Das anderthalbjährige Mädchen Ina hat das Down-Syndrom. Die Frühförderung in Norderstedt hilft ihr seit Geburt beim Start ins Leben.

Ina krabbelt auf die Wohnzimmertür zu und freut sich. Das ist deutlich zu erkennen: Anna ist da. Anna mit der Tasche, in der immer einige Überraschungen stecken. Anna, mit der unendlichen Geduld und mit den vielen tollen Spielideen. Anna, die sich jetzt eine Weile mit Ina beschäftigen wird. Das ist gut, denn Ina und Anna kennen sich schon fast anderthalb Jahre. Kurz nach der Geburt hat Anna Schreiner das kleine Mädchen kennengelernt, weil ihre Eltern es so wollten. Die 57 Jahre alte Diplom-Sozialpädagogin ist ein Segen für Helen Bothe, 36, und ihren Mann Andreas Hollendoung, 39: Ihr einziges Kind hat das Down-Syndrom.

Gleich nach der Geburt haben sich die Eltern bei der Frühförderung Norderstedt gemeldet, um Hilfe in Anspruch zu nehmen. Diese Einrichtung des Diakonischen Werks Hamburg-West/Südholstein gibt es seit 28 Jahren in Norderstedt. 13 Festangestellte und zwölf Honorarkräfte helfen Säuglingen und Kinder, die in ihrer Entwicklung insgesamt oder in Teilbereichen auffällig sind oder deren körperliche oder geistige Entwicklung beeinträchtigt ist.

So wie bei Ina, mit der sich Anna Schreiner einmal in der Woche für etwa eine Stunde beschäftigt. Weil sich beide schon so lange kennen, besteht ein Vertrauensverhältnis. Ina freut sich, wenn Anna kommt. Das ist deutlich zu merken, auch wenn die Situation an diesem Tage etwas anders ist: Normalerweise sind nur Ina, Anna und Mama Helen im Wohnzimmer, jetzt ist nicht nur der Papa da, weil er Urlaub hat, sondern auch noch der Mann vom Hamburger Abendblatt. Diese Situation ist eine Herausforderung für das kleine Mädchen.

Zunächst untersucht sie die Tasche, die Anna mitgebracht hat. Sie holt eine Keksdose hervor und fängt an, darauf herumzutrommeln. Sie ist begeistert und klatscht immer wieder in die Hände. Denn geht es darum, runde Bauklötze in einen Kasten mit Löchern hineinzustecken. Das klappt gut. Es geht weiter mit "Hoppe, hoppe Reiter", mit dem Lied "Zehn kleine Zappelmänner". Mama macht mit. "Ina ist viel lockerer geworden", sagt Anna Schreiner. Ina ist begeistert und klatscht in die Hände. Und immer wieder die "Zappelmänner". Versteck spielen unter einem Tuch. Für den Beobachter sieht es aus, wie eine ganz normale Spielstunde, bei der das Kind sehr viel Spaß hat. Auch die Mama lässt sich von der Begeisterung des kleinen Mädchens anstecken.

Anna Schreiner weiß, wie ihre Arbeit auf Fremde wirkt. Sie lebt damit, dass ihre Tätigkeit von einigen Familien immer mal wieder unterschätzt wird. Manche Eltern neigen zu der Auffassung, das sie derartige Spielereien auch ohne pädagogische Hilfe ganz alleine schaffen. Damit muss die erfahrene Sozialpädagogin leben. Aber diese Eltern unterliegen einem Irrtum: Alles, was Anna Schreiner an diesem Vormittag macht, ist durchdacht und hat einen Sinn.

Das Versteckspiel mit dem Tuch ist zum Beispiel eine vertrauensbildende Maßnahme: Ina soll erfahren, dass die vertraute Person noch da ist. Sie kann das Tuch selbst wegziehen, das fördert die Eigeninitiative. Und die Kreativität: Sie selbst kann sich aus etwas befreien und die Situation verändern. Das Hineinstecken der Bauklötze in das Steckbrett wird immer wieder geübt. Es geht um das Wahrnehmen von Oberflächen. Die Sozialpädagogin bemerkt, dass Ina einen Daumen in die Löcher steckt und zieht daraus diesen Schluss: Das Mädchen hat die Finger noch nicht differenziert. Aber: Wenn sie etwas will, kann sie mit dem Finger darauf zeigen.

Ina lernt sehr intensiv, wenn ihr etwas vorgemacht wird, wobei musikalische Untermalung hilfreich ist. Trommeln, singen und Bewegung in Kombination mit einem Lied. Sie lernt bestimmte Verhaltensmuster durch viele Wiederholungen. Inzwischen kann sie sich schon recht gut selbst regulieren. Gelegentlich gesuchter Körperkontakt mit der Mutter oder mit Anna gibt Sicherheit, Anspannungen wird sie durch Hüpfen los. "Das kann sie selbst bestimmen", sagt Anna Schreiner. "Es ist ein wichtiger Prozess."

