Hartz-IV-Empfänger sind ohne Chance auf günstige Mietwohnungen. Die schäbige Alternative heißt Notunterkunft.

Im Gesicht von Georg*, 46, scheint das Leben für jede schlechte Erfahrung, für jede Demütigung, die Abstürze, die vielen Flaschen Bier und für jeden traurigen Tag eine Kerbe hinterlassen zu haben. Doch die wachen Augen, sein properes Äußeres beweisen, dass da noch genug Energie ist, um es mit dem Schicksal aufzunehmen. "Über Wohnungssuche willst du reden? Da habe ich viel zu erzählen", sagt Georg. Sein Händedruck ist sehr fest.

Georg sitzt im Raucherzimmer der Tagesaufenthaltsstätte der Diakonie (TAS) am Herold-Center und dreht sich mit flinken Händen eine Zigarette. "Ich habe mir in Norderstedt und in Hamburg in den vergangenen Jahren bestimmt 500 Wohnungen angesehen", sagt Georg. In keiner davon habe er auch nur den Hauch einer Chance auf den Zuschlag gehabt. "Ich mache bei den Besichtigungen immer reinen Tisch: Ich sage, dass ich Hartz-IV-Empfänger bin und lege meine Papiere vor."

Und da stand er dann, in kleinen, oft schäbigen Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnungen, die zu unsittlichen Mietbedingungen angeboten wurden. Mit ihm im Durchschnitt 50 andere Bewerber. "Ich mit meinem Hartz-IV-Papieren stehe dann neben irgendwelchen Studenten, die die Bürgschaften ihrer Eltern in der Tasche haben - da hast du überhaupt keine Chance."

Georg hat niemanden, der für ihn bürgt. Er hat nur die Garantie vom Amt, dass die Mietkosten übernommen werden und seinen schrägen Lebenslauf. Während sich der gut verdienende Handwerker ohne Hund oder die doppelverdienenden, kinderlosen Paare an der Spitzer der Beliebtheitsskala der Vermieter um die Plätze streiten, können sich Georg und die vielen seiner Leidensgenossen ihres abgeschlagenen letzten Platzes sicher sein. Eine bittere Gewissheit.

"Es macht die Menschen mürbe, wenn sie nie einen Platz haben, wo sie sich ausruhen können", sagt Tabea Müller. Sie leitet die TAS, hilft Menschen wie Georg dabei, sich aufzurappeln und es trotz aller Widerstände noch mal zu versuchen, mit dem Schritt in ein geordnetes Leben. "Menschen, die von der Straße wieder in eine Wohnung kommen, brauchen fast keine Hilfen mehr. Sie sind psychisch entspannt", sagt Müller. Die Wohnung ist der beste Sozialarbeiter. "Sie ist wie eine Wurzel, die jeder Mensch braucht, um aufzublühen."

Es sind die Vorurteile, die verhindern, dass Menschen wie Georg eine Wohnung bekommen. Wer in sein Gesicht schaut, meint die Probleme zu erkennen, für die er steht. Trinker, zu laut, sorgt für Ärger im Haus, zecht mit seinen Kumpanen, Tag und Nacht. Tabea Müller hat andere Erfahrungen gemacht. "Die integrieren sich eigentlich genauso gut in eine Hausgemeinschaft wie viele andere auch." Außerdem: Trinker, die laut sind und für Ärger im Haus suchen, dazu können sich auch bürgerliche Gutverdienende entpuppen, die im nüchternen Zustand keine Probleme bei der Wohnungssuche haben. Will meinen: Es gibt immer solche und solche, jenseits vom sozialen Status. Doch in Zeiten, in denen Vermieter die letzte Kaschemme für die doppelte Miete als noch vor Jahren an den bürgerlich gut situierten Mieter bringen können, sind Hartz-IV-Empfänger ausgebootet. "Wir haben früher in Norderstedt schon mal mit dem Slogan ,Vermieter mit Herz' Wohnungen für unsere Leute gesucht. Da hatten wir immer drei oder vier Rückmeldungen. Heute bekommen wir gar keine Angebote mehr", sagt Tabea Müller.

