Carstensen verliert wunschgemäß die Vertrauensabstimmung. Der Ministerpräsident selbst enthält sich der Stimme. In der Debatte attackieren sich CDU und SPD mit schon gewohnter Härte.

Kiel. Im Kieler Landtag geht es Schlag auf Schlag. Ein Abgeordneter nach dem anderen wird aufgerufen, beantwortet die Vertrauensfrage. "Wolfgang Baasch?" Der SPD-Mann ruft ein Nein ins Parlamentsrund, ebenso Angelika Birk (Grüne). Einen Moment später blicken alle zum Ministerpräsidenten. "Peter Harry Carstensen?" Der Regierungschef zögert für den Bruchteil einer Sekunde: "Enthaltung."

Einige SPD-Politiker lachen, andere schütteln den Kopf darüber, dass Carstensen sich für Neuwahlen selbst verleugnet. Vier Minuten später, um 12.40 Uhr, gibt Vize-Landtagspräsidentin Ingrid Franzen (SPD) das Ergebnis bekannt: 37 mal Nein, 28 Enthaltungen (alle CDU) und eine Jastimme. Sie kam von Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU). Er lehnt "unechte Vertrauensfragen" ab.

"Ich stelle damit fest, dass der Landtag dem Ministerpräsidenten das Vertrauen nicht ausgesprochen hat", bilanziert Franzen trocken. Viele Abgeordnete gucken betreten, andere atmen durch. Die erste Große Koalition Schleswig-Holsteins ist nach acht Kieler Chaostagen endgültig beerdigt und der Weg zu einer vorzeitigen Neuwahl am 27. September frei.

Der Schlussakt des schwarz-roten Bündnisses hatte am Morgen mit einer Entschuldigung des Ministerpräsidenten begonnen. Carstensen stellte im Landtag klar, dass er die vier Ex-Minister der SPD "fachlich wie menschlich" schätze. Er bedauere es, wenn sich die ehemaligen Kabinettsmitglieder durch die Umstände der Entlassung "in ihrer Wertschätzung herabgesetzt" fühlten. "Dies war nicht meine Absicht."

Carstensen hakt den Blitz-Rauswurf damit ab und knüpft sich die SPD vor. "So wie bisher kann es nicht weitergehen." Die SPD sei kein verlässlicher Koalitionspartner, jedenfalls nicht unter ihrem Chef Ralf Stegner. Der sei kein Mannschaftsspieler und habe mit Winkelzügen die Regierungsarbeit untergraben, sagt der Ministerpräsident.

Carstensen schaut dabei zu Stegner hinüber, der nur wenige Meter entfernt in der ersten Reihe des SPD-Blocks sitzt. Vergeblich. Stegner studiert sein Redemanuskript, feilt an Formulierungen - und wird erstmals gleich nach Carstensen ans Pult gebeten. Präsident Kayenburg bemerkt die Verwunderung und klärt die Abgeordneten auf. Die SPD trage die Regierung nicht mehr mit, sei damit die größte Oppositionsfraktion. Und deren Vorsitzender dürfe gleich nach dem Regierungschef sprechen.

Stegner wird seiner neuen Aufgabe als Oppositionsführer sofort gerecht. "Ihrer Rest-Regierung, Herr Ministerpräsident, fehlen die Kompetenz und der Anstand." Der gerade Weg zu Neuwahlen wäre der Rücktritt des Regierungschefs gewesen. "Aber dazu hat ihnen das Format gefehlt."

Stegner macht, angespornt durch den Beifall seiner SPD, weiter, ruhig im Ton, rabiat in der Sache. "Sie ziehen den mit der FDP verabredeten Koalitionsbruch eiskalt durch." Die Vertrauensfrage ist für Stegner nicht mehr als der letzte Trick Carstensens. "Vieles spricht dafür, dass das nicht verfassungsgemäß ist, was Sie hier treiben."

Carstensen blickt währenddessen nach oben zur Zuschauertribüne, nickt seiner Lebensgefährtin Sandra Thomsen zu und schmunzelt.

Stegner ist nach 30 Minuten durch. CDU-Fraktionschef Johann Wadephul schlägt zurück, wirft dem SPD-Chef "einen Wirklichkeitsverlust" vor. Stegner verfahre nach dem Motto "Ich weiß alles, ich habe die Wahrheit gepachtet." Ex-Oppositionsführer Wolfgang Kubicki (FDP) legt nach. Er rechnet persönlich mit Stegner ab, stellt sich vor Carstensen. "Ich hätte die SPD-Minister schon nach der Debatte am Freitag entlassen."

Der Großen Koalition weint auch Grünen-Fraktionschef Karl-Martin Hentschel keine Träne nach. "Sie hat seit mindestens zwei Jahren nichts mehr auf die Reihe bekommen und ist schließlich an der HSH Nordbank zerschellt." Ähnlich äußert sich SSW-Chefin Anke Spoorendonk. "Diese Koalition ist schon vor zwei Jahren verdorben, und die Bevölkerung hat längst gemerkt, dass hier etwas zum Himmel stinkt."

Nach der Vertrauensfrage verlassen die meisten Abgeordneten den Plenarsaal bedrückt. Carstensen fängt sich schnell, kündigt vor der Tür eine Neuwahl für den 27. September an. "Für mich war es keine fingierte Vertrauensfrage." Stegner steht nur eine Armlänge von Carstensen entfernt, widerspricht sofort. Der Regierungschef habe "die Verfassung strapaziert". Auf Nachfrage verspreche beide, dass sie den Wahlkampf fair führen werden und am Ende reichen sie sich sogar kurz die Hand - auf Bitte der Fotografen.