Alles, was die Sozialpädagogin an diesem Vormittag macht, ist also durchdacht. Aber sie geht nicht nach einem bestimmten Plan vor, sondern richtet sich nach der Situation. Das Ziel dieser Vormittagsstunde ist es, Mutter Helen einzubeziehen. Deshalb fassen sich am Ende der Stunde alle drei an die Hände.

Ina ist ein Musterbeispiel für eine gelungene Frühförderung die rechtzeitig einsetzt: Hier stimmt das Umfeld, die Eltern ziehen mit und haben gelernt, auf die Signale ihrer Tochter zu achten. Gegenüber gleichaltrigen Kindern ist Ina etwa ein halbes Jahr zurück. Sie wird bald anfangen zu laufen, kommt in eine Kinderkrippe und dann in einen Integrationskindergarten. Ihre Eltern zahlen nicht für die Leistung der Frühförderung Norderstedt. Die heilpädagogische Frühförderung für Ina ist eine Sozialhilfeleistung zur Wiedereingliederung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. In diesem Falle wurde die pauschal für drei Jahre bewilligt.

Die Chancen für ihr weiteres Leben sind durch die frühen Hilfsmaßnahmen nicht schlecht. Für bestimmte Sachen in ihrem Leben wird Ina wahrscheinlich immer eine Begleitung benötigen, aber sie wird auch in der Lage sein, eine praktische Tätigkeit auszuüben. "Ina ist ein gutes Beispiel dafür, dass durch Frühförderung viel erreicht werden kann", sagt Anna Schreiner.

Die Frühförderung Norderstedt hilft etwa 120 Kindern pro Woche, von denen 90 Prozent von den Mitarbeitern zu Hause aufgesucht werden. Ambulantes Arbeiten in den Räumen am Kirchenweg 12a, wo diese Einrichtung des Diakonischen Werks seit zwei Jahren ihren Sitz hat, ist dann notwendig, wenn es darum geht, dem Kind ein erweitertes Erfahrungs- und Erlebnisfeld anzubieten. Es besteht auch die Möglichkeit, Kinder im Kindergarten zu begleiten. Eltern haben einen Rechtsanspruch nach dem Sozialgesetzbuch, der für die Familie kostenfrei ist. Eine Pflicht zur Frühförderung gibt es nicht, sie kann nur auf Wunsch der Eltern zustande kommen.

Liane Simon ist diejenige, die mit den Eltern spricht, die sie berät, die über die Form der Therapie entscheidet und schließlich festlegt, wer aus dem Team diese Arbeit übernimmt. Die Diplom-Pädagogin leitet die Norderstedter Einrichtung der Frühförderung seit 19 Jahren und kann deshalb sehr sicher entscheiden, ob eine Frühförderung tatsächlich nötig ist oder nicht. Denn nicht jedes auffällig gewordene Kind muss tatsächlich auf diese Weise in der Entwicklung gefördert werden. Etwa 40 Prozent der Kinder, hat Liane Simon festgestellt, brauchen nach der Beratung keine Frühförderung. Aber auch das hat die Diplom-Pädagogin festgestellt: "Es gibt immer mehr Entwicklungsverzögerungen bei Kindern." Armut und mangelnde Bildung der Eltern sind nach ihren Erfahrungen oft hinderlich für die Entwicklung der Kinder.

Sozialpädagogin Anna Schreiner merkt zum Beispiel, dass es immer mehr Kinder mit sozialen Problemen und Sprachschwierigkeiten gibt. Sie gibt dem "Zeitgeist" die Schuld an dieser Entwicklung. "Die Generation 20 plus ist fixiert auf den Bildschirm, die Kommunikation mit den Kindern läuft oft parallel", sagt sie. "Ich versuche den Eltern zu vermitteln, dass die Kinder wahrgenommen werden müssen." Anna Schreiner gehört einer anderen Generation an, deshalb will sie die alten Normen mit dem Zeitgeist zu verbinden - ein Spagat, der nicht leicht fällt.

In der Einrichtung des Diakonischen Werks sind die Kinder gut aufgehoben: Hier arbeiten engagierte und qualifizierte Mitarbeiter aus verschiedenen Fachdisziplinen zusammen. Das Personal besteht aus pädagogischen, psychologischen medizinischen und therapeutischen Fachkräften, die in einem interdisziplinären Team Hand in Hand für eine positive Weiterentwicklung der Kinder arbeiten. Betreut werden Familien aus Norderstedt, Bönningstedt, Hasloh, Quickborn, Bilsen, Henstedt-Rhen und Kayhude.