Sabrina*, 43, kommt in die TAS gerollt. Den Rollstuhl hat sie zurzeit nur, weil ihr Bein völlig kaputt ist. Deswegen reicht der Rollator nicht aus, mit dem sie sonst unterwegs ist. "Ich will meine Wohnung gerade loswerden. Es ist mir völlig egal, was mit mir passiert. Aber aus der Wohnung will ich raus", schimpft sie aufgebracht. Seit zwölf Jahren lebe sie in einer günstigen Bude in Norderstedt. Jetzt hält sie die Nachbarn nicht mehr aus, sie fühlt sich laufend gemobbt von den Mitbewohnern. "Die machen ständig Ärger, weil ich meinen Rollator auf dem Gang im Treppenhaus stehen lasse. Meine Wohnung ist zu klein, ich habe keinen Platz, ich muss ihn da stehen lassen", sagt Sabrina. In ihrer Situation kann sie es sich eigentlich nicht leisten, mal eben die Wohnung aufs Spiel zu setzen. "Überleg Dir das gut", warnt Tabea Müller die Frau. Hartz-IV-Bezieher unter allen Umständen in ihren Wohnungen zu halten, ist eines der wichtigen Ziele in der Arbeit TAS. Wer kein Geld hat, muss untragbare Zustände in seinem Wohnumfeld also möglichst ohne Murren akzeptieren.

Was bleibt ihm anderes übrig? Die Hölle der aussichtslosen Wohnungssuche, die maroden Notunterkünfte der Stadt Norderstedt am Langenharmer Weg, am Buchenweg oder an der Lawaetzstraße, ein paar Schlichtwohnungen oder ein Zeltplatz im Stadtwald.

Sabrina setzt auf persönliche Kontakte. "Mein Freund lebt in einem Haus mit bezahlbaren Wohnungen. Im Erdgeschoss ist da jemand gestorben. Da klemm ich mich jetzt hinter, damit ich die Wohnung bekomme", sagt Sabrina. Erdgeschoss - das, was die Gehbehinderte immer wollte. "Es ist nicht so, dass es auf den Ämtern irgendeine Stelle gibt, die den Wohnungslosen sagt, wo sie sich um eine günstige Wohnung bemühen können. Sie sind mit der Suche meistens auf sich allein gestellt. Natürlich helfen wir, wo wir können", sagt Tabea Müller. Die TAS sei der Ort, wo sich die Obdachlosen ausruhen können, wo sie keine Nummer für einen Sachbearbeiter ziehen müssen, wo ihnen als Mensch begegnet würde. "Dann ist es die Frage, inwiefern sich ein abgezottelter und stinkender Mensch aufrappeln kann, welche Ressourcen er hat und wie weit die Selbstaufgabe schon gekommen ist." Dabei betont sie, dass es sich bei abgezottelten und stinkenden Menschen durchaus im Kern um Leute handelt, die nett und kultiviert sind und aus der Mittelschicht stammen. "Es kann jeden treffen, das sind nicht einfach nur ,Penner'. Das sind Familienväter, die früher einen Job, ein Haus und eine Familie hatten. Dann war der Job weg, die Frau auch, dann die Selbstachtung. Und irgendwann wurden keine Brief mehr beantwortet."

Leute mit diesem Schicksal landen in Norderstedt zunächst in den Notunterkünften, Männer in den Schlichtwohnungen am Langenharmer Weg, Frauen und Familien am Buchenweg, Asylsuchende, Obdachlose und Aussiedler in den Holzhäusern an der Lawaetzstraße. Norderstedts Sozialdezernentin Anette Reinders hat im Sozialausschuss der Stadtvertretung gerade eine umfassende Analyse der Situation der Wohnungslosen in der Stadt vorgelegt. 147 Menschen sind derzeit in den Unterkünften untergebracht. Für viele ist es seit Jahren die Endstation. Die meisten leben hier seit drei bis zehn Jahre, manche sogar schon seit 15 oder 18 Jahren.

Reinders nimmt über den Zustand der Unterkünfte kein Blatt vor den Mund. Die 1948 gebaute Siedlung am Langenharmer Weg mit ihren 27 Doppelzimmern ist in einem baulich nicht mehr zeitgemäßen Zustand. Sanierung sei dringend erforderlich. Nicht anders sehe es am Buchenweg aus. Dort stehen seit 1991 acht Holzhäuser und Wohncontainer mit je drei Zimmern, Küche und Bad. Familien leben hier. Die Holzhäuser seien zum Teil "abgängig", also die Sanierung nicht wert. Die Lawaetzstraße mit ihren zweigeschossigen Holzhäusern bietet seit 1994 in 32 Wohnungen Obdach. Der Zustand der Häuser sei schlecht, die gesamte Anlage völlig verwohnt, resümiert Reinders.

