Über Tage formiert sich der Widerstand, unter Tage warten die Bergleute auf die weitere Erkundung des Salzstocks als Atomendlager.

Gorleben. Mit zehn Metern pro Sekunde geht es hinab in den Bergwerksschlund. Eine Geschwindigkeit, die den Druck auf den Ohren unaufhörlich erhöht. Da hilft nur Schlucken oder Gähnen. In 840 Meter Tiefe hält der Fahrkorb im Schacht 1 und entlässt Bergleute und Besucher in eine unwirkliche Welt - ins Erkundungsbergwerk Gorleben. Seltsam ruhig ist es hier unten. Ein Hochtechnologie-Bergwerk - seit zehn Jahren in Wartestellung.

Das könnte sich bald ändern. Denn im März hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) das Ende des Erkundungsstopps zum 30. September 2010 angekündigt. Seither schöpfen die Bergleute wieder Hoffnung: "Wir gehen davon aus, dass es am 1. Oktober wieder richtig weitergeht", sagt Peter Ward, Betriebsratsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE), die im Auftrag des Betreibers, des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), den Salzstock von Gorleben erkundet. "Dann können wir endlich wieder unsere Kompetenz zeigen", sagt der Geowissenschaftler, der seit 18 Jahren im Bergwerk arbeitet. Vom Ergebnis der Forschungen hängt ab, ob in dem Salz unter dem niedersächsischen Dorf irgendwann der Atommüll der Republik gelagert wird.

Hans-Werner Zachow war noch nie im Berg. "Vor ein paar Jahren wollte ich mal, aber ich galt als ,unerwünschte Person' und durfte nicht", sagt der Landwirt aus dem wendländischen Fließau. Trotzdem weiß er genau über den Salzstock Bescheid. Mehr als sein halbes Leben kämpft der 55-Jährige inzwischen gegen das geplante Atommüll-Endlager in Gorleben. "Das Schlimmste ist, dass in Gorleben weiter erkundet wird, aber keine Alternativen geprüft werden", sagt er. Jeden Morgen um 6 Uhr steht er im Kuhstall. In den letzten Tagen hat er Kartoffeln gesetzt, jetzt ist Mais dran. Für ihn geht es um den Boden, der ihn und seine Familie ernährt. "Der Atommüll ist eine Bedrohung.

Das macht Angst", sagt Zachow, der seinen Hof in vierter Generation bewirtschaftet. Er hat überlegt, wegzugehen. Aber wie soll das gehen mit 160 Hektar Landwirtschaft und 65 Kühen? Also ist er geblieben, hat Ende der 70er-Jahre mit anderen die Bäuerliche Notgemeinschaft gegründet und die Unabhängige Wählergemeinschaft - hat angefangen sich zu wehren. Am 3. Mai 1980, heute vor 30 Jahren, wurde die Bohrstelle 1004 über dem Gorlebener Salzstock besetzt, die Freie Republik Wendland ausgerufen. Auch Zachow ist immer dabei, wenn der Widerstand ruft. Zuletzt bei der Menschenkette zwischen den AKW in Krümmel und Brunsbüttel.

In der Tiefe ist in all den vergangenen Jahren nur wenig passiert. "Wir hatten zehn Jahre keine Anerkennung. In einer Zeit des Stillstandes ist es schwer, die Mitarbeiter zu motivieren", sagt Betriebsratschef Ward. "Aber wir haben das Bergwerk sicher instand gehalten, Messdaten gesammelt und unsere Berichte geschrieben." Etwa 20 Millionen Euro hat das pro Jahr gekostet. Auf 1,6 Milliarden Euro summieren sich die Kosten seit Beginn der Erkundung vor 30 Jahren.

Geologisch sei man in den vergangenen zehn Jahren nicht weitergekommen, sagt Ralf Schmitt, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im Erkundungsbergwerk. Statt im Dreischichtbetrieb arbeiten die Bergleute nur noch von 6 bis 14 Uhr und sorgen dafür, dass die Erforschung des Salzstocks jederzeit forciert werden kann. "Aber dafür brauchen wir einen konkreten Auftrag. Den haben wir noch nicht", sagt Schmitt.

