Auch im Kreis Segeberg kommen serbische und mazedonische Flüchtlinge an. Meist sind es Roma, die in ihrer Heimat diskriminiert werden.

Schackendorf. Am Dienstag war es soweit: Endlich wurde das Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma in Berlin eröffnet. 20 für die Opfer quälend lange Jahre hat es gebraucht, um das Denkmal zu errichten. Der Bundespräsident ist gekommen, auch die Kanzlerin. Die Worte von Angela Merkel sind emotionaler, als man es von ihr gewohnt ist: Auf "Ausgrenzung und Ablehnung", sagt sie am Rande des Teiches mit dem symbolischen Winkel stehend, müsse auch heute noch reagiert werden. Menschlichkeit bedeute Anteilnahme, vom Hinsehen lebten Zivilisation, Kultur und Demokratie.

Bedrija Zorjani hofft auf genau diese Eigenschaften: Anteilnahme und Mitgefühl. Während Merkel spricht, werden die dunkelhaarige Frau mit dem ernsten Blick und der Rest ihrer Familie von der Flüchtlingsunterkunft in Neumünster nach Schackendorf gebracht.

Zusammen mit ihrer Tochter Atija und ihrem Sohn Manuel sitzt die Roma nun auf einem der abgewetzten Sofas in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. Immer wieder nimmt ihr Mann Ramadan Demiri seinen einjährigen Sohn in die Arme und versucht, ihn zu beruhigen. Die weite Reise aus Serbien nach Deutschland hat die Familie überstanden, zur Ruhe aber kommt sie nicht. Mit Händen und Füßen versucht Bedrija Zorjani sich zu verständigen; Unterkunftsleiterin Silke Maaß und Sozialpädagogin Wiebke Wilken verstehen jedoch kein Wort.

"Asthma" sagt sie schließlich und deutet mit der Hand auf den Oberkörper ihrer Tochter. Die Achtjährige hört aufmerksam zu, unter Atijas lilafarbenem Wollpullover lugt ein durchlöchertes Kleid hervor. Als das Gespräch auf sie kommt, lächelt sie verlegen. Ihre Mutter lacht nicht ein einziges Mal, erst als per Telefon eine Dolmetscherin zugeschaltet wird, kann Bedrija Zorjani ihre Sorgen verständlich machen und erklären, warum sie nicht mehr in Serbien leben möchte.

Ursprünglich lebte die serbische Staatsbürgerin im Kosovo. Bei einem Überfall von Kosovo-Albanern während des Kosovo-Krieges 1999 musste Zorjani mit ansehen, wie ihre Mutter im heimischen Haus getötet wurde. Auch sie wurde aus ihrem Versteck hinter einer Vitrine hervorgezerrt und am linken Arm mit heißem Wasser verbrüht. Wie zur Bestätigung zieht sie den Ärmel ihres grauen Pullovers hoch und zeigt ihre verbrannte Haut, während die Dolmetscherin ihre Worte ins Deutsche übersetzt. Nach dem Überfall floh sie nach Serbien, wurde aber auch da aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert. Immer wieder beschimpften Serben die Familienmitglieder als "Zigeuner", schlugen Atija in der Schule und verbrühten Bedrija Zorjani erneut mit heißem Kaffee. Auch die Polizei half nicht, sondern misshandelte sie ebenfalls. Als die Repressalien zu viel wurden, flüchtete die Familie nach Deutschland. Mittlerweile haben die Roma Asyl beantragt und hoffen nun verzweifelt, hier bleiben zu können.

Minister Friedrich will die Roma im Schnellverfahren ausweisen

Die Chancen sind sehr schlecht. Denn während Bedrija Zorjani noch versucht, sich verständlich zu machen, steht für den Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bereits fest, was mit den Flüchtlingen geschehen soll: Zurück sollen sie, und zwar so schnell wie möglich: "Der massive Zustrom serbischer und mazedonischer Staatsangehöriger muss unverzüglich gestoppt werden" sagte er schon vor zwei Wochen. Ein Schnellverfahren binnen 48 Stunden wie in der Schweiz sei zwar aufgrund der Rechtsmittelfristen wohl nicht möglich. "Die Abwicklung innerhalb kürzest möglicher Zeit bleibt aber das Ziel."

60 zusätzliche Beamte hat der Innenminister zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg beordert, um das Asylverfahren "erheblich" zu beschleunigen. Darüber hinaus möchte Friedrich an Bürger aus "sicheren Herkunftsländern" wie Serbien und Mazedonien zunehmend Sachleistungen statt Bargeld auszahlen und die Visafreiheit für die beiden Länder aufheben. Meistens handelt es sich bei den Flüchtlingen vom Balkan um Roma, die in Deutschland aber als Wirtschaftsflüchtlinge gelten und nicht als politisch Verfolgte. Asyl gewährt die Bundesrepublik nur den wenigsten von ihnen.

Der Streit darüber, wie die Asylgesuche zu bewerten sind, ist in vollem Gange. Friedrich auf der einen Seite spricht von "Asylmissbrauch", nimmt das Wort Roma nicht einmal in den Mund. Der Flüchtlingsbeauftragte des Landes, Stefan Schmidt (SPD), hingegen warnt vor einer unzulässigen Verallgemeinerung und weist auf die systematische Diskriminierung der Roma in ganz Europa hin.

Olga Jovanovic wurde von ihrem Ex-Mann zur Prostitution gezwungen

Bedrija Zorjani weiß von dem ganzen Streit nichts. "Ich will kein Geld", sagt sie eindringlich. "Ich habe bloß Angst, dass meine Tochter stirbt. In der Nacht hat sie schwere Asthma-Anfälle und muss dringend zum Arzt." Für einen Arztbesuch braucht die Familie nicht nur jede Woche einen Krankenschein von der Leiterin der Unterkunft, sondern auch einen Dolmetscher. Den aber gibt es hier nicht. "Die Ärzte sind genervt", sagt Silke Maaß. "Ohne jemanden, der vor Ort übersetzt, machen sie nur die Notfallbehandlung."

Das gleiche Problem hat Olgica Jovanovic. Auch sie ist erst seit Dienstag in der Asylunterkunft in Schackendorf, auch sie wird wohl wieder ausreisen müssen. Dramatisch breitet die Serbin aus Paracin ihre fünf Tablettenpackungen auf dem Tisch des Gemeinschaftsraumes aus und redet auf ihren Sohn Sasa Agusevic ein. Der junge Mann hat bereits ein paar Brocken Deutsch gelernt und versucht zu vermitteln. "Doktor, Doktor", sagt er mehrmals mit rollendem "R". Später stellt sich heraus: Olgica Jovanovic wurde von ihrem Ex-Mann in Serbien zur Prostitution gezwungen, muss dringend zum Gynäkologen. "Nach ein paar Jahren", sagt Olgica Jovanovic, "hatte ich genug von den Schlägen und Quälereien meines Mannes, habe das Geld, das ich verdient hatte, gestohlen und mich mit meinem Sohn in den Bus nach Deutschland gesetzt."

Solche Schicksale erfährt Wiebke Wilken wöchentlich. Die Sozialpädagogin ist wütend über die verallgemeinernden Aussagen von Hans-Peter Friedrich. "Die Nöte der Betroffenen erschlagen mich gerade in den ersten Tagen", sagt sie. "Nicht immer kann ich ruhig schlafen." Besonders für ein Mädchen wie Atija, das in Neumünster bereits zur Schule ging, sei die Rückkehr nach Serbien ein hartes Los. Zurzeit ist Wilken auf der Suche nach ehrenamtlichen Dolmetschern, denn serbische und mazedonische Asylbewerber gab es bisher nicht im Kreis Segeberg. So soll künftig zumindest die erste Verständigung einfacher werden.

"Durch die steigenden Bewerberzahlen werden auch die dezentralen Unterkünfte in den Kommunen des Kreises bald rappelvoll sein", sagt Wilken. Ausgenommen davon ist Norderstedt, das die festgelegte Quote in den vergangenen Jahren übererfüllt hat. Ansonsten werde es flächendeckend eng im Kreis Segeberg, gerade weil der Wohnungsmarkt nicht viel hergebe.

Mutter Jovanovic will mit ihrem Sohn Sasa eigentlich nach Essen zu seinem Bruder. Der wohnt schon länger in Deutschland und will die beiden bei sich wohnen lassen. "Dazu müssten sie einen Antrag stellen", sagt Wiebke Wilken. "Das bringt aber wohl nichts. Wahrscheinlich wurde ihr Asylantrag schon lange abgelehnt."