"Was die Betreuung und Nachsorge für die Menschen angeht, so gibt es derzeit nur am Langenharmer Weg ein Angebot. Ein umfassendes Gesamtkonzept der Betreuung und Unterbringung von Obdachlosen fehlt in der Stadt Norderstedt", sagt Reinders. Dieses zu erarbeiten sei eine der vorrangigen Aufgaben des Sozialdezernates in diesem Jahr.

Die Stadt müsse über den Neubau der Unterbringungen nachdenken. Dabei sollte die Chance genutzt werden, ganz neue Grundsätze zu beachten. Menschen mit Gewaltpotenzial oder Drogenproblemen sollen nicht mehr in einem Gebäude mit Familien untergebracht werden müssen. Für die Unterbringung sollten insgesamt eher kleine Einheiten entstehen, verteilt im Stadtgebiet und integriert in eine intakte Nachbarschaft - eine Absage an die Ghettos am Rande der Stadt oder im Industriegebiet. "Auch für die Obdachlosen müssen der Nahverkehr, der Supermarkt, die Kita und die Schule erreichbar sein", sagt Reinders.

Die Schlichtwohnungen der Stadt an der Friedrich-Ebert-Straße sind so eine kleine, dezentrale Unterkunft für gestrandete Menschen. Reinders stellt sich vor, dass sie zu einem "Clearing-Haus" werden könnten. Eine Einrichtung, in der ein sozialer Träger intensive sozialpädagogische Betreuung anbietet, mit dem Ziel, obdachlos gewordene Menschen innerhalb eines Jahres wieder in eine normale Wohnung zu vermitteln.

Zuletzt gebe es natürlich auch die sogenannten "Systemsprenger", also die Obdachlosen, die aufgrund von Drogenmissbrauch oder aus anderen Gründen unter chronischen psychischen Erkrankungen leiden, die gewalttätig und eine Gefahr für alle Mitbewohner oder Nachbarn sind. "Sie lassen sich nicht in Mehrfamilienhäuser integrieren. Für die müssen wir andere Unterkunftsformen mit einem Sicherheitskonzept finden. Die Zusammenarbeit mit Polizei, Ärzten und Betreuungseinrichtungen muss dabei optimiert werden", sagt Reinders.

Gut vorstellbar, dass jemand, der vor zehn Jahren in eine 14 Quadratmeter große Wohnung im Langenharmer Weg eingewiesen wurde, erst nach jahrelanger ergebnisloser Suche nach einer Wohnung und einer Zukunft so richtig gewalttätig und psychisch krank wurde. Da schließt sich ein verhängnisvoller Kreis, den es aufzubrechen gilt.

Georg, der sich im Raucherzimmer der TAS eine weitere Zigarette gedreht hat, lebt mittlerweile in einer Wohnung, irgendwo in Langenhorn. Er hat sie bekommen, weil seine Freundin den Vermieter so lange genervt hat, bis der den Schlüssel für die 33-Quadratmeter-Bude herausrückte. Die Freundin ist mittlerweile an Krebs gestorben. Noch so ein Schicksalsschlag, den Georg jetzt wegstecken muss.

Zu Georg hat sich Claudia*, 59, gesellt. Die Frau hat eine Obdachlosen-Odyssee durch ganz Deutschland hinter sich. Kennt das Leben im Zelt, den Dauerstress auf der Straße, die Hölle der Ruhe- und Rastlosigkeit ohne eigene vier Wände. Das ist jetzt alles anders geworden, denn Claudia hat eine Wohnung in einem Hamburger Stift bekommen. Und sie arbeitet wieder als Reinigungskraft in einem Seniorenheim und hilft anderen Obdachlosen bei den ersten Schritten zurück in ein normales Leben.

"Eins muss ganz klar rauskommen bei der Geschichte", sagt Claudia mit ihrer ganzen, auf der Straße erworbenen Weisheit, "baut menschenwürdige Unterkünfte. Wohnungen, Container - ganz egal. Hauptsache, ein Obdachloser kann eine Tür hinter sich zumachen und Ruhe finden."

*Die Namen der Gesprächspartner wurden von der Redaktion geändert