Im Kabinett sitzt er nicht - doch für viele ist er der heimliche Ministerpräsident. Der Koalitionsvertrag trägt vor allem seine Handschrift.

Kiel. Wolfgang Kubicki (57) hält Hof. Der FDP-Fraktionschef steht allein in der Mitte des Plenarsaals, nickt einigen Abgeordneten zu, die zur ersten Sitzung des Kieler Landtags hereinströmen. Sein Blick schweift über die Tribüne. Kubicki lächelt, strahlt dann über das ganze Gesicht. Er ist am Ziel, darf Schleswig-Holstein endlich (mit)regieren.

Die Kapitänsmütze trägt zwar Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU). Den Kurs in Kiel steckt bisher aber Kubicki ab, auch wenn er nicht mit am Kabinettstisch sitzt. Der Schnelldenker ist der Steuermann des schwarz-gelben Regierungsdampfers. Das zeigte sich gleich nach der Landtagswahl. Der Rahmen des Koalitionsvertrags von CDU und FDP wurde auf Sylt unter vier Augen abgesteckt - von Kubicki und Carstensen.

Der liberale Polit-Stratege rang dem harmoniebedürftigen Christdemokraten dabei so viele Zugeständnisse ab, dass der Koalitionsvertrag mehr gelb als schwarz ist. Kubicki übernahm auch den Feinschliff. Der Anwalt verhandelte selbst über die Finanz- sowie die Innenpolitik. Er saß damit in zwei der drei zentralen Untergruppen, Carstensen in keiner.

Kubicki genießt seine Macht und spielt sie bei Bedarf auch aus. Als CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher über die Strenge schlug, brach Kubicki das Koalitionspoker ab und schaltete Carstensen ein. Von Boetticher musste ebenso zurückrudern wie kurz darauf der heutige Innenminister Klaus Schlie (CDU).

Kubicki zog nicht nur hinter verschlossenen Türen die Strippen. Als Carstensen bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags den Überblick verlor, übernahm Kubicki das Kommando und erklärte, wie Schwarz-Gelb regieren will. FDP-Landeschef Jürgen Koppelin nickte brav, von Boetticher biss tapfer die Zähne zusammen.

In der Union geht man ohnehin davon aus, dass Kubickis Stern bald sinkt. Demnach wird die neue Regierung mit ihrem großen Apparat zunehmend das politische Tagesgeschäft gestalten und die Chefs der beiden Regierungsfraktionen zu Zuschauern degradieren. Diesen "Automatismus" gebe es in Schleswig-Holstein wie in allen anderen Ländern, heißt es auch in der SPD.

Kubicki ficht das nicht an. Der gewiefte Anwalt hat eine bundesweit einzigartige Konstruktion ausgeheckt, um seinen Einfluss auf Dauer zu sichern. Die Weichen für die Sparpolitik stellt nicht wie anderswo das Kabinett, sondern eine kleine Haushaltsstrukturkommission. Sie ist das Herz der schwarz-gelben Regierung und hat neben dem Finanzminister vermutlich nur zwei stimmberechtigte Mitglieder: von Boetticher und Kubicki.

In der FDP ist es ein offenes Geheimnis, dass Kubicki über diese Kommission die Landespolitik entscheidend mitgestalten will. Oberwasser hat der Liberale zudem, weil er mit Carstensen bisher bestens zurechtkommt. Der Ministerpräsident vertraut dem Liberalen, mit dem er wenig gemein hat. Kubicki ist ein Kopfmensch, ein Intellektueller, gescheiter als die meisten Landespolitiker - und das sagt er ihnen auch ins Gesicht.

Im Landeshaus wird deshalb schon spekuliert, wie lange Kubicki seinen Triumph noch still genießen kann, wann das Lästermaul wie früher über den Landesvater herzieht und damit das schwarz-gelbe Projekt gefährdet. "Kubickis Stärke und Leidenschaft sind messerscharfe Analysen", sagt SSW-Fraktionschefin Anke Spoorendonk. "Sie werden irgendwann auch wieder im Rücken des Ministerpräsidenten stecken."

Für Kubicki wäre es nicht das erste Mal, dass er etwas einreißt, was er selbst mit aufgebaut hat. Der Top-Jurist und Diplom-Volkswirt ist auf der politischen Bühne des Landes seit mehr als zwei Jahrzehnten die schillerndste Figur. 1989 übernahm er den FDP-Vorsitz in Schleswig-Holstein, zog aus dem Bundestag 1992 in den Landtag um, wurde gleich Fraktionschef. Nur ein Jahr später strauchelte der Alleinunterhalter. Kubicki hatte Mecklenburg-Vorpommern bei der Privatisierung der Mülldeponie Schönberg beraten (Gesamthonorar rund 400 000 Euro). Die Verträge waren so umstritten, dass er als Landes- und Fraktionschef zurücktrat. Erst vor Kurzem endete die Prozessflut - mit einem Sieg Kubickis.

Der Liberale meldete sich schon 1996 zurück, versuchte als Fraktionschef im Landtag erneut, die Nord-Liberalen aus der Opposition (seit 1971) in die Regierung zu führen. In der Bundes-FDP war der sozialliberale Kubicki damals ein Außenseiter, der einen Weggefährten hatte: Jürgen W. Möllemann, der ebenfalls nicht an einem Minderwertigkeitskomplex litt. Das selbstbewusste Duo aus Düsseldorf und Kiel mischte über Jahre die alte FDP-Garde auf, machte mit damals kühnen Plänen Schlagzeilen. Im Kieler Nobelvorort Strande, wo Kubicki lebt, entwickelten beide das Projekt 18, den Aufstieg der FDP zur Volkspartei. Als Möllemann sich mit der FDP überwarf, hielt Kubicki zu ihm, bis zum Tod seines Freundes 2003.

Nach Berlin schielt Kubicki derzeit nicht. Ebenso wenig auf einen Ministerposten in Kiel. Das könne er sich finanziell nicht leisten, frotzelt er gern. Grund: Der gut verdienende Anwalt müsste als Minister aus der Kanzlei aussteigen, die er zusammen mit dem Ex-CDU-Abgeordneten Trutz Graf Kerssenbrock in Kiel betreibt. Jener Kerssenbrock, der sehr ernsthaft um innerparteiliche Aufarbeitung der Barschel-Affäre bemüht war - und dafür von der CDU gnadenlos abgestraft wurde.

Bei der Frage, ob er Schleswig-Holstein regiere, zögert Kubicki einen Moment. "Nein", sagt er, "Ministerpräsident ist Carstensen." Kubicki verkneift sich einen Nachsatz, setzt seine Unschuldsmiene auf und schmunzelt.