In unserer Firmenserie “Fit in die Zukunft“ stellen wir heute das Norderstedter Medizintechnikunternehmen Johnson & Johnson Medical vor.

Norderstedt. Es ist ein High-Tech-Produkt, das in Handarbeit gefertigt wird: das chirurgische Netz, das Leisten- und andere Brüche heilen hilft. Doch nicht nur Mediziner und Patienten profitieren von dem innovativen Produkt, sondern auch der Hersteller: Johnson & Johnson Medical (vormals Ethicon) hat sich unter anderem auf die Produktion dieser medizinischen Netze spezialisiert und sich damit ein wichtiges Standbein für die Zukunft geschaffen.

"Physiomesh" heißen diese speziellen Wundverschlüsse, die die Forscher von Johnson & Johnson Medical am Unternehmensstandort im Gewerbegebiet Glashütte gemeinsam mit Ärzten und Patienten entwickelt haben und damit äußerst erfolgreich agieren: Rund 800 000 medizinische Netze stellen die Fachkräfte jedes Jahr in Norderstedt her- exklusiv für den Weltmarkt. Operateure in Deutschland wissen die Vorzüge der Netze genauso zu schätzen wie ihre Kollegen in Übersee oder in Russland.

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Die Netzte bestehen aus Polypropylon, einer Art Textilgewebe: "Dadurch sind sie leicht, so flexibel, dass sie sich den Bewegungen der Patienten anpassen, und sie lösen sich auf, sodass keine zweite Operation nötig wird", nennt Unternehmenssprecherin Tanja Hemme die Vorzüge des Erfolgsproduktes. Doch wer nun denkt, Maschinen schneiden die Wundverschlüsse von der Rolle und verpacken sie, der irrt. Die Produktion ist echte Handarbeit, gut 100 Mitarbeiter sind in diesem Unternehmensbereich damit beschäftigt, aus dem Rohmaterial die medizinischen Netze zu fertigen. Und davon gibt es eine ganze Menge, bei Weitem nicht nur die Klassiker, die bei Leistenbrüchen eingesetzt werden. Im Angebot ist beispielsweise auch ein Vaginalband, das der sogenannten Belastungsinkontinenz entgegenwirkt. "Dieses Band wird spannungsfrei unter die Harnröhre der Frau platziert, um zusätzlichen Halt zu geben und unfreiwilligen Harnverlust zu verhindern", sagt Tanja Hemme.

Im vergangenen Jahr wurde eine Produktionslinie nach Mexiko verlagert

"Wir können die hohen Ansprüchen an die Qualität nur erfüllen, wenn wir Menschen einsetzen, die bei jedem Arbeitsgang genau hinsehen und eventuelle Mängel sofort feststellen", sagt Ninette Bünting, Koordinatorin dieser Produktionslinie. Bis vom Vorprodukt auf der Rolle, das angeliefert wird, ein fertiger Wundverschluss wird, sind mehrere Arbeitsschritte erforderlich. Zunächst schneiden die Mitarbeiter das Gewebe auf die erforderliche Größe. Es folgt der Waschgang, ehe das Netz "annealt" wird - das Gewebe wird in eine Halterung gespannt. "So bekommt es die nötige Elastizität", sagt Ninette Bünting.

Schon vor Jahren hatten die Forscher und Entwickler von Johnson & Johnson einen enormen Bedarf für das innovative Medizinprodukt festgestellt. Rund 250 000 Patienten werden allein in Deutschland jedes Jahr wegen eines Bruchs der Bauchwand behandelt. Bei einem Bauchwandbruch (auch Hernie genannt) drücken sich Eingeweide durch eine Schwachstelle der Bauchwand.

Ursachen können eine geschwächte Muskulatur oder eine Bindegewebsschwäche sein, aber auch erhöhter Druck im Inneren des Bauches durch Tragen und Heben schwerer Gegenstände, chronisches Husten und Niesen oder anstrengendes Pressen beim Stuhlgang. Kommt es zu solch einem Bruch, kann sich eine von außen sicht- und tastbare Vorstülpung bilden. Man unterscheidet drei typische Arten von Bauchwandbrüchen: Leisten-, Nabel- und Narbenbrüche.

"In jedem Fall sollten solche Brüche operiert werden, da sie nicht von selbst heilen und sogar zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen können, wenn sie nicht behandelt werden", sagt Thorsten David, Geschäftsführer von Johnson & Johnson Medical. Entweder führt der Operateur einen Hautschnitt aus. Oder er arbeitet endoskopisch nach der "Schlüssellochtechnik", bei der Instrumente durch sehr kleine Löcher in der Haut eingeführt werden. Anschließend wird die Bruchstelle mit einem Netz verschlossen oder, beim klassischen Verfahren, zugenäht.

In Glashütte lernten die Ärzte die Schlüsselloch-Chirurgie kennen

Und auch da kommt wieder das Norderstedter Medizintechnikunternehmen ins Spiel: Die Produktion von chirurgischem Nahtmaterial hat den Weltruf von Johnson & Johnson Medial, damals noch unter dem Namen Ethicon, begründet. Bis heute zählt das Unternehmen in dieser Branche zu den Weltmarktführern, kaum ein Arzt, der die Menschen nicht mit Nadel und Faden aus Norderstedt "zusammenflickt".

Doch im vorigen Jahr musste der größte Arbeitgeber in Norderstedt einen Rückschlag verkraften: Die Produktion erwies sich als veraltet und zu arbeitsintensiv. Auf dem globalen Markt war das relativ hohe Lohnniveau nicht mehr konkurrenzfähig. Daher musste eine Produktionslinie nach Mexiko verlagert werden, rund 200 Mitarbeiter verloren ihren Job. Das sei schlimm für die Betroffenen, doch der frei werdende Raum werde benötigt, um eine neue Produktionslinie mit einem hohen High-Tech-Anteil zu installieren. "Unsere Strategie ist klar: Wir wollen und müssen uns weiterhin als High-Tech- und Qualitätsstandort profilieren", sagt David. Klasse statt Masse laute das Leitmotiv, das den Standort im internationalen Konzernbetrieb sichere.

Nach wie vor unterhält der Weltmarktführer in Norderstedt die europaweit größte und modernste Produktionsstätte für chirurgisches Nahtmaterial, Nadeln und resorbierbare Implantate. Rund 180 Millionen Nadeln und etwa 140 Millionen Meter Faden, darunter Vicryl plus, das weltweit erste antibakterielle Nahtmaterial, werden in Glashütte pro Jahr produziert. Schließlich ist Nadel nicht gleich Nadel: "Schon für jede Hautschicht brauchen die Ärzte unterschiedliche Größen und Formen", sagt der Geschäftsführer.

Zudem biete Norderstedt ein Alleinstellungsmerkmal: die konzernweit einzigartige Verbindung zwischen Anwendern und Herstellern. Das European Surgical Institute (ESI), drittes Standbein am Standort Norderstedt. Das Schulungszentrum bildet jedes Jahr rund 14 000 Mediziner aus der ganzen Welt weiter und zählt auch 21 Jahre nach der Gründung zu den führenden Aus- und Weiterbildungsinstituten weltweit. Das Konzept, das der Einrichtung zugrunde lag, gilt noch heute: Die Mediziner erweitern ihre Kenntnisse an Medizin-Produkten aus Norderstedt und melden ihre Erfahrungen aus der Praxis zurück. Der ständige Austausch ist Basis für die Arbeit der Forscher und Entwickler, die ebenfalls in Norderstedt angesiedelt sind.

Vor zwei Jahrzehnten lernten die Ärzte in Glashütte die Schlüsselloch-Chirurgie kennen. Die großen Schnitte wichen kleinen Löchern, durch die die Endoskope eingeführt werden. Heute zählt diese schonende Operationstechnik zum Standard-Repertoire in den Kliniken. Vor zwei Jahren wurden erstmals die OP-Simulatoren gestartet, an 20 der jeweils rund 160 000 Euro teuren Geräten können Mediziner gleichzeitig für den Ernstfall üben - damit hat das Schulungsinstitut in Norderstedt weltweit erneut Maßstäbe gesetzt. Möglich macht das eine spezielle Software, die die Krankendaten eines Patienten in den Simulator übertragen und ihn virtuell klonen kann. Auf dem Bildschirm sind nicht nur die inneren Organe zu sehen, an denen der Eingriff vorgenommen werden soll. Die Operation kann authentisch vorweggenommen werden.

Der Operateur schneidet mit einem Instrument, das mit dem Fuß zu bedienen ist, per Ultraschall beispielsweise ein 40 Zentimeter langes Stück aus dem Darm und näht ihn virtuell wieder zu. Nach 90 Minuten ist die Operation zu Ende. Zwischendurch konnte erfolgreich eine Blutung mit einer Titanklemme gestillt werden. Abschließend erhält der Übende eine exakte Fehlerliste - unter anderem mit dem Hinweis, die Operationstechnik der linken Hand zu verbessern.

"Addiert man die Vorteile, gibt es nur ein Fazit: Der Standort ist sicher, wir sind fit für die Zukunft", sagt der Geschäftsführer von Johnson & Johnson Medical in Norderstedt.

Am kommenden Montag stellen wir Ihnen in unserer Serie "Fit in die Zukunft" die Henstedt-Ulzburger Titan Präcis Metallurgie GmbH vor.