Bei einem Jungen von einer Norderstedter Schule wurde der H1N1-Virus nachgewiesen. Viele fragen sich nun: Impfen oder nicht?

Norderstedt. Die Situation trägt die Züge einer Hysterie. Die Angst der Norderstedter vor der Schweinegrippe und ihre Verunsicherung über die Notwendigkeit einer Impfung sorgen in den 18 Norderstedter Arztpraxen, die die Impfung anbieten, zeitweise für Chaos. "Ich habe jeden Tag zwei bis drei Stunden mit der Aufklärung von Patienten zu tun. Das bringt meinen Behandlungstag völlig durcheinander", sagt Dr. Svante Gehring, der seine Praxis in der Tannenhofstraße hat. Nicola Hinsch, Arzthelferin in der Praxis von Dr. Marlene Kruppa in der Waldstraße, spricht von 20 Patienten täglich, die sich informieren oder gleich impfen lassen wollen. In anderen Praxen, die auf der vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Liste der Impfpraxen in Norderstedt stehen, ist telefonisch oft kein Durchkommen mehr.

SCHWEINEGRIPPE - KLICKEN SIE SICH SCHLAU:

Der Start der Impfung für alle Bürger in der Stadt fällt mit besorgniserregenden Nachrichten zusammen. An der Norderstedter Grundschule Gottfried-Keller-Straße wurde bei einem Kind die Infektion mit dem H1N1-Virus bestätigt. Zum anderen werden die ersten Todesfälle in Deutschland gemeldet, von Menschen, die angeblich keine Vorerkrankungen hatten.

"Die Situation wird wilder gemacht, als sie ist", sagt Dr. Gehring. Er hat den Jungen aus der Grundschule und auch schon einige andere Fälle behandelt, der Verlauf der Krankheit war bisher immer sehr mild. Mit bisher etwa 70 Fällen von Schweinegrippe im gesamten Kreis Segeberg liegt die Region im landesweiten Mittelmaß. Dr. Gehring rät allen Norderstedtern, besonnen zu reagieren. "Noch ist unklar, ob wir es mit einer schweren Epidemie oder einem saisonalen Peak zu tun haben", sagt der Mediziner. Wer gesund ist, sollte die Entwicklung "ohne Emotion" weiter abwarten und erst zur Impfung schreiten, wenn die Todesrate deutlich hoch schnellt. Menschen mit Vorerkrankungen an Lunge und Herz sollten mit ihrem Hausarzt die Impfung besprechen.

Ebenso sinnvoll sei es aber auch, sich einfach impfen zu lassen. "Der Impfstoff wird zu Unrecht verteufelt. Schwere Nebenwirkungen sind nicht zu erwarten", sagt Gehring. Doch darüber herrschen geteilte Meinungen unter den Ärzten. In der Praxis von Marlene Kruppa werden Impfwillige noch vertröstet: "Wir haben den Impfstoff da, aber wir warten mit dem Einsatz noch ab, bis sich zeigt, welche Nebenwirkungen zu erwarten sind", sagt Arzthelferin Nicola Hisch. Der Aufwand für die Impfung sei immens: Eine Impfstoffampulle reiche für zehn Impfungen. Einmal angebrochen, ist das Serum 24 Stunden haltbar. Das bedeutet: Zehn Patienten müssen jeweils in Gruppen pünktlich zum Impftermin erscheinen - eine umfangreiche Terminabsprache ist nötig.

Dr. Svante Gehring kritisiert die katastrophale Außendarstellung der verantwortlichen Stellen. Experten der Ärztekammer, der Institute und aus der Gesundheitspolitik äußern sich mal für und mal gegen die Impfung. Die Gesundheitsämter der Kreise würden sich viel zu passiv verhalten. Svante Gehring: "Letztlich lassen alle uns niedergelassenen Ärzte mit der totalen Verunsicherung der Leute alleine."