzählige Probedurchgänge werden diejenigen Bewerber spielen, die es als Komparsen in "Der Ölprinz" schaffen. Wer so viel Zeit hat, ist zu beneiden, denn hinzukommen die fast täglich in den Abendstunden stattfindenden Proben - am Wochenende wird sogar den ganzen Tag lang geübt. 1500 Euro für die ganze Saison gibt es als Aufwandsentschädigung, die ihren Namen nicht wirklich verdient hat - für das Futter der Pferde wird wohl mehr Geld ausgegeben als für einen Komparsen. Aus finanziellen Gründen ist heute aber auch keiner gekommen. "Schon als Kind war ich hier am Kalkberg und habe die Shows geguckt. Jetzt will ich unbedingt selbst dabei sein", erklärt Lars Rosier, der Mittzwanziger im ärmellosen Shirt von eben, während ich schnell meinen Bewerberbogen mit letzten persönlichen Daten wie Alter, E-Mail-Adresse und Hobbys fülle. Hektisch kritzele ich die Unterschrift auf das gelbe DinA4-Blatt, schon geht es los.

Der Stuntkoordinator fordert mich lächelnd auf, ihn zu schlagen

"Schlag mich!" Aufmerksam blicke ich in mein Gesicht, das sich in der schwarzen Sonnenbrille von Lajos Dren, Stuntkoordinator und Gehilfe Szigetis, spiegelt. Wie eine wilde Katze steht er mit seinen dunklen Haaren vor mir und fordert mich locker lächelnd zum Kampfe auf. Ich nehme ihn beim Wort und pfeffere ihm meine rechte Faust entgegen. "Gut so", lobt er. Ich werde mutiger, setze einen Haken an, schieße aber ein wenig übers Ziel hinaus und treffe den erprobten Kämpfer an seiner metallenen Gürtelschnalle. Ein Indianer kennt kein Schmerz - ich werde wohl doch eher Cowboy, da passen die weiß-blonden Haare auch viel besser. Dren lacht nur. "Weiter, mach weiter", motiviert er mich. Zwei, drei Schläge haue ich noch heraus, dann schlägt er zurück. Erst weiche ich reflexartig aus, bis ich mich, um mehr Action bemüht, von Drens kurz vor meiner Nase endenden Schlägen quer über den Platz prügeln lasse. "Genug", ruft Steve Szigeti und ich bin froh, dass der Chef eingegriffen hat. Jeweils ein umkringeltes Kreuz malt er mir vor die Buchstaben "D", "K" und "S" auf die Rückseite meines Bewerbungsbogens. Was das bedeutet, will er nicht sagen.

Wie sich schnell zeigt, hat der Wilde Westen auch in Bad Segeberg seine eigenen Regeln: Schwer atmend beobachte ich, wie ein junger Mann mit dunklen langen Haaren von Szigeti herzlich umarmt wird und, ohne auch nur einen Finger gerührt zu haben, seine Bewertung erhält. Später stellt sich heraus, dass der Bewerber schon vergangenes Jahr als Komparse auf der Bühne stand, trotzdem geht ein Raunen durch die Menge der wartenden Kandidaten.

Immer noch nach Luft ringend, werde ich zur nächsten Station gewunken. Dort wartet eine freundliche junge Dame schon darauf, ein Foto von mir zu schießen. Wer aber ein richtiges Fotoshooting à la "Germanys Next Topmodel" erwartet, liegt falsch. Lediglich mein Versuch eines typischen John-Wayne-Blicks wird zu einem breiten Lächeln korrigiert und schon ziert meinen Bewerbungsbogen ein fast formschönes Abbild meiner selbst.

Viel Zeit bleibt nicht, um die komplizierten Schritte zu erlernen

Neben der Polaroidkamera mag auch Tanzlehrer Jean Marc Lebon nicht recht in den Wilden Westen passen. Lässig steht er mit seiner verspiegelten Sonnenbrille vor dem Saloon und zählt den Takt an. Die Sonne spiegelt sich auf seinem kahl rasierten Schädel. "Und runter! Rechts und drehen! Pam und Pam!", hallt es über den Platz. Nicht nur der Wortschatz, auch Gestik und Statur erinnern stark an Deutschlands Choreografen-Papst Detlef D! Soost, bekannt aus der Casting-Show "Popstars". Entsprechend anspruchsvoll sieht auch die Schrittfolge aus. Viel Zeit bleibt nicht, um die komplizierten Schritte zu erlernen. Verwunderlich ist es daher kaum, dass sich nur bei wenigen Bewegungen der Nachwuchstänzer eine Ähnlichkeit zu den vollendeten Tanzkünsten Lebons feststellen lässt.

"Einen Cowboy habe ich noch nie tanzen gesehen", denke ich mir und geselle mich einfach mal ganz unauffällig, ohne überhaupt das Tanzbein geschwungen zu haben, zu den angehenden Cowboys und Indianern, die soeben ihr Können unter Beweis gestellt haben und auf ihre Bewertung warten. Einen nach dem anderen schaut Lebon kurz ins Gesicht - als ob er sich die Leistung des Bewerbers noch einmal vor Augen führen müsste - und kritzelt anschließend bis zu drei Kreuze auf den Bewerbungsbogen. Auch mich mustert er kurz. Bevor er aber das schlechte Gewissen in meinen Augen erkennen kann, greift er sich meinen Bogen und malt zwei Kreuze.

Die Chance einer Lehrstunde bei Jean Marc Lebon lasse ich mir dann aber doch nicht entgehen, schließlich will ich für jede spontane Square-Dance-Einlage gewappnet sein, falls ich es tatsächlich in die Show schaffen sollte. "Zurück, vor und rechts! Pam und Pam", es sah von außen leichter aus als es ist. "Und Spin". Um Ästhetik bemüht und klatschnass geschwitzt, meistere ich die abschließende Drehung. Schnell nehme ich meinen gelben Zettel und flüchte vor einer erneuten Bewertung - für die zwei Kreuze, die ich bereits bekommen habe, müsste ich wohl noch ein bisschen üben.

Der Kalkberg ruft schon, der Besteigung im Wege steht nur noch ein Gespräch mit dem Regisseur. Gespannt stelle ich mich in die Schlange vor seinem Tisch. Norbert Schultze jr. ist ein gutmütiger älterer Mann mit fast weißen Haaren. Im Schultheater habe ich gespielt, sogar mal eine Hauptrolle - aber reicht das? "Wie groß bist du?", fragt er noch kritisch. Mich an die zweifellos großen Helden meiner Kindheit erinnernd, strecke ich mich und dichte ein paar Zentimeter hinzu. "Wir melden uns bei dir", verabschiedet er mich recht emotionslos. Aber was hatte ich erwartet, sofort zusagen würden sie keinem Bewerber - das lehrt schon die Casting-Erfahrung aus dem Fernsehen.

Und tatsächlich: Zwei Wochen später fällt mir beim Blick in den Briefkasten ein großer brauner Umschlag entgegen: "Komparsenvertrag" steht oben auf der Seite, "hier unterschreiben" weiter unten. Mit der Unterschrift kommen aber auch die Zweifel. Habe ich wirklich genug Zeit? Reicht das Geld? Mit jeder Minute des Kopfzerbrechens steigt mein Respekt vor den Männern und Frauen, die ohne zu zögern, ihre Chance beim Schopfe packen und den Traum wahr werden lassen - das sind echte Cowboys und Indianer. Ein letzter verzweifelter Blick auf den Kontostand, dann fällt die harte Entscheidung: Der Kindheitstraum, da liegt er nun. In zwei Hälften zerrissen, verstaubt er im Papierkorb. Vielleicht bin ich ja nächstes Jahr Manns genug, um ihn zu leben - den Traum vom Wilden Westen.