Mehrere Initiativen bereiten sich auf massenhaften Protest vor. Bis zu 50.000 Demonstranten werden gegen den 12. Castor-Transport erwartet.

Lüneburg/Hannover. Es wurde gerempelt und gefroren, als Atomkraftgegner der örtlichen Initiative "X-tausendmal quer" gestern im Wendland Straßenblockaden probten , mit dem sie am ersten Novemberwochenende den 12. Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben stoppen wollen. Die erklärte Absicht des zivilen Ungehorsams auf der Straße und vor allem an der Schienenstrecke beunruhigt inzwischen Justiz und Polizei - vor allem vor dem Hintergrund, dass der Massenprotest im Wendland in diesem Herbst absehbar alle Vergleiche sprengen wird.

"Anleitung zum Sitzenbleiben" lautete der Titel des gestrigen "Blockadetrainings" in Wustrow im Landkreis Lüchow-Dannenberg unweit des Zwischenlagers. Luise Neumann-Cosel, Sprecherin von "X-tausendmal quer", betonte dabei die Bedeutung eines deeskalierenden Umgangs mit der Polizei. Praktisch geübt wurde auch das Verhalten in Räumungssituationen.

Für Blockaden rüsten aber nicht nur lokale Bündnisse. Ins Visier der Justiz ist auch die Initiative "Castor schottern" geraten. Die Aktivistin Sonja, 55 Jahre alt, die ihren Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will, empfahl gestern in Berlin allen Castorgegnern, Schutzbrillen mitzubringen: "Gegen das Pfefferspray der Polizei". Auch Handschuhe und festes Schuhwerk sollten die Teilnehmer haben: So kann man besser schottern". Gemeint ist, dass die Aktivisten auf breiter Front zwischen Lüneburg und der Umladestation Dannenberg die Polizeiabsperrung umgehen und mit bloßen Händen den Schotter unter den Gleisen wegkratzen und die Strecke damit unpassierbar machen sollen.

"Wir prüfen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens", so die Reaktion des zuständigen Lüneburger Oberstaatsanwalts Roland Kazimierski. Es gehe um den Straftatbestand der Störung der öffentlichen Ordnung. Dafür drohten sogar Gefängnisstrafen.

Mehrere Bundestagsabgeordnete der Linken sowie der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei haben sich dem Aufruf der Initiative "Castor schottern" inzwischen angeschlossen. Für den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, ist das ein Aufruf zu Straftaten: "Das ist eine schlimme Erosion des Rechtsverständnisses von Parteien und Politikern." Wendt rechnet jetzt bereits mit bis zu 50.000 Teilnehmern nach 14.500 Atomkraftgegnern vor zwei Jahren, und er warnt: "Auch die Militanz wird bei diesem Castoreinsatz deutlich zunehmen". Davor warnt auch der niedersächsische Verfassungsschutz mit Blick auf die Laufzeitverlängerung der Atommeiler und die wieder aufgenommene Erkundung des Gorlebener Salzstocks auf seine Eignung als Atommüllendlager: "Es ist zu befürchten, dass die Mobilisierungsfähigkeit der linksextremistischen Szene zunehmen wird."

Der Grünen-Fraktionschef im niedersächsischen Landtag, Stefan Wenzel, geht für den Novembertransport ebenfalls von stark steigendem Protest aus und hat jetzt die Behörden aufgefordert, einen "Plan B" zu entwickeln für den Fall, dass der Castor nicht durchkommt: "Wir haben es hier mit hoch radioaktivem Müll zu tun, den kann man nicht einfach rumstehen lassen." Klaus Engemann, Sprecher des Innenministers, hält dagegen: "Ein Plan B ist überflüssig, die Polizei wird den Castortransport ins Zwischenlager bringen." Und dem Grünen-Fraktionschef gibt er mit: "Der Abgeordnete Wenzel hat als Abgeordneter die Pflicht, sich gesetzestreu zu verhalten statt Straftaten zu relativieren."

Die Sicherheitsbehörden beobachten sehr genau, dass es neue Versuche gibt, verschiedene Protestbewegungen zu verzahnen. So reisen Aktivisten aus dem Wendland zur nächsten Montagsdemonstration gegen das Stuttgarter Bahnhofsprojekt und bringen zudem eigens drei Trecker mit dem Tieflader in die baden-württembergische Landeshauptstadt. Wie stark die Vernetzung gelingt und wie sehr bürgerlicher Protest künftig bereit sein könnte, gemeinsam mit Linksextremisten zu agieren, das sind aus der Sicht von Polizei und Verfassungsschützern wichtige Fragen. Der Generalsekretär der baden-württembergischen CDU, Thomas Strobl, warf den Atomkraftgegnern aus dem Wendland unterdessen "Krawall-Tourismus" vor: "Die sogenannten Montagsdemonstrationen scheinen mehr und mehr zum Anziehungspunkt für Berufsdemonstranten aus ganz Deutschland zu werden."

Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg hat gestern an Ministerpräsident David McAllister (CDU) appelliert, den Standort Gorleben aufzugeben und über "politische Lösungen" zu sprechen: "Auf keinen Fall wollen wir die Konfrontation mit der Polizei, dieser Konflikt muss politisch gelöst werden."

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kündigte am selben Tag an, mit Anwohnern aus der Region wolle man versuchen, auf dem Klagewege das Projekt zu stoppen. Unter dem Deckmantel der Erkundung würden in Gorleben bereits Tatsachen geschaffen.