500 Meter erstreckt sich die Erkundungsebene 1 von Ost nach West und 700 Meter in nord-südlicher Richtung. Vier weitere Erkundungsbereiche in nordöstlicher Ausdehnung sollen laut früherer Planungen noch untersucht werden. Stöße (Wände), First (Decke) und Sohlen (Böden) werden im Erkundungsbereich 1 regelmäßig überprüft und beraubt (geglättet). Das Salz, 1200 bis 1500 Tonnen im Jahr, landet auf der oberirdischen Salzhalde. Hier liegt es, bis das Bergwerk wieder verfüllt werden muss: entweder weil es als Endlager genutzt wird oder weil es ungeeignet ist.

Das ist die Gretchenfrage. Zehn Jahre lang aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Die rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte den Atomausstieg festgeschrieben, das Gorleben-Moratorium wurde beschlossen, eine Endlager-Arbeitsgruppe eingesetzt. Die Republik war beruhigt, nur im Wendland blieben die gelben Anti-Castor-Kreuze stehen. Denn außer dem Erkundungsbergwerk in Wartestellung gibt es in Gorleben auch noch das Atommüll-Zwischenlager mit 91 Castor-Behältern, je elf weitere kommen im Herbst 2010 und 2011.

Die Werkstätten im Bergwerk sind täglich besetzt mit Elektrikern und Elektronikern. Auch neun Auszubildende fahren in den Berg ein, um Mechatroniker zu werden. Nicht nur die großen Maschinen, sondern auch 1000 Messpunkte müssen gewartet werden. Unklar ist, wie man mit den Erdölfunden umgeht. "Hier unten sind lokal in einigen Salzschichten Kohlenwasserstoffe gespeichert, wenn auch in geringer Konzentration", sagt DBE-Sprecher Schmitt. An ein paar Stellen rinnt das Erdöl regelrecht die Stöße hinab, der Geruch ist unverkennbar. "Die Wechselwirkungen sind noch nicht untersucht", sagt Schmitt. Unklar sei, ob weitere Kohlenwasserstoffe in den noch zu untersuchenden Erkundungsbereichen im restlichen Salzstock verteilt sind.

Gebetsmühlenartig verweisen die Gegner auf die möglichen Risiken in Gorleben. "Wir wissen, dass ähnlich wie im maroden Salzstock in der Asse Wasser eindringt", sagt Bauer Zachow. "Trotzdem heißt es, es spreche nichts gegen Gorleben als Endlager. Das ist doch der reinste Hohn." Vertrauen, dass die Politik die richtigen Entscheidungen trifft, hat er nicht mehr. Er glaubt: "Das Ja für die Erkundung bedeutet auch ein Ja für den Endlager-Standort."

Landrat Jürgen Schulz sitzt in seinem Büro im Lüchower Kreishaus: "Der Widerstand hat durch das Ende des Moratoriums neuen Auftrieb bekommen." Schulz stammt aus Lüchow, arbeitet seit 30 Jahren in der wendländischen Verwaltung.

"Ich war schon dabei, als der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht den Standort Gorleben bekannt gegeben hat." Seit vier Jahren ist der parteilose Diplom-Verwaltungswirt oberster Repräsentant des Kreises Lüchow-Dannenberg - und einer gespaltenen Region. Hier gibt es nur für Atomenergie oder dagegen. Schulz wurde gewählt, weil er zur "X-Gruppe" gehört. X wie Widerstand. Ganz so deutlich sagen will er das nicht. Nur so viel: "Es muss mit höchster Sachlichkeit und Objektivität an die Endlager-Entscheidung rangegangen werden." So wie es jetzt laufe, könne es nicht gehen. "Es wird alles schöngeredet, weil sonst der Entsorgungsnachweis für die Atomkraftwerke fehlt." Viel tun kann er als Landrat nicht. Der Bund, das Land Niedersachsen und die betroffenen Gemeinden Gartow und Gorleben befürworten die Erkundung des Salzstocks.

"Wir brauchen einen partei- und legislaturübergreifenden Atomfrieden", fordert Schulz. Ein bisschen klingt das nach letzter Hoffnung in einem 30-jährigen Grundsatzstreit. "Bis zum Eignungsnachweis benötigt man noch etwa 15 Jahre", sagt Florian Emrich, Pressesprecher des Strahlenschutzamtes, und umreißt die Anforderungen an ein Atommüllendlager. "Die derzeitigen Sicherheitsanforderungen besagen, dass der Atommüll keine Möglichkeit haben darf, in die Umwelt zu gelangen. Die Abfallbehälter müssen 500 Jahre handhabbar sein, sollte man sie doch zurückholen wollen oder müssen."

Doch bevor überhaupt weiter erkundet werden kann, muss der Rahmenbetriebsplan verlängert werden. "Der gibt buchstäblich den Rahmen vor", erklärt Emrich, "nämlich wie der Bund das Bergwerk zur Erkundung der Salzstruktur betreiben will." Er sagt: "Das BfS hat nach der Festlegung des Bundesumweltministers eine Verlängerung um zehn Jahre beim Landesbergamt in Niedersachsen beantragt." Die Prüfung des Antrags liege nun beim Land. Inzwischen ist über diesen Rahmenbetriebsplan, der ursprünglich 1983 genehmigt wurde, allerdings heftiger Streit entbrannt. "Die Frage ist, ob hier das alte oder das neue Bergrecht angewandt wird", so Emrich. Das Bergrecht von 1990 sieht eine Öffentlichkeitsbeteiligung vor. "Das BfS wollte die Verlängerung für ein bis zwei Jahre, aber es war die politische Entscheidung, zehn Jahre zu beantragen."

Die Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg sammelt schon Spenden für eine Klage. "Wir glauben, dass der Rahmenbetriebsplan so nicht mehr angewandt werden kann", sagt Sprecher Wolfgang Ehmke. Sobald man wisse, wie genau der Antrag laute, werde die BI juristisch dagegen vorgehen. "Unser Ziel ist es, dass die Erkundung eingestellt wird und dass andere Standorte untersucht werden", sagt er.

So selbstbewusst wie jetzt waren die Gorleben-Gegner schon lange nicht mehr. "Wir haben mit unseren Recherchen über die manipulierten Unterlagen beim Zustandekommen der Entscheidung für Gorleben einen Bundestagsuntersuchungsausschuss angestoßen", sagt Ehmke. Das, zusammen mit der Empörung vieler Menschen über die Entscheidung für eine weitere Erkundung, verschaffe der Anti-Atom-Bewegung neue Kraft. "Wir haben enormen Zulauf. Gorleben ist kein regionales Thema mehr", sagt der BI-Sprecher. "Das gesellschaftliche Klima ist auf unserer Seite."

Möglicherweise stellt sich auch heraus, dass der Salzstock nicht geeignet ist. Das hält auch das Bundesamt für Strahlenschutz offenbar für möglich. "Das BfS hat aus fachlicher Sicht für einen Vergleich mehrerer Alternativen plädiert", sagt Sprecher Florian Emrich. "Die Politik muss allerdings die Entscheidung über das grundsätzliche Vorgehen bei der Endlagerung treffen und die Verantwortung dafür übernehmen." Sie habe sich für die Erkundung eines Standortes entschieden. "Wir haben damit gerechnet, dass das unter einer konservativen Regierung passiert", sagt Bauer Zachow. Fühlt man sich da nicht ohnmächtig? Nein, sagt der Bauer und steigt auf seinen Trecker. "Aber die Wut wird immer größer." Auch er erwartet bei den Castor-Transporten im Herbst deutlich mehr Teilnehmer. "Wir sind immer am besten gefahren, wenn wir einen klaren Gegner hatten", sagt Zachow und dreht den Schlüssel um. Jetzt ist es Zeit, die Gülle auf die Felder zu